Und am Ende steht das Produkt…

Eigentlich ist M. immer gern zur Arbeit gegangen, jedenfalls früher. Er ist jung, er weiß, dass er gut ausgebildet ist.Früher haben sie ihm gesagt, dass er Karriere machen wird, aber davon ist heute keine Rede mehr. Im Moment geht es M. wirklich nicht gut.

Als M. damals, vor einigen Jahren, dieses Angebot von der neuen Firma bekam, da sagten ihm die neuen Bosse, dass sie die Firma völlig neu aufstellen wollten. Neue Produktions-Stätten, neue Maschinen, völlig neue Produkte.

Schade, dass die Realität anders aussah. Von den Versprechungen ist nicht mehr viel übriggeblieben, aber wie auch ? Der Boss, der ihn damals davon überzeugte, zur Firma zu wechseln, ist schon lange nicht mehr da. Gefeuert. Der Stellvertreter des Chefs, ein netter Typ, ist auch schon lange nicht mehr mehr. Gefeuert.

Neulich hat M. mal im TV gesehen, wer die Männer gefeuert hat, die ihn für die neue Firma begeisterten. Das waren Anwälte, Schauspieler, Privatiers, Buchhalter und Versicherungsverkäufer. Nicht einer von ihnen war vom Fach, nicht einer hatte selbst irgendwann an einer der Maschinen gestanden.

Wie können diese Typen seine Chefs feuern, wenn sie gar nicht wissen, welche Produkte hier hergestellt werden ? M. versteht das bis heute nicht.

M. versteht sowieso nicht, warum sein Chef gehen musste. Der Mann war freundlich, konnte motivieren, stand zu dem, was er sagte. Okay, er war Däne und sprach ein lustiges Deutsch, aber er war echt.

Der neue Chef dagegen, naja. Er erzählt ständig davon, dass er selbst mal bei der besten Firma der Welt gearbeitet hat, aber die Jungs sagen, er ist ein Sprücheklopfer. Außerdem macht er die Mitarbeiter der Firma ständig in den Zeitungen nieder und man sieht ihn öfter im Fernsehen als in der Werkshalle.

Keiner der Jungs mag ihn, keiner würde für ihn Überstunden machen. M. auch nicht.

Apropos Chef – M. hat jetzt bereits den 3. Vorarbeiter in nur einem Jahr und jeder hat andere Ideen. Der Eine will, dass schneller gearbeitet wird, der Nächste will, dass mehr produziert wird und die Qualität keine Rolle spielt. M. weiß mittlerweile kaum noch, was er eigentlich tun soll.

Wenn M. zur Arbeit geht, stehen draußen vor dem Werkstor immer ein paar Typen rum. Ältere Herren mit offenbar zuviel Zeit.  Diese alten Männer pöbeln in letzter Zeit immer auf M. und seine Kollegen ein. Sie würden ihre Arbeit nicht gut machen, sie wären Versager und würden die Firma ruinieren. Dabei hat keiner der Opa’s jemals für die Firma gearbeitet.

Im Fernsehen wird in letzter Zeit auch immer wieder darüber berichtet, dass es der Firma wohl sehr schlecht gehen soll. M. weiß natürlich, dass nicht alles rund läuft, aber jedesmal, wenn er seinen Namen im Fernsehen hört, schreckt er zusammen. Warum erzählen dort irgendwelche fremden Typen, die er noch nie in der Firma gesehen hat, dass er schlechte Arbeit abliefern würde ? Was wissen die schon davon, was in der Werkshalle tatsächlich abläuft ?

M.’s Schichtleiter ist ein netter Kerl, ein Holländer. Er hat schon für viele wichtige Firmen gearbeitet und weiß, wie der Hase läuft. In letzter Zeit hatte der Holländer eine Menge privater Probleme. Er hat sich angeblich von seiner Frau getrennt und seine neue Freundin hat ein Kind verloren. M. hat mal versucht, mit ihm darüber zu reden, aber das wollte der Mann nicht so gern. Er wirkt deprimiert, läuft mit hängendem Kopf durch die Firma. Seine Stimmung färbt auf die ganze Schicht ab.

Wenn M. durch die Stadt geht, bemerkt er, dass ihn die Leute anstarren. Die Stimmung in der Stadt ist schlecht, denn die Stadt lebt zum großen Teil von der Firma. Gehts der Firma schlecht, gehts der Stadt auch schlecht. M. wird öfter auf der Straße angesprochen, teilweise angepöbelt. In letzter Zeit geht er gar nicht mehr aus dem Haus.

M. weiß, dass er gemessen an seinem Alter gutes Geld verdient, aber wie lange noch. Er ist jetzt Mitte 20 und jemand hat ihm mal gesagt, dass man den Job bis ungefähr 33, 34 machen kann, dann ist Schluss. Was aber passiert, wenn die Firma pleite geht und M. seinen Job verliert ? Wird er einen neuen Job finden ? Müssen er und seine Familie in eine andere Stadt oder gar ein anderes Land umziehen ? M. denkt in letzter Zeit viel über solche Dinge nach.

Neulich hat M. gelesen, dass die Firma im Mai möglicherweise verkauft wird. Dann soll alles anders gemacht werden, es soll vielleicht wieder in die Firma investiert werden. Was das bedeutet, kann sich M. ausmalen. Wieder neue Chefs, wieder neue Vorarbeiter, wahrscheinlich neuer Schichtleiter. Ob für ihn selbst dann noch Platz in der Firma ist, weiß M. nicht. Keiner spricht mit ihm darüber und der Headhunter, der ihn damals zu dieser Firma vermittelte, hat sich nie wieder gemeldet.

Über eines hat sich M. eigentlich schon immer gewundert, seit er für diese Firma arbeitet: Es gibt so gut wie keine Auszubildenden. In allen seiner bisherigen Firmen wurden jungen Menschen ausgebildet, um irgendwann einmal für die jeweilige Firma zu arbeiten. In dieser Firma nicht.

Am Wochenende wird M. wieder zur Sonderschicht in die Firma gehen und versuchen, ein gutes Produkt herzustellen. An veralteten Maschinen, mit desillusionierten Schichleitern und verunsicherten Kollegen. Er wird hoffen, dass sein Produkt von irgendwem gekauft wird, obwohl er weiß, dass andere Firmen bessere Produkte herstellen.

Und er weiß, dass er beim Verlassen des Werks mit großer Wahrscheinlichkeit wieder mal angeschrien wird.

 

 

Von | 2014-04-01T11:18:59+02:00 1. April 2014|Allgemein|18 Kommentare

18 Comments

  1. Hoobs 1. April 2014 um 08:43 Uhr

    Genial! Habe den heutigen Beitrag sofort weitergeleitet. Sehr sehr gut!!

  2. Gürgen 1. April 2014 um 08:49 Uhr

    Genau das habe ich auch gerade, herrlich geschrieben, auch wenn´s eigentlich so traurig ist.

  3. Nick 1. April 2014 um 09:29 Uhr

    du hast vergessen, dass auf einer Schicht der Chef gekommen ist und 4 von deinen Kollegen, deine best buddies zur Seite genommen hat und ihnen gesagt hat, dass sie hier jetzt nicht mehr arbeiten und sofort ins lager müssen und da warten sollen bis der Chef eine neue Arbeit gefunden hat….

  4. The_MaXX 1. April 2014 um 09:35 Uhr

    Nicht schlecht Grave, wirklich: Nicht schlecht! =)

    Dummerweise gibt es solche Stories auch in “anderen” Branchen – das macht es natürlich nicht “besser”.

  5. Jopahi 1. April 2014 um 09:35 Uhr

    Hä??? Wea sol den diesa “M” sain? Ales Kwadsch, NOT-FOR-SAIL!!!!11

    • Gravesen 1. April 2014 um 11:14 Uhr

      ..und das nächste Mal bitte wieder mit ein wenig Niveau und Hirn. Danke 😉

    • Sylvia Kaal 1. April 2014 um 15:45 Uhr

      Diese NOT FOR SALE Sche..e könnt ihr doch mittlerweile nicht mehr ernst meinen. Soll die U 23 auch noch weg damit ihr mit eurem Dickkopp durchkommt und was ist mit den anderen kleinen Sparten des EV. Man, man, man, denk doch bitte mal nach

  6. Jan B 1. April 2014 um 09:59 Uhr

    Hallo Grave

    Mit deinen letzten Beiträgen ist die Meßlatte ganz schön hoch.
    Chapeau.

  7. Gravesen 1. April 2014 um 11:14 Uhr

    Freunde der Südsee, ich sage es gern nochmal. Wer meint, hier “mitspielen” zu müssen, in seinem ersten Beitrag jedoch damit beginnt,

    …andere User dämlich von der Seite anzumachen
    …mit sinnbefreiten Einzeilern für miese Stimmung zu sorgen
    …den Blogbetreiber beleidigen zu müssen etc.

    der kann nicht ernsthaft damit rechnen, in diesem Forum einen Platz zu finden.

  8. Jürgen Karl 1. April 2014 um 11:19 Uhr

    Ein sehr guter Beitrag!! Respekt!!

  9. JustMe 1. April 2014 um 12:30 Uhr

    Ich war kurz erschrocken, Gravesen, bis zum fünften Abschnitt passte es genau auf mich zu…Aber anscheinend ist das so in der heutigen Zeit, man findet immer parallelen…Gut geschrieben und vielleicht bringt es auch diese Menschen zum nachdenken zu bewegen.

  10. Jan B 1. April 2014 um 13:06 Uhr

    Hallo Grave

    Mein Kommentar war nicht ironisch sondern ernst gemeint. Vor allem im Bezug auf die restlichen Hamburger Medien, und wie diese mit der mentalen Situation der Mannschaft sowie der Aufarbeitung der letzten Jahre von Vorstand und Aufsichtsrat umgehen.
    Insofern Chapeau für deine Beiträge.

    • Gravesen 1. April 2014 um 13:17 Uhr

      Danke, nicht alle sind so begeistert, aber damit muss man leben 😉
      Mein Hinweis war auch nicht an dich gerichtet, sondern an die ca. 15 Typen, die ich nicht freigeschaltet habe…

  11. Buttje 1. April 2014 um 14:29 Uhr

    Sehr schöne Parabel. Ziel erreicht: Anregung zum Nachdenken. Schade nur, dass diese “Edel-Fans” Peter + Peter (die sich nun auch regelmäßig bei HH1 ergießen dürfen) nicht lesen werden und schon gar nicht Hein BLÖD (oder hieß er BILD? Naja, auch egal)

  12. WillIWacker 1. April 2014 um 15:44 Uhr

    Im ersten Moment dachte ich, du meinst den HSV ;-)))
    Ich hoffe, es gibt eine Fortsetzung. Liest sich echt spannend.

  13. ARi13 1. April 2014 um 17:09 Uhr

    Moin Grave,
    Vielen Dank auch für diesen Artikel! Ich lese schon lange jeden Tag Deine Beiträge und möchte Dir heute für diesen herausragenden, anschaulichen und lebensnahen Text meinen Respekt zollen.
    Allgemein finde ich Deine Idee toll, Dich gegen die sogenannten Journalisten abzugrenzen. Da triffst Du oft ins Schwarze. Der Text heute bringt es auch wieder rüber: Insbesondere die Herren von der Presse haben nie wirklich gearbeitet oder Verantwortung für etwas übernommen. Sie leben in Ihrer Traumwelt, um durch den HSV ihre verpassten Möglichkeiten zu erleben. Sie sind auf Gedeih und Verderb vom HSV abhängig. Was könnten Sie ohne tägliche News noch aus Ihrem Leben machen? Das finde ich am Ende sehr sehr schlimm für den HSV. Daher ist es genau richtig, dass Du den Mut hast und die Menschen aufklärst. Weiter so!
    Vielen Dank das Du täglich Zweifel sähst und viele Leute zum Nachdenken bewegst!
    Viele Grüße
    Ari13

  14. Dittel 1. April 2014 um 22:04 Uhr

    Es ist noch zu früh Trübsal zu blasen. Ich finde die Mannschaft hat unter Slomka eine positive Entwicklung genommen. Im Moment haben wir auch viel Pech. Der HSV ist in der Vergangenheit oft mit stärkeren Gegnern besser zurecht gekommen. Wir haben noch alle Chancen. Im Fußball ist alles möglich.
    Grave bitte bringe mal wieder einen positiven Blog (auch wenn ich den heute gelungen fand). Wir brauchen jetzt positive Energie und etwas Mut. Am 10. Mai können wir weiter die vielen Fehler analysieren.
    Viele Grüße und danke für Deinen Blog!
    Dittel

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