Neuer Coach, neues Glück?

Ein Gastblog von Tom

Vorab kurz zu mir: Ich schreibe hier unter meinem Pseudonym „Tom“. Mein richtiger Name ist Ingo, ich lebe in Hamburg, bin Ende vierzig und seit meiner Kindheit HSV-Fan (gewesen). Wie bei so vielen Lesern hier, ist mir die Leidenschaft in den letzten Jahren jedoch abhandengekommen. Ich bin Gravesen dankbar für seine faktenbasierenden Recherchen und seine Aufklärung und schätze insbesondere seine unterhaltsamen Blogs.

Als Gastautor in der „HSV-Arena“ habe ich den folgenden Blog über den neuen HSV-Trainer Tim Walter verfasst:

Genau 46 Trainer hatte der HSV seit der ersten Bundesligasaison 1963. Angefangen bei Martin Wilke, der die ersten Bundesligaspiele des HSV betreute, über wirklich prägende Trainer wie Klötzer, Zebec und Happel bis hin zu „Laptop-Trainern“ (Wolf, Zinnbauer) und „Megatalenten“ (Zinnbauer, Titz) ist man 2020/21 schließlich bei Thioune und Tim Walter angekommen. Aktueller Cheftrainer beim HSV ist nun also ein seit Dezember 2019 arbeitssuchender Übungsleiter namens Tim Laszlo Walter. Ein Trainer, der bisher überwiegend im Jungendbereich tätig war. Der kurze Gastspiele bei Profi-Clubs hatte – nämlich eine Saison beim Zweitligisten Holstein Kiel und eine Halbserie beim VfB Stuttgart, seinerzeit ebenfalls Zweitligist. Mit den Kielern konnte Walter eine erfolgreiche Saison spielen und schloss diese auf Platz sechs ab, mit einem Team, das viele neue und junge Spieler im Kader hatte. Walter ist es gelungen eine Mannschaft zu formen. Es war eine klare Philosophie zu erkennen, die Mannschaft war fit. Die gute Platzierung rief Begehrlichkeiten anderer Clubs hervor, so dass Walter nach nur einer Saison in Kiel beim VfB Stuttgart anheuerte, um diesen gerade aus der ersten Bundesliga abgestiegenen Traditionsverein umgehend in die 1. Liga zurückzuführen. Klarer Auftrag. Dennoch wurde Walter im Dezember 2019, also zum Ende der Hinrunde, auf Platz 3 stehend von seinen Aufgaben entbunden. Das verwundert. Was waren die Gründe?

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 Zum einen die Spielweise: Aufrückende Abwehrspieler, viel Ballbesitz und Laufarbeit. Das von Tim Walter einstudierte System war bemerkenswert – weil es so niemand anderes praktizierte. Allerdings: Der Spielstil von Tim Walter stieß in Stuttgart schnell an seine Grenzen. Tim Walter änderte stets die Positionen von Spielern, bastelte an der Taktik, schaffte Unruhe in der Mannschaft. Von seinen eigentlichen Vorstellungen war am Ende kaum mehr etwas zu sehen. Der VfB Stuttgart erschien defensiv stabiler, konnte seine Überlegenheit und den hohen Ballbesitzanteil aber nur selten in Siege ummünzen. Die sportliche Führung um Hitzlsperger und Mislintat sah keine klare Linie mehr in den VfB-Auftritten und entschied sich dazu, den Trainer freizustellen.

 Der Umgang mit den Spielern: Nach dem Abgang Walters aus Kiel waren einige Spieler trotz der erfolgreichen Saison dennoch froh, dass er den Verein verlassen hat. Walters Umgangsformen mit seinen Spielern sind gewöhnungsbedürftig, war zu hören. Der Trainer ist direkt, schroff und vergreift sich verbal auch mal deutlich im Ton. Das dabei auch mal sehr derbe Worte fallen, ist nicht ungewöhnlich. Andere würden sagen, das ist doch normal auf einem Fußballplatz (und in der Küche). Anschließend gibt er sich wieder als väterlicher Freund, nimmt seine „Jungs“ versöhnlich in den Arm. Er betont, dass er seine Spieler nur als Fußballer, nie als Menschen kritisiert. Die emotionalen Ausbrüche des Trainers können irritierend sein. Viele Spieler können damit nicht umgehen.

Hier noch eine Anekdote, die mir nein bekannter von Holstein Kiel steckte: Der Club war für ein Trainingslager in Büsum. Nach dem Torschuss-Training fehlte ein Ball. Walter ließ die Spieler zusammenkommen, rief zum Zeugwart: „Was kostet ein Ball?“ Antwort: „120 Euro.“ Walter rechnete kurz, befahl dann: „Jeder von Euch zahlt fünf Euro für den Verlust.“ Die Spieler trauten ihren Ohren nicht……

 Die Außendarstellung: „Wer mich holt, weiß, was er bekommt“ oder „Ich gehe nun mal offensiv an die Dinge ran, ich bin mutig und meinungsstark. Jeder schreit nach Typen, ich bin nicht 0-8-15. Ich habe einen anderen Ansatz“ hat Walter regelmäßig von sich gegeben.

Auch bei öffentlichen Auftritten war der Trainer offensiv und außerhalb der Norm, widersprach auch mal seinen Vorgesetzten und kritisierte einzelne Spieler direkt. Sein Auftreten wirkt oftmals arrogant, großspurig. So sagte er z.B. in Kiel nach seiner Vorstellung über seinen Vorgänger Markus Anfang:“ Die Erfolge waren ja ganz gut. Aber der Fußball war etwas eindimensional“.

 Aber Humor hat der Trainer Walter auch. So sagte er einst nach dem Spiel des VfB Stuttgart gegen Aue (0:0): „Ich dachte, meine Frau pfeift heute. Die pfeift auch immer für die mit den schönsten Trikots.“

 Aber in Hamburg kann das ganz schnell nach hinten losgehen. Dumme Sprüche, die dann nicht den Taten oder Ergebnissen entsprechen wird man ihm schnell um die Ohren hauen (jedenfalls hier in Gravesens Blog und das dann zu Recht 😊). Die Hofberichterstatter werden erst einmal wieder abgehen und ihn loben, geblendet sein und erst kurz vor einem möglichen Rauswurf auf ihn einprügeln. The same procedure as every year.

 Wenn man das alles nun über den Menschen und Trainer Walter weiß, ist es umso unverständlicher, dass Boldt einen Zweijahres-Vertrag mit ihm abschließt. Nicht nachvollziehbar, unnötiges finanzielles Risiko. Besser wäre da eine Option im Vertrag: Wenn der Aufstieg gelingt, wird der Kontrakt ein weiteres Jahr verlängert. Denn was passiert, wenn der HSV wieder nur Platz 4 oder 5 belegt? Der Trainer hätte weiterhin einen gültigen Vertrag – und dann? Ein weiterer Versuch? Das kann ja nicht das Ziel sein. Abgesehen davon ist nicht auszuschließen, dass der Trainerversuch schiefgeht und man bereits im Herbst handeln muss und dann statt acht 20 Monate abzufinden wären.

Man darf also gespannt sein, wie sich der Trainer Walter an der Elbe schlägt. Ganz sicher wird es jedoch nicht langweilig und vieles zu berichten geben. Insbesondere da ja der KSV bekannt dafür ist, gerne interne Dinge nach außen dringen zu lassen.

 In guter HSV-Arena-Tradition:

 Zum Schluß….

 ….das Letzte!

 Ein junges Hamburger Pärchen beim Abendessen. Da fragt die Frau ihren Gatten: „Würdest Du mich nochmal heiraten?“. Der Mann schaut auf und sagt: „Ja oft!“ Die Frau hakt nach: „Na wie oft denn?“. Darauf antwortet der Mann: „Mindestens so oft wie der HSV noch den Trainer wechselt.“ Emotional ergriffen bricht die Frau in Freudentränen aus und meint: „Ach mein Schatz, Du bist ja so romantisch.“

Von | 2021-06-16T07:47:44+02:00 16. Juni 2021|Allgemein|11 Kommentare

11 Comments

  1. UFO 16. Juni 2021 um 08:10 Uhr

    Moin Ingo,
    gute Darstellung der Trainer-Situation, der nichts hinzuzufügen ist. Eben HSV, nicht in der Lage und nicht willens, etwas aus dem schlechten jahrzehntelangen Management zu lernen.
    Guter Blogbeitrag und ein amüsanter Schluss 🙂 !

    Gruß UFO

    • Fohlenstall 16. Juni 2021 um 08:59 Uhr

      Moin Zusammen,
      gute Darstellung über den neuen Trainer. Mal sehen wie er das beim HSV hinbekommt.
      Ingo, sehr schöne Schlusspointe 😉!

  2. Detlev 16. Juni 2021 um 10:08 Uhr

    Top Beitrag und sehr interessant geschrieben.

    Ich freue mich schon auf den Unterhaltungswert des kommenden Jahres, der Fußball ist mir eigentlich egal.

    Die Hymne passt schon mal. Obwohl ich die Musik von der Benny Hill Show auch gut fand!

  3. Revi+22 16. Juni 2021 um 11:07 Uhr

    Hallo Tom,
    vielen Dank,sehr interessante Informationen über den zukünftigen Ex-Trainer des KSV,cooler Beitrag.
    Dann wird es wirklich,wie meine Vorredner schon schrieben,eine sehr interessante Teilsaison bis hin zum unvermeidlichen Ende…
    Grave wird der Stoff also nicht ausgehen.

  4. sven 16. Juni 2021 um 11:58 Uhr

    Der HSV ist eine Gute Adresse…..
    Wer es glaubt. Der Wunschstürmer geht auf alle Fälle zu Mesut Özil in die Türkei.
    https://www.hessenschau.de/sport/fussball/wehen-wiesbaden/darmstadt-98-torjaeger-serdar-dursun-wechselt-zu-fenerbahce,dursun-istanbul-100.html

    Jetzt schnell Lasagne verpflichten!

    • Atommafia 16. Juni 2021 um 19:57 Uhr

      Der HSV ist eine gute Adresse für Bewährungsurteile in Strafverfahren:
      Auflage für Fußballprofis nach Autounfällen/ Steuerhinterziehungen usw. 1 Jahr HSV auf Bewährung, Minimum 34 Spiele a 90 Minuten

  5. Hein Blöd 16. Juni 2021 um 13:53 Uhr

    Moin Tom!
    Schöner Blog und eine nette Schlusspointe!

  6. Fernsehsportler 16. Juni 2021 um 16:51 Uhr

    Hey Tom, ein toller Beitrag.

    Lieben Dank für Deine Zeit

  7. Freundchen 16. Juni 2021 um 19:21 Uhr

    Klasse Gastblog mit interessanten Hintergründen zum künftigen Ex-Trainer. Danke dafür!

  8. Matthias Moser 17. Juni 2021 um 11:43 Uhr

    Als VfB-Fan habe ich diese Einschätzung von Tim Walter natürlich mit Interesse gelesen.

    Ich persönlich war, als er entlassen wurde, zwiegespalten. Das war so eine Aktion vom Kaliber “konnte man machen, musste man aber vielleicht nicht”, denn schlecht standen wir tabellarisch ja nicht da. Natürlich hat sich die Entscheidung im Nachhinein als richtig und “Rino” Matarazzo sich als absoluter Glücksgriff herausgestellt, aber man stelle sich vor wir wären mit ihm dann doch nicht aufgestiegen, dann wären wir mal wieder die Deppen der Nation gewesen (und wie jeder weiß war es sauknapp).

    Ich muss sagen dass ich Tim Walter immer mochte und mich auch für ihn freue dass er jetzt wieder einen Fuß in der Tür namens Profifußball hat. Ja, er hat ohne Zweifel eine spezielle Art, die ihm bei Mißerfolg dann natürlich um die Ohren fliegt, aber ich fand die im Vergleich zum sonst oft weichgespülten Fußballgeschäft eigentlich immer erfrischend und mich hat das auch nie gestört (wie auch schon bei Zorniger damals nicht). Und den Willen etwas zu bewegen und dass er wirklich für den Fußball und seine Aufgabe brennt konnte man ihm bestimmt nie absprechen. Die Aktion die Spieler für den fehlenden Ball zahlen zu lassen finde ich eher gut als irritierend. Und ach ja, Eure Spieler können sich schon mal aufs Arschbolzen freuen ;-).

    Was man ihm vorwerfen muss ist dass sein Spielstil letztendlich oft fruchtlos war, gegen tiefstehende Mannschaften hast Du dann gefühlt 80% Ballbesitz ohne dass Du den in Tore umsetzen kannst. Allerdings werdet ihr mittlerweile (sorry) wohl auch nicht mehr von allen Gegnern als DER Topfavorit angesehen gegen den man den Bus parken muss. Das könnte ihm entgegenkommen. Dass er stur daran festgehalten hat und nicht bereit war etwas zu ändern hat ihn letztendlich den Job gekostet. Aber vielleicht hat ihn das gelehrt manchmal etwas pragmatischer zu sein.

  9. Süd-Fan 18. Juni 2021 um 09:39 Uhr

    So Sachen wie “Jeder von Euch zahlt fünf Euro für den Verlust” sind ja eigentlich nicht schlecht, aber es hat dort wirklich den Beigeschmack es ist ginge um die Außenwirkung.
    Mal ganz abgesehen davon, wenn ein Ball beim Training verloren geht, dann ist dies der übliche Verlust wie er überall in der Berufswelt vorkommt. Es wäre was anderes, wenn die Spieler die Bälle aus Jux ins Meer geschossen hätten.

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