Als der Journalismus starb….

Gestern las ich eine Überschrift, die mich fassungslos machte. 

WM-Final-Schiedsrichter kontert Vorwürfe aus Frankreiche

Und nein, es war nicht die Mopo, die sich einen solchen Klops erlaubte, denn bei den Klickbait-Jägern ist man nach Abschaffung der Schlußredaktion ganz andere Dinge gewohnt. Es war DER SPIEGEL, der diese Überschrift erst Stunden später und garantiert nach vielen gehässigen Kommentaren im Internet änderte und genau da sind wir beim Thema. Das Internet. Schnell, gnadenlos, nahezu unkontrolliert, ohne jeglichen Qualitätsanspruch. Das Internet hat bestimmt zahlreiche guten Dinge hervorgebracht, man könnte Google nennen, wenn man möchte, muss es aber nicht. Heute heisst es “das google ich mal schnell”, wenn einem etwas spontan nicht einfällt, früher musste man nachdenken. Oder fragen. Oder es auf später verschieben. Heutzutage geht alles rasend schnell, eben auch Dank des Internets. Informationen fliegen in Echtzeit um den Planeten, Beziehungen werden durch die Veränderung des Beziehungsstatus auf Facebook beendet, geheim bleibt kaum noch etwas. Für viele Menschen ist die Welt durch das Internet zu schnell geworden, sie können nicht mehr folgen und damit meine ich nicht nur die Älteren unter uns. Der Druck, der auf jungen Menschen dadurch lastet, dass sie gezwungen sind, immer erreichbar und immer auf dem neuesten Stand der Dinge sein zu müssen, ist unerträglich und wird in der Zukunft viele Menschen sehr frühzeitig ausbrennen lassen. Ich konnte mich in meiner Kindheit und Jugend noch stundenlang auf dem Fußballplatz oder in das Schwimmbad zurückziehen, ohne, dass mich jemand erreichen konnte, das ist heute nur dann möglich, wenn man sein Smartphone verliert. 

Ich habe von 1986 bis 1988 beim Verlag Gruner+Jahr Verlagskaufmann gelernt und zu dieser Zeit war G+J der wohl geilste Verlag der Welt. Springer, Bauer, das war Abschaum für uns, auch in der Berufsschule. Burda kannten wir gar nicht. Gruner stand für Innovation, für investigativen Journalismus (Stern), für modernen Journalismus für Frauen (Brigitte), Gruner leistete sich ein Magazin für Kunstliebhaber (ART). Man versuchte, mit SPORTS eine neue Art des Sportjournalismus auf den Weg zu bringen, so etwas wie GEO gab es in anderen Verlagen nicht, G+J war einfach cool. Vorgestern musste ich nun lesen, dass RTL, welches den Verlag vor einigen Jahren aufgekauft hatte, bis auf den Stern alle anderen Magazine verkaufen will. SPORTS gibt es schon lange nicht mehr, ART ist ein monatliches Randblatt mit ca. 28.000 verkauften Exemplaren. Kurzum, den Verlag Gruner+Jahr gibt es nicht mehr, er ist ausgelöscht worden. Vor einigen Jahren trennte sich der Axel Springer Verlag von einigen etablierten Blättern wie Bild der Frau oder HörZu. Warum passiert das? Ganz einfach, weil sich diese Titel für große Verlage mit viel Personal nicht mehr rechnen. Kleinere Verlage übernehmen für eine gewisse Zeit die Titelrechte und saugen mit wenig Personal und noch weniger Qualität die letzten Reste aus den Zeitschriften heraus, bevor sie eingestellt werden, (Qualitäts)-Print ist tot. Als ich gestern einem Freund schrieb, wie sehr ich das Aus von G+J bedauere, schrieb er: “Die junge Generation kann mit Stern und Brigitte überhaupt nichts anfangen”. Nein, können sie nicht. Stattdessem folgen sie irgendwelchen Schwachmaten, die sich Influencer nennen, auf Instagram oder TikTok, ist ja auch kostenlos. Und damit sind wir beim Kernproblem. 

Qualität kostet Geld, die einzige Qualität, die kostenlos ist, findet ihr hier. Natürlich haben die Medien-Unternehmen von gestern ihre Titel auf den Markt gebracht, um Geld zu verdienen, kein Verlag ist eine gemeinnützige Einrichtung und doch war man damals an journalistischer Qualität interessiert, ein Journalist war eben eine Art Ermittler und kein Verkäufer, wie heute. Heute schlägt die Schnelligkeit die Wahrheit, wichtig ist, wer Erster ist und nicht, wer seinen Lesern/Sehern/Hörern die Realität übermittelt. Zur Folge hat dies, dass der Konsument in 90% der Fälle zwar schnell, aber wahrheitsgemäß nur noch bruchstückhaft informiert wird, der Einfluß derer, über die berichtet wird, ist deutlich gewachsen und das, was gestern noch Journalismus war, ist heute vielfach nichts anderes als PR. Bezahlte Provokateure, Bots, ganze Heerschaaren von engagierten Zwischengrätschern, die eigenes dafür bezahlt werden, dass sie die Wahrheit negieren und die PR erhöhen. All das ging in Printzeiten natürlich nicht, das größtmögliche Mittel des Protestes war der Leserbrief. Oder der Kaufverzicht. Tatsächlich aber sind die Auswüchse deutlich dramatischer, denn wir haben eine falsch oder zumindest schlecht informierte Gesellschaft, gesellschaftliche und politische Katastrophen wie Putins PR-unterstützter Krieg in der Ukraine oder Trumps Präsidentschaft wären ohne das Internet und die daraus erwachsenen Übelkeiten nicht denkbar und möglich gewesen. Aber das Perverseste: Genau diese Kreaturen, die Propaganda bis zur Erschöpfung nutzen und die freie Presse, die eh kaum noch vorhanden ist,  zu unterdrücken versuchen, kreischen bei der ersten Gelegenheit “Fake News”, wenn sie ertappt werden und sie kommen vielfach damit durch. Man nutzt also das Instrument, mit dem man an die Macht gekommen ist, als Ausrede für die eigenen Ausfälle. 

Ich möchte nicht zu pessimistisch klingen, aber ich glaube, uns stehen dunkle Zeiten bevor, denn die Geister, die wir riefen, werden wir nicht mehr los. Die Politik versucht verzweifelt und viel zu spät, die Auswüchse des Internets zu reglementieren, dabei werden einige, die diese Regeln aufstellen sollen, von genau denen finanziert, die sie einschränken sollen, absurd. Ich glaube, wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass der Journalismus gestorben ist und durch die Propaganda ersetzt wurde. Heute ist nichts wichtiger als Geld und mit Geld kann man sich, siehe Katar oder Saudi Arabien, alles kaufen und alles leisten. 

Von | 2022-12-26T07:31:17+01:00 26. Dezember 2022|Allgemein|9 Kommentare

9 Comments

  1. Frank Hasenbeck 26. Dezember 2022 um 09:17 Uhr

    Grandios geschrieben und völlig auf den Punkt gebracht

  2. Fohlenstall 26. Dezember 2022 um 10:52 Uhr

    Moin Zusammen,
    frohe Weihnachten.
    Hervorragender Blog, Grave👍!

  3. Maddin 26. Dezember 2022 um 10:55 Uhr

    Das Wissen der Menschheit ist nur 1 Klick entfernt. Und was macht der Homo Digitalis ? Er schaut Katzenvideos.😁

  4. Ex-HSVer im Herzen 26. Dezember 2022 um 11:57 Uhr

    Hervorragender Blog! Hierzu: „Die junge Generation kann mit Stern und Brigitte überhaupt nichts anfangen”. JA UND!!! Konnten wir auch nicht, als wir 14-25 waren. Da war auch oft das Seichte und trashige angesagt. Aber ab dann ändern sich die Einstellungen und Interessen und mit 30 oder 40 liest man was anderes (Spiegel/Stern, etc). Doch die jetzigen im Alter von 14-25 werden diese Option bis auf ganz wenige Ausnahmen kaum noch haben, weil alles seichter wird und die Hirne von 95% der jungen Menschen gar nicht in der Lage sein werden, komplexe und hochwertigen Journalismus zu verarbeiten.

    Das Internet mit all seinen Auswüchsen ist wie so viele neuen Technologien Fluch und Segen und es obliegt jedem selbst bzw. den Eltern, was man daraus macht. Wir Generation Analog können das zumeist noch steuern und lassen den Müll nicht an uns ran (daher las ich den von Euch viel sezierten Scheiss-Blog oder Mopo HSV noch nie und auch auf Insta und Facebook bin ich nicht, weil es keinen Mehrwert bietet). Doch bei den meisten Kids versagen die Eltern kollossal und die Kids sind dem Feuerwerk an Hirnschrumpfungs-Toxin hilflos ausgeliefert. Gerade in den wichtigen Persönlichkeitsentwicklungsphasen von 2-6 und 10-16 macht das Internet so viel kaputt bei den Kids, was nie wieder repariert werden kann. Die Zukunft ist düster und wenn wir nicht mehr relevant sind (20-30 Jahre) werden nur noch unempathische, minder intelligente, sozial degenerierte Zombies die Gesellschaft prägen.

  5. Sportjournalist Scholz 26. Dezember 2022 um 12:53 Uhr

    Frohes Fest Euch
    Ja Print ist vorbei und danke für diesen Blog und alle die hier überhaupt erscheinen.
    Für weniger Anspruchlose reicht ja bekanntlich C+P ohne Inhalt, da wünscht man sich ja auch Frieden in der Erde.
    Eine Frage: Könnte nicht ein Tag mal Hirnloser durchgeschaltet werden? Nur so?

  6. Matthias 26. Dezember 2022 um 13:30 Uhr

    Hallo Grave, besinnliche Weihnachten und vorab einen gesunden Start ins neue Jahr. Vorgestern war ich von Deinem Block “Die Welt ist ein Kuhdorf oder – Merry Christmas” völlig begeistert. Wer kennt sie nicht diese Begegnungen. Aber in einem so großen Land wie Australien, unfassbar. Und der heutige Block, Championsliga. Immer wieder ist Dein Block für mich ein Quell, der zum Nachdenken anregt und den Blick über den Tellerrand schärft. Vielen leiben Dank dafür ! Spende geht die Tage raus.
    Bleib Gesund, Grave !

  7. Gravesen 26. Dezember 2022 um 20:54 Uhr

    In DEM KSV- Bolg, der von einem 24/7-Blender und Millionen von jungen hungrigen KSV- Enthusiasten betrieben wird, ist seit dem 23.12.2022!!!! nichts mehr darstellbar gewesen. Auf die Art und Weise wird man wahrscheinlich seine Schulden los.

  8. Willy Pong 29. Dezember 2022 um 02:27 Uhr

    Hallo Gravesen,
    die Wahrheit tut meistens weh, vor allem wenn sie stimmt!
    Weise Worte und schlimme Erkenntnisse,
    aber sowas auf den Punkt!
    Danke und Beste Wünsche nach Downunder

    Willy

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