An dieser Stelle möchten wir nochmal daran erinnern, wie Jonas Boldt sich 2015 als Manager von Bayer Leverkusen zum Handlanger von Spielerberatern machte und dadurch bei Football Leaks berühmt wurde. Der entsprechende Artikel erschien im Spiegel Nr. 50 des Jahres 2018. Hier einige Auszüge:

Zum Ende dieser Saison wird Jonas Boldt Bayer Leverkusen verlassen. Das gab der Verein kürzlich bekannt. Dabei schien es noch im Sommer, als hätte der gebürtige Franke bei der Werkself den vorläufigen Höhepunkt seiner noch so jungen Karriere gerade erst erreicht. Der berufliche Werdegang Boldts sieht aus wie der eines Senkrechtstarters. Im Jahr 2003 absolvierte Boldt ein Praktikum. Dann ging er nach Südamerika, sichtete für Leverkusen Talente und entdeckte den Mittelfeldspieler Arturo Vidal, heute ein Weltstar beim FC Barcelona. Boldt avancierte zum Chefscout, wurde Assistent des damaligen Sportdirektors Rudi Völler und 2014 sogenannter Kaderplaner. Im Juli dieses Jahres stieg Boldt zum Sportdirektor auf, mit 36 Jahren. In der Branche gilt er als exzellenter und bestens vernetzter Fachmann. Sein Förderer Völler, heute Geschäftsführer Sport bei Leverkusen, sagt über den scheidenden Kollegen: »Dass wir ihn auf ganz hohem Niveau wiedersehen werden, ist für mich keine Frage.«

Ganz so sicher ist das nicht. Denn es gibt einen Vorgang aus dem Frühjahr 2015, der erhebliche Zweifel an Boldts Seriosität aufkommen lässt. Es geht um ein Geschäft, bei dem der Sportmanager sich zum Handlanger für drei befreundete Spielerberater machte. Weil Boldt im Namen von Bayer Leverkusen ein offensichtliches Scheinangebot für einen Torhüter machte, konnten die Berater bei Vertragsgesprächen mit einem Klub in der Premier League ihre Verhandlungsposition entscheidend verbessern. Auch dank Boldts williger Hilfe boxten sie für den Torwart einen besser dotierten Vertrag durch und für sich selbst ein Millionenhonorar. Gerüchte, wonach Spielerberater und Klubmanager bei Transfers oder Vertragsverlängerungen zum eigenen Nutzen gemeinsame Sache machen, gehören im internationalen Fußballgeschäft zum Branchenklatsch. Meist werden sie von den Verdächtigen weggelächelt. Beweise gibt es in der Regel nicht, weil alles nur über mündliche Absprachen läuft.

Im Fall Jonas Boldt ist das anders. Der Leverkusener Manager hat die Absprache mit seinen Berater-Buddys schriftlich besiegelt. Diese Mails sind Teil eines riesigen Datensatzes, den die Enthüllungsplattform Football Leaks dem SPIEGEL überlassen und die das Nachrichten-Magazin mit seinen Partnern des Recherchenetzwerks European Investigative Collaborations (EIC) ausgewertet hat. Dank dieser Dokumente lässt sich eine Geschichte erzählen, die niemals an die Öffentlichkeit gelangen sollte. Sie zeigt, wie auch hinter der Fassade der um ihren Ruf so bemühten Bayer AG Kumpanei gelebt wird. Der Fall Boldt dokumentiert die mitunter klebrige Nähe zwischen Klubmanagern und Spielerberatern. Und er bestätigt sämtliche Vorurteile, mit denen sich die Welt des Profifußballs immer wieder konfrontiert sieht: dass die Millionensummen, die hier hin- und hergeschoben werden, selbst bei intelligenten Menschen wie dem Sportmanager von Bayer Leverkusen zu einem Ausfall des inneren Kontrollsystems führen können.

Von Leverkusen führt Boldts Seilschaft ins Frankenland, in seine Heimatstadt Nürnberg. Dort gründeten 2013 drei ehemalige Adidas-Manager eine Agentur für Spielerberatung, die nannten sie Spielerrat. In den Jahren danach versicherten sie sich gegenseitig immer wieder ihrer guten Vorsätze: ein Gegengewicht zu den vielen schwarzen Schafen des Gewerbes zu bilden, die sich durch grenzenlose Gier hervortun. So begrüßen sie sogar in einer Stellungnahme»die Aktivitäten des EIC imHinblick auf seine Recherchen in der Fußballbranche«. Die Gründer von Spielerrat heißen Daniel Delonga, Thorsten Wirth und Hannes Winzer. Sie hatten sich bei der Arbeit für den Sportartikelkonzern kennengelernt. Delonga war im Sportmarketing tätig, kümmerte sich um die deutschen Nationalspieler. Wirth, ebenfalls im Marketing, betreute auch Spieler im Ausland. Winzer war für das Fußball-Scouting verantwortlich. Ein erster großer Name in ihrem Portfolio war Per Mertesacker, mittlerweile vertritt Spielerrat etwa Jungnationalspieler wie Kai Havertz und Serge Gnabry.

Auch mit Lukasz Fabianski, 33, der heute bei West Ham United unter Vertrag ist, arbeitet die Agentur schon länger zusammen. Der polnische Nationaltorwart wurde zur Spielmasse in einem Deal zwischen den Beratern und Boldt. Fabianski hatte sieben Jahre lang in England für den FC Arsenal gespielt, wirklich durchsetzen konnte er sich nicht. 2014 lief sein Vertrag in London aus, und Fabianski wechselte innerhalb der Premier League ablösefrei zu Swansea City, wo er einen Kontrakt bis 2018 unterschrieb. Bei Swansea spielte der Torhüter eine fantastische erste Saison, er blieb in 13 Ligaspielen ohne Gegentor. Bei der Agentur Spielerrat ahnten die Firmengründer im April 2015, dass hier mehr Geld zu holen war. Wirth schrieb in einer Mail an seine Kollegen: »Wenn der Schachzug klappt, werden wir unseren Verdienst an Fab deutlich erhöhen.« Sie hatten offenbar eine Idee.

Kurz zuvor hatte Wirth seine Kollegen über das Geraune von Insidern informiert, das absolut vertraulich behandelt werden sollte: »Das kann ein brutaler Bumerang werden für alle beteiligten Personen, wenn das publik wird.« Wirth erzählte von einem vorgetäuschten Angebot, das ein Bundesligaklub, der einen Stürmer an einen anderen Bundesligisten verkaufen wollte, aus der Premier League eingeholt haben soll. Mit dieser Scheinofferte, die der Berater des Spielers eingefädelt haben soll, sei der kaufwillige Bundesligist so unter Druck gesetzt worden, dass er schließlich sein Angebot um zwei Millionen Euro erhöht habe. Von diesen Mehreinnahmen habe der Bundesligist, der den deutschen Junioren-Nationalspieler verkaufte, 800.000 Euro an den Berater weitergereicht. Wirth schrieb seinen Partnern: »Smarter Drecksau-Move. Kann man moralisch davon halten, was man will, es hat funktioniert.« Auf eine SPIEGEL-Anfrage erklären die Berater, sie hätten dieses Geschäftsgebaren ausdrücklich abgelehnt. In den Football-Leaks-Dokumenten klingt es etwas zwiegespalten: »Komplett verwerflich finde ich es nicht«, schreibt darin der Berater Delonga, aber es sei »nicht unser style«.

Wirklich nicht? Einige Wochen später kam dem Spielerrat-Trio die Idee, auch beim Klienten Fabianski einen »Drecksau-Move« anzuwenden. Helfen sollte ihnen dabei Jonas Boldt, damals Manager Sport bei Bayer Leverkusen. Fabianski hatte im Frühjahr 2014 bei Swansea City einen Vierjahresvertrag unterschrieben, der ihm 35.000 Pfund Grundgehalt pro Woche garantierte. Nach seiner ersten Glanzsaison forderte Spielerrat 50.000 Pfund für den Keeper. Im Gegenzug würde der Pole auf seine Ausstiegsklausel in Höhe von vier Millionen Pfund verzichten. Auch an sich hatten die Spielerberater gedacht: Bei einer Vertragsverlängerung um ein weiteres Jahr bis 2019 riefen sie für die erste Saison 760.000 Pfund Honorar auf, für die folgenden drei Jahre jeweils 480.000 Pfund. Machte eine Beraterprämie von 2,2 Millionen Pfund für die Verbesserung eines Vertrags, der noch drei Jahre gültig war.

Warum sollte sich SwanseaCity darauf einlassen? Die Waliser kannten den Markt und wussten, dass sich die Anfragen für einen 30 Jahre alten Torhüter, der zum ersten Mal in der Premier League eine Saison lang Stammtorhüter war, in Grenzenhalten würden. Das Trio von Spielerrat brauchte Druck, um seine Forderungen durchsetzen zu können. Swansea erklärte sich schnell dazu bereit, Fabianskis Gehalt wie gefordert zu erhöhen. Uneinigkeit herrschte jedoch bei der Ausstiegsklausel und den Honoraren für die Berater. Wirth informierte seine Partner: »Lukasz ist mega happy in Swansea, wir haben keine andere und vor allem bessere Option in der Hinterhand.« Trotzdem pokerten die Berater weiter.

Am 28. Mai 2015 starteten sie ihren eigenen »Drecksau-Move«. Wirth schrieb seinem Kollegen Delonga den Entwurf der »Boldt-Email«, wie er sie nannte. In diesem Schreiben formulierte Wirth im Namen des Managers, Bayer Leverkusen hinterlege »explizit« sein Interesse an dem polnischen Nationaltorwart. Man reagiere damit auf einen möglichen Verkauf von Leverkusens damaligem Stammkeeper Bernd Leno: »Sollten sich bei uns in der Personalie Leno Veränderungen ergeben, ist Lukasz mit seiner gezeigten Leistung in der vergangenen Saison und der skizzierten Ausstiegsklausel ein Top Kandidat für uns.« Spielerrat solle ihn, Boldt, deshalb unbedingt über die Gespräche mit Swansea auf dem Laufenden halten. Ziel sei es, ließ Wirth seine Kollegen wissen, diese vorformulierte Mail schon am kommenden Tag von Boldt zugeschickt zu bekommen. Er werde dann, nach seinen Worten »gefaked«, antworten, dass die Berater noch das Wochenende abwarten und exklusive Gespräche mit Swansea führen würden.

Noch am selben Tag schrieb Wirths Spielerrat-Kollege Delonga an Boldt und gab ihm die Anweisung: »Hi Boldinho, ich bedanke mich bei Dir schon mal für Deine Unterstützung bei Fabianski. Big big THX!!! Bitte sende folgende Email an Toto (gemeint war Wirth – Red.), die er dann auch beantworten wird und diese Konversation dann ggfs. an Swansea weiterleiten würde. Muchas gracias, dd«. »Boldinho« hatte offenbar keine Skrupel. Dabei wusste er, dass die Spielerberater seinen Managerkollegen in Swansea mit der Mail unter Druck setzen wollten. Der Leverkusener Manager schickte die vorgestanzte Mail am folgenden Tag an Wirth. Lediglich die Grußformel änderte er. Der Empfänger Wirth antwortete umgehend, das Schreiben kannte er ja bereits: »Danke Dir! Höchste Vertraulichkeit zugesichert! Ich antworte dir jetzt nochmal pro forma.« Seinen Kollegen schrieb Wirth: »Jonas tut uns einen Gefallen und sieht das alles entspannt. « Als Hannes Winzer, der Dritte im Bunde bei Spielerrat, davon erfuhr, schrieb er seinen Kollegen: »Ihr Ratten … Geiler Move.«

Der Manager Sport von Bayer Leverkusen, der Werkself, deren Gesellschafterin zu 100 Prozent die Bayer AG ist, ein Dax-Konzern, sah es angeblich entspannt, Beratern im Namen des Vereins eine Scheinofferte zukommen zu lassen, damit diese Berater ein Millionenhonorar abkassieren konnten. Warum tat er den Beratern diesen Gefallen? Als die Vertragsverhandlungen in Sachen Fabianski stockten, leitete Wirth die Konversation mit Bayer Leverkusen an Huw Jenkins, den Chairman von Swansea, weiter. Swansea habe lange genug Zeit gehabt, schrieb Wirth, er müsse jetzt zum Wohle seines Klienten handeln – obwohl der Klient nach eigener Aussage in Swansea glücklich war.

Die schmutzige Allianz funktionierte. Unter Druck verlängerte Swansea City den Vertrag mit Fabianski. Für die Berater sprang eine Kommission von insgesamt 1,3 Millionen Pfund heraus. Rudi Völler, Geschäftsführer Sport von Bayer Leverkusen, teilt auf SPIEGEL-Anfrage mit, dass man sich im Mai 2015 mit »diversen Torhütern als mögliche Nachfolge-Kandidaten« für Bernd Leno beschäftigt habe. Das habe man »in einigen Fällen auch an die Berater der jeweiligen Spieler kommuniziert«. Boldts Scheinofferte dementiert der Bundesligaklub nicht, lässt aber in Boldts Namen ausrichten, dass der Manager »niemals pekuniär an Transfers oder Vertragsverlängerungen von eigenen oder externen Spielern partizipiert« habe. Die Spielerrat-Berater ließen durch einen Anwalt mitteilen, dass man »unwahre und spekulative Berichterstattung« nicht hinnehmen werde. Leverkusen sei sehr wohl an Fabianski interessiert gewesen. Spielerrat habe das Ziel gehabt, »Klarheit« für alle Parteien zu erreichen.

Als Bayer Leverkusen unlängst den Abgang von Jonas Boldt ankündigte, sagte der Bayer-Manager, er sei nach 15 Jahren an einem Punkt angelangt, an dem eine Weiterentwicklung nur durch Veränderung möglich sei. Seinen Job übernahm zu Monatsbeginn der ehemalige Bayer-Kapitän Simon Rolfes. Bis zu seinem Abgang werde Boldt seinen Nachfolger Rolfes einarbeiten, teilte der Klub mit. Das Wort »einarbeiten« bekommt vor diesem Hintergrund in Leverkusen einen merkwürdigen Klang.

Quelle:  https://www.spiegel.de/sport/jonas-boldt-bei-bayer-leverkusen-schmutzige-allianz-mit-den-berater-buddys-a-00000000-0002-0001-0000-000161216193

Bei seiner Vorstellung 2019 beim HSV wurde Boldt auf den „Spiegel“-Bericht angesprochen und sagte dazu:

„Sicher war ich verwundert über den Artikel und die Darstellung. Eine Sache muss ich mir vorwerfen lassen: Dass ich mir damals eine vorformulierte E-Mail habe schicken lassen. Dass es ein Scheinangebot war, kann ich nicht bestätigen. Ich habe eine geringe prozentuale Chance gesehen, einen Ersatz für Bernd Leno zu bekommen. Der interne Konversationsverlauf der Agentur sieht unglücklich aus. Aber beruflich hat es mir nicht geschadet.“

Quelle:  https://hsv24.mopo.de/2019/05/26/das-sagt-boldt-zu-seiner-spiegel-affaere.html