„In Hamburg muss man sogar Siege erklären….“

Dieser Satz von Mediendirektor Wolf, ausgesprochen während einer Internet-Gesprächsrunde, kam mir gestern wieder einmal in den Sinn und er beschreibt meiner Meinung ziemlich exakt, wo eines der Hauptprobleme nicht nur des HSV, sondern auch der Stadt Hamburg liegt: Man lebt größtenteils in der Vergangenheit.

In Hamburg werden oft und gern Geschichten aus dem letzten Jahrtausend erzählt, als in der Speicherstadt sogenannte „Pfeffersäcke“ Millionen-Deals per Handschlag abwickelten. Verträge waren unnötig, das Hamburger Kaufmannsehrenwort genügte.

Keiner der Beteiligten hätte es damals gewagt, gegen diese ungeschriebene Regel zu verstoßen, er wäre für alle Zeiten aus dem Geschäft gewesen.

Von diesen Zeiten schwärmen alteingesessene und gebürtige Hamburger (ich bin ebenfalls einer) noch heute, viele haben jedoch vergessen bzw. verdrängt, dass es diese Zeiten selbst im ehrwürdigen und noblen Hamburg schon lange nicht mehr gibt. Die Zeiten sind nicht nur härter, sie sind auch unehrlicher geworden, wie ich selbst vor wenigen Tagen erneut zur Kenntnis nehmen musste.

Das Problem ist: Wer sich heute noch an die „alten“ Regeln hält, wer an Ehre, Ehrenwort, Absprachen und Zusagen glaubt, ohne sich schriftlich abzusichern, der wird scheitern. Scheußlich, aber es ist so.

Analog zur Sichtweise der traditionsbewußten alt-Hamburger verhält es sich mit dem 1. Verein der Stadt, man lebt in der Vergangenheit und bemerkt vielfach nicht, dass man von der (unschönen) Gegenwart eingeholt wurde und die Zukunft verpaßt.

Beim HSV wird oft und gern über alte Zeiten geredet. Tradition ist das Stichwort und viele Fans und Mitglieder schwelgen in Erinnerungen. Nur – diese Erinnerungen aus einem alten Jahrtausend trüben größtenteils den Blick für die Realität und lassen den eigenen Verein anders/besser aussehen, als er tatsächlich ist.

Der Hamburger Sport Verein ist ein ganz normaler Bundesliga-Club.

Zwar kommt er aus einer wunderschönen Stadt (bestimmt schöner als Mönchengladbach), hat ein tolles Stadion und großartige Fans (die haben die Gladbacher allerdings auch), aber wir reden hier nicht von den äußeren Umständen, sondern vom Verein. Und dieser Verein ist, viele mögen es immer noch nicht umreißen, ein normaler, durchschnittlicher Bundesligist.

Wenn diese Tatsache endlich einmal in die Köpfe vieler Traditionalisten gelangen würde, wäre viel erreicht. Weil – diese unangebrachten Ansprüche, diese Erwartungen an Spieler, Trainer, Talente etc. sind es (unter anderem), die einer organischen Entwicklung wie z.B. in Freiburg, Mainz, neuerdings Frankfurt im Wege steht.

Der HSV und seine Fans reihen sich bei dieser verklärten Sichtweise in die Riege der Vereine Köln, Hertha und früher Frankfurt ein, bei denen ebenfalls ein dauerhafter „Link“ der Anhänger zwischen Größe und Bedeutung der Stadt und Erfolg des Vereins hergestellt wird.

Der HSV beginnt in den Augen seiner Fans jede Saison grundsätzlich zwischen Platz 2 und 6, weil er in den Augen der Fans eben genau dort hingehört.

 

Wie oft liest man solche Sätze ganz zu Beginn der Tätigkeit eines neuen Trainers oder eines neuen Sportchefs ?

„Der HSV hat Tradition, der HSV hat ein tolles Umfeld, tolles Stadion, tolle Fans. Mittelfristig gehört der HSV nach Europa“

 

Solche oder ähnliche Sätze hatte wohl ein jeder Trainer der letzten 15 Jahre von sich gegeben, bevor er dann von der harten Realität getroffen wurde. Fakt ist: Der HSV hatte in den letzten Jahren (völlig unabhängig vom Spieler-Etat, es ist bekannt, dass der HSV in den letzten Jahren für zuwenig Leistung zuviel bezahlt hat) eine Mannschaft, die eben nicht dauerhaft nach Europa gehörte. Die Mannschaft ist Bundesliga-Durchschnitt, das muss akzeptiert werden . 

Bedauerlicherweise wird es aber nicht akzeptiert und genau das ist einer der Gründe, weshalb die Ansprüche der Fans nicht mit der Realität korrelieren.

Eine Betrachtung der Saisons 2001/02 bis 2013/14

VfB Stuttgart: 15., 8., 2., 4., 5., 9., 1., 6., 3., 6., 12., 6., 12., 7.

Werder Bremen: 7., 6., 6., 1., 3., 2., 3., 2., 10., 3., 13., 8., 14., 9.

Gladbach: -., 12., 12., 11., 15., 10., 18., -., 15., 12., 16., 4., 8., 4.

HSV: 13., 11., 4., 8., 8., 3., 7., 4., 5., 7., 8., 15., 7., 15.

Wo bitte ist der HSV besser als Bremen, Stuttgart oder Gladbach ? Weil er in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts das letzte Mal Meister geworden ist ?

Für die Zukunft gibt es meiner Meinung nach nur zwei Möglichkeiten.

1. Die Fans und Mitglieder des Verein relativieren ihre Ansprüche und erkennen die Tatsachen. Sie erlauben der Vereinsführung und den sportlich Verantwortlichen Jahre des organischen und nachhaltigen Aufbaus mit geringen finanziellen Mitteln. Hierzu wäre es dringend notwendig, ebenfalls die ortansässigen Medien ins Boot zu holen und darauf zu drängen, den medialen Druck auch bei längerem ausbleibendem Erfolg so gering wie möglich zu halten.

Erfolgsaussicht: 0,1 %

2. Der HSV unterzieht sich einer Strukturanpassung, generiert neue finanzielle Mittel und tut das, was andere Vereine weltweit auch tun, deren Mitglieder und Fans von ihrem Club dauerhaften sportlichen Erfolg erwarten – er kauft sich die Tore.

Am 19.01.2014 haben die Mitglieder die große Chance, die Wahl zu treffen. Vielleicht zum letzten Mal.