Liebe Leser,

betrachtet man die 17 Spiele der Hinrunde, so müsste eigentlich auch dem größten Jubler aufgefallen sein, dass es beim HSV dieser Tage auf dem Weg nach vorn hapert, oder? 9 Tore in 17 Spielen sind nicht nur nicht akzeptabel, sie sind im bezahlten Fußball einmalig und in ihrer Dimension unfassbar. Allein der Umstand, dass es einer Mannschaft gelungen ist, mit 9 erzielten Treffern 17 Punkte einzufahren, macht in Zeiten von Atom-Scouting und Video-Analyse sprachlos.

Was tut also ein Verein, der seine offenkundigen Schwächen ausgemacht hat? Richtig, er bessert nach. Dies tun alle Vereine weltweit, so sie denn die finanziellen Mittel dafür besitzen. Hinzu kommt der Versuch, sich auf den letzten Drücker von Spielern zu trennen, die

a. nach Auffassung der Übungsleiter nicht mehr benötigt werden

b. deren Verträge in 6 Monaten ohnehin auslaufen und bei denen man hofft, zumindest noch ein wenig Ablöse kassieren zu können.

Das Transferfenster der Transfer-Periode Winter 2015 ist seit dem 01.01.2015, also seit exakt 27 Tage offiziell eröffnet und die Bemühungen der zahlreichen Exzellenzen des Hamburger Kuschelvereins zeichnen sich durch die gleiche Erfolglosigkeit aus, die man schon in den letzten Jahren beobachten konnte. Doch während sich bei den Sportchefs Arnesen und Kreuzer zu diesem Zeitpunkt bereits Fan-interne und besonders mediale Unmuts-Äußerungen aufgrund dieser bescheidenen Performance breit gemacht hätten, ist in diesen Tagen alles supi.

Sportchef 2.0, Dietmar Beiersdorfer, erzählt irgendwas von einem Domino-Effekt, wonach erst einmal ein großer Transfer den Weg für viele kleine Transfers öffnen müsse und alle folgen ihm. Als Frank Arnesen dies vor einigen Jahren anführte, wurde er als Dummschwätzer gebrandmarkt, so ändern sich die Zeiten.

Komisch nur, dass dieser Domino-Effekt scheinbar nur den HSV betrifft, denn alle anderen Verein kaufen und verkaufen munter drauflos. An den fehlenden Mitteln kann es ebenfalls nicht liegen, denn Karl Gernandt hatte ja bereits vor dem Einstieg Kühnes erklärt, dass man auf dem Transfermarkt durchaus handlungsfähig sei.

Was also ist es? Sind nicht genügend Spieler mit schweizer Fußball-Vergangenheit auf dem Markt? Möchte etwa niemand mehr seine Zelte in Hamburg aufschlagen?

Damit man mich richtig versteht: Besonders in Zeiten, in denen ein Verein mehr als € 100 Mio. Verbindlichkeiten vor sich herschleppt, muss mit dem Geld vernünftig umgegangen werden. Panik-Käufe, überhastete Aktionen oder Geldverbrennungen a la Djeng, Streit und Co. kann sich besonders der HSV nicht mehr leisten.

Dennoch muss man diese Fragen stellen dürfen. Hat sich der HSV möglicherweise zu lange an einem Josip Drmic geklammert, obwohl man doch aus eigener Erfahrung weiß, wie ätzend dieser komische Plastikverein aus der Nähe von Köln werden kann, wenn es um Transfers geht? Das Ziel von Transfers ist doch grundsätzlich eine unmittelbare Verstärkung und die sollte bestenfalls zu Beginn des jeweiligen Trainingslagers eintreffen. Diese Chance ist verpasst, denn wer auch immer jetzt noch kommen sollte, er wird Wochen brauchen, um sich anzupassen.

Die vorerst letzte Meldung hinsichtlich einer Offensiv-Verstärkung heißt nun Paolo Guerrero und sie würde all das konterkarieren, was die neuen Machthaber zu Beginn ihrer Amtszeit propagiert haben. Junge Spieler mit Perspektive und keine alternden Profis sollen es sein. Spieler mit Entwicklungspotenzial. Sollte man sich jetzt tatsächlich auf Guerrero einigen, wäre dies eine Bankrott-Erklärung für alles, was Spielerbeobachtung und Scouting heißen möchte.

Auch hier bitte wieder richtig verstehen – ich halte extrem viel von Paolo. Ein Spieler seiner Art fehlt dem HSV, aber dem HSV fehlt eben nicht Paolo Guerrero. Der Peruaner ist mittlerweile 31 Jahre alt und wie sich Rückholaktionen beim HSV ausgewirkt haben, kann man aktuell noch am Beispiel van der Vaart erkennen.

Immerhin sind die Hamburger einen Spieler losgeworden, den man nicht mehr in der Hansestadt sehen wollte. Tolgay Arslan geht jetzt doch zu Besiktas Istanbul (und nicht zu Galatasaray, „Herr Scholz“) und bringt tatsächlich noch ein wenig Geld in die leeren Kassen. An dieser Stelle tut sich allerdings ein neues, vereins-internes Problemchen auf, denn sollte die Story tatsächlich stimmen, dass sich Arslan bei Trainer Zinnbauer durch Kritik unbeliebt gemacht hat, die von Co-Trainer Rahmen gehört und an seinen Chef weitergegeben wurde, dann ist Rahmen in der Mannschaft unten durch.

Trainer-Spitzel werden in einer Fußballmannschaft höchst ungern gesehen, in der Kabine gilt normalerweise das Gesetz:“Was in Vegas passiert, bleibt in Vegas“. Rahmen aber soll auf der Stelle zu Zinngruber gerannt sein („Spieß ich weiß was, im Keller brennt noch Licht“) und der harte Joe sortierte den Türken aus.

Anyway, noch haben wir 5 Tage und den Rest von heute. Vielleicht gelingt den beiden Sportchefs ja doch noch ein Überraschungs-Coup. Wenn nicht, wenn man von dem Spieler, der sich anbietet, nicht zu 100% überzeugt ist, sollte man es lassen und Abstand nehmen. Im Sommer laufen zahlreiche Verträge aus und der HSV wird jeden Cent benötigen, um auch für die nächste Saison eine schlagkräftige Truppe zusammen zu bauen. Hoffentlich dann in der ersten Liga.