Mein Gott, früher konnte ich die Tage zwischen den Spieltagen nicht ertragen. Die Stunden zwischen Samstag, 17.20 Uhr und Samstag, 15.30 Uhr waren die reinste Folter und ich konnte den Anpfiff zum nächsten Pflichtspiel nicht abwarten. Heute weiß ich nicht mal mehr, wer wann überhaupt gegen wen spielt. Ich habe den Überblick über die unzähligen Wettbewerbe verloren und will gar nicht mehr wissen, wann welche WM, EM oder was auch immer beginnt oder endet. Ihr habt meinen Fußball zerstört. 

Das Schlimme ist: Ich weiß, dass es nicht allein am Alter liegt, denn auch heute rennen noch Milionen übergewichtiger Ü-70er in zu engen Trikots rum, das kann es also nicht sein. Auch bin ich nicht sonderlich nostalgisch veranlagt, ich lebe im hier und jetzt, Vergangenheitsoptimierung ist mir ein Greul und ich kann den Spruch „Früher war alles besser“ weder ertragen noch akzeptieren. Und trotzdem habt ihr meinen Fußball zerstört.

Ihr habt ihn zerstört, indem ihr versucht habt, aus einem einfachen Sport eine Raketenwissenschaft zu machen. Halbräume, Wandspieler, abkippende Halbsechser, Laserpässe, ungefüllte Zahnzwischenräume. Ihr habt euch Schwachsinnigkeiten ausgedacht, um euch selbst eine Existenzberechtigung zu geben und davon zu profitieren.

Ihr habt ihn zerstört, indem diejenigen, die über diesen Sport berichten, nichts anderes mehr sind als Fanboy-gesteuerte Profibegleiter und Hofberichterstatter mit Angst um die eigene Existenz. Hintergründe gibt es nicht mehr, sie sind durch Homestories und Berater-bezahlten Content ersetzt worden. Der Sport-Journalist von gestern ist durch den ahnungsbefreiten Sport-Verkäufer ersetzt worden.

Ihr habt ihn zerstört, indem ihr euch Wettbewerbe einzig zum Zweck der Profit-Maximierung erdacht habt, weder das Wohl der Spieler, noch das Wohl des Zuschauers liegt euch am Herzen. Euch geht es um eure Brieftaschen, um eure Luxusautos und um eure Steuervermeidung. Der Fußball ist lediglich ein Transporteur für einen vermarktbaren Inhalt geworden.

Ihr habt ihn zerstört, indem ihr Eintrittsgelder für Scheißdreck verlangt, ohne jegliche Gegenleistung. Das Spiel eines Zweitligisten gegen einen noch schlechteren Zweitligisten kostet heute teilweise mehr als noch ein Champions League-Match vor 4 Jahren. Heute müsste ich mehr Geld hinterblättern um Diekmeier zu sehen als noch vor kurzem für Messi. Warum das so ist, ist ebenfalls klar – ihr wollt verdienen. 

Ihr habt ihn zerstört, indem ihr wirklich alles austauschbar gemacht habt. Früher gab es Idole, heute ist wirklich jeder Spieler austausch- und ersetzbar geworden. Die Summen, die diese Spieler „verdienen“ und die Summen, die für diese austauschbaren Fußball-Roboter bezahlt werden, haben einen hochgradig kranken Grad an Perversion erreicht, für normal-denkende Menschen ist dies weder greifbar noch nachvollziehbar. 

Ihr habt ihn zerstört, indem ihr die Welt mit Übertragungen überflutet, so dass wirklich niemand mehr weiß, warum gerade wer live auf DAZN oder RTL 2 gegen wen spielt. Es gibt keinen Spannungsbogen mehr, es gibt keine Wartezeit mehr, die einen leidenschaftlich quält. Heute kann ich an 360 Tagen im Jahr live ein Gebolze „genießen“, das den Begriff Profi-Fußball ad absurdum führt. Warum? Weil ihr damit Geld verdienen könnt. 

Ich könnte heute noch ohne Probleme die Startaufstellung der Weltmeistermannschaft von 1974 runterbeten, aber ich kenne ich keine 7 Spieler, die beim Spiel KSV gegen Paderborn beim Anpfiff auf dem Platz gestanden haben. Und es interessiert mich auch nicht mehr. 

Ihr habt meinen Fußball zerstört, weil es euch nicht mal mehr im Ansatz um den Sport selbst geht. Während der Corona-Krise habt ihr gejammert und geklagt, aber nicht, weil euch der Fußball gefehlt hat. Ihr hattet Angst um eure eigene persönliche Gewinnmaximierung. Ihr habt gefragt, was denn der Profi-Fußball falsch gemacht hätte und allein die Frage zeigt eure existentielles Unwissen und eure Ignoranz der Bedürfnisse. Ihr habt erklärt, dass sich der Profi-Fußball neu erfinden müsse, aber geändert habt ihr – nichts. Weder wurde an der Gehaltsstruktur noch am Transferwesen gedreht, es läuft alles so weiter wie bisher. Warum? Weil ihr weiter verdienen wollt. 

Ihr habt ihn zerstört, weil ihr die Welt mit Unwichtigkeiten und Unwahrheiten flutet mit dem einzigen Zweck: Gewinnoptimierung. Nachrichten müssen weder wahr noch aktuell sein, sie müssen angeklickt und konsumiert werden. Den letzten objektiv-kritischen Journalisten zieht ihr den Stecker, weil ihr ihnen signalisiert, dass sie nicht mehr in eine Gewinnsteigerungs-Gesellschaft passen, sie stehen ihr im Wege. Die Folge ist eine vereinheitlichte oberflächliche Berichterstattung mit einem Höchstmaß an Unmaßgeblichkeit. 

Jeden Tag schießt neuer pseudo-medialer Schwachsinn wie Unkraut an die Oberfläche, einzig mit dem Zweck, Klicks zu generieren und Geld zu machen. Ob eine Nachricht richtig oder falsch ist, interessiert euch nicht, ganz im Gegenteil. Ihr kreiert eine Gesellschaft/Fan-Gemeinschaft, die orientierungslos eurer Propaganda folgen soll und genau so schnell, wie ihr da wart, seid ihr wieder weg. Ihr fühlt weder Verantwortung noch eine Liebe zu dem Sport, wie ich ihn eins empfunden habe und wie ihn Millionen andere ebenfalls empfunden haben. Ihr tötet diese Liebe. Vorsätzlich. Aus purer Gewinnsucht. 

Ihr habt ihn zerstört und ihr kriegt ihn nicht mehr repariert. Jegliche erzwungene Änderung würde lediglich wie ein Placebo wirken, mit dem ihr eine Fortführung eurer Raffgier kaschieren wollt. Ihr habt mich verloren und ihr habt viele wie mich verloren. Jemand mit inhaltlicher Alternative wendet sich heute diesem austauschbaren Ex-Sport nicht mehr zu, sondern sucht sich andere Betätigungsfelder. Ihr wisst das und deshalb presst ihr jetzt die letzten Tropfen Milch aus der alten Kuh, bevor sie verreckt. Übrig bleibt dann die Ruine einer Sportart und einige sehr reiche Männer. Ihr kotzt mich an!