Ein Gastblog von Alex

Schon am Abend der ersten Trainingseinheit fiel mir eine ganze Armada von Greenkeepern auf, die die Neuankömmlinge äußerst skeptisch bei ihren Leibesübungen beobachtete und unmittelbar nach Trainingsende mit einer akribischen Rasenpflege anfing, die jedesmal (!) mit dem Mähen der gesamten Rasenfläche beendet wurde, jeden Tag und bei jedem Wetter. Über die Einheiten verteilt waren diese Jungs, die alle ehrenamtlich fleißig waren, wirklich interessante Gesprächspartner, insbesondere darüber, wie der HSV aus der Distanz wahrgenommen wird und auch wenn man in der Region um den Chiemsee nicht zwingend FC Bayern-Fan ist, in der Fassungslosigkeit, wie der HSV in den letzen Jahrzehnten danieder gegangen ist, sind sich alle einig. Aber es gab natürlich auch anderen Themen, wie z.B. die erstaunlich gute WLAN-Qualität auf dem gesamten Trainingsgelände, was bis zum letzten Winkel des Hauptplatzes mit einer hohen Signalstärke versorgt wurde und das auch noch mit einer fetten Bandbreite, womit ich letztendlich meine smarte Lösung gefunden hatte. Im Verlauf der Tage kannte man sich dann und mir wurde sogar Einsicht in die Netzwerktechnik der Anlage gewährt inkl. einer Richtfunkantenne, die eine versteckte Kamera auf einem Flutlichtmast ansteuerte, mit der man das gesamte Training hätte aufzeichnen können. Nur ein Schelm, dem dabei ein Hack dieser Webcam in den Sinn gekommen wäre, mit dem man dann einen „inoffiziellen“ Live-Stream auf YouTube produziert hätte… Aber es wurde auch über die Qualität und Intensität des Trainings gefachsimpelt. Unter Anderem fanden in Grassau die Trainingslager von Ferencvaros Budapest, Schachtar Donezk, Olympique Marseille und Mainz 05 sowie regelmäßige Schiri-Lehrgänge des DFB statt. Angeblich musste sich der HSV mit seinem Training keineswegs hinter diesen Mannschaften verstecken, was das subjektive Gefühl, dass Tim Walter dort so richtig Gas gibt, nochmal von neutraler Seite bestätigte.

Spannend waren auch die Gespräche mit spontan angereisten Gästen und Einheimischen, die sich der Strahlkraft des ehemals großen HSV nicht entziehen konnten. Angefangen beim pubertierenden Dorfjugendlichen, der sich heimlich als HSV-Fan outete, das aber vor seinen Kumpels verheimlichen musste, um sich dem sicheren Spott zu entziehen, der sich dann bei uns (Grüße an Mr. Rain Air) darüber echauffierte, dass sich die Spieler von Bayern München beim Kurz-Trainingslager kurz vor Saisonende über den erneuten vierten Platz des HSV kaputt gelacht hätten und er Thomas Müller dafür am liebsten bestraft hätte, wie süß. Oder die zufällige Zusammenkunft mit einem ca. 50-jährigen HSV-Fan aus Worms und dem gleichaltrigen Vorsitzenden des Gemeinderates von Grassau, die in ihren Haltungen nicht unterschiedlicher hätten sein können. Zunächst ging es in dieser Viererunde ganz allgemein um die Gründe für den Niedergang des HSV. Nach den üblichen Alibi-Argumenten wie Pech (!) platzte mir irgendwann der Sack und ich brachte mal eben meine Interpretation des angeblichen HSV-Virus ins Spiel, nämlich die Faktoren Faulheit, Arroganz und Inkompetenz. Während sich der Sportsfreund aus Worms vollkommen irritiert zeigte und ganz nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, diese weltlichen Gründe kategorisch ausschloss, weil doch auf allen Ebenen Experten beim HSV in der Verantwortung stünden (lorl), gingen beim Gemeinderat alle Lampen an und er war regelrecht erleichtert, dass endlich mal jemand aus Hamburg genau das aussprechen würde, was er schon seit Jahren vermutet hatte. Daraus entwickelte sich ein hochemotionales Gespräch über dieses Thema mit dem Ergebnis, dass in Worms weitergehüpft wird und der Gemeinderat nun Leser dieses Blogs ist. Dabei enstand auch die nicht ganz ernstgemeinte These, dass Tim Walter wohl früher oder später gehen muss, weil er zu hart trainiert hat. Wie schon angedeutet sind solche Gespräche die eigentliche Essenz so einer Reise zu einem Trainingslager des HSV. Auch gab es wunderbar sarkastische Unterhaltungen mit einigen neutralen Medienvertretern, die nicht der Spezies der Hofberichterstatter angehören und mit denen man ganz offen über den gesamtdefektiösen HSV fachsimpeln konnte. Die Kehrseite der Medaille bei diesen Veranstaltungen sind die verstörenden Präsenzen von schwerst alkoholisierten Orks, denen man besser aus dem Weg geht und die leider alles dafür tun, das bereits ramponierte Image des Vereins immer weiter zu beschädigen. Unabhängig von dieser unheimlichen Begegnung der dritten Art bestand die größte Herausforderung in der permanenten Anwesenheit der Herren Boldt und Mutzel. Auch wenn man sich vorrangig für die Trainingsinhalte interessiert, war es für mich unerträglich, dass die unmittelbar Verantwortlichen für das Versagen der letzten Jahre dort ständig rumturnten. Selbstoptimierer und Heimschläfer Boldt erinnerte in seinem Outfit an einen Tennislehrer, der den Weg zum anliegenden Golfplatz suchte, während Taschenbillardspieler Mutzel wie eine Karikatur von Siegfried Schwäbli mit seinem albernen Regenschirm durchs Bild schlarzte. Immerhin blieb uns ein Zusammentreffen mit Präsident Pinselreiniger erspart. Von den perfiden Machenschaften des korrupten Beirats hatten die illustren Gesprächspartner übrigens keine Ahnung und die Erwähnung eines Produktes mit dem Namen Le Coq Rock wurden von Allen als Satire abgetan.

Zum Thema Mitgliederversammlung halte ich lieber mal die Fresse, besser isses. Deshalb noch ein kurzer Rückblick auf das Testspiel vom vergangenen Samstag gegen Basel, welches ich mir live im Stadion angetan habe. Ich fand das Spiel ziemlich ernüchternd, weil sich eigentlich kaum etwas geändert hat. Der HSV kann weiterhin keine offensiven Spielzüge und auch dieser Trainer setzt auf falsche Spieler: Im Sturm auf den personifizierten Antifußballer Jatta und in der Innenverteidigung auf den zwar verbesserten, aber immer noch schlafmützigen Jonas David. Beide Projekte sind zum Scheitern verurteilt, falls Tim Walter tatsächlich an dieser Entscheidung festhalten wird. Kittel für Jatta und Heyer für David wären eindeutig die bessere Wahl. In dem Zusammenhang wurde die Frage gestellt, wie ich die Arbeit des neuen Übungsleiters abschließend beurteile und möchte Bezug nehmen auf die Anmerkung von Abräumer, dass einige Spielformen zu praxisfremd sind und bestimmte Übungen von den falschen Spielern trainiert wurden. Mein grundsätzliches Wohlgefallen an der deutlichen Steigerung der Trainingsintensität und dem technischen Niveau der Übungsformen unter Walter ist ungebrochen, aber es ist eben auch nicht mehr als die Rückkehr zur Normalität im Profifußball. Was notgedrungen bisher vollkommen auf der Strecke bleiben musste, ist das Einstudieren von offensiven Spielzügen, die Entwicklung einer Spielidee, die deutlich über die Schlagworte Ballbesitz, Dominanz und Mut hinausgeht. Nachdem im Trainingslager zunächst Basics wie Kurzpasssicherheit, Pressingresistenz und Handlungsschnelligkeit sowie „reichlich Körner antrainieren“ auf der Tagesordnung standen, müsste der Fokus nun auf der Etablierung eines oder mehrerer Spielsysteme liegen, sollten taktische Formationen ausprobiert und festgelegt werden und dabei die Fähigkeiten der Spieler unbedingt berücksichtigt werden. Auch Standards und Torabschlüsse lassen weiterhin zu wünschen übrig und müssten nicht nur intensiv trainiert werden, sondern auch eine Komponente der Verbesserung durch direkte Interaktion der Trainer mit den Spielern beinhalten, das fehlt mir bei Walter noch komplett. Viele Spieler flanken und schießen in den Einheiten zwar häufig, aber meistens eben in unterirdischer Qualität und dennoch rennt niemand aus dem 7-köpfigen Trainerteam wie ein durchgeknallter Louis de Funes auf die Wiese und erklärt dem Spieler wild gestikulierend seinen Fehler und wie er es besser machen könnte. Grundsätzlich interagiert Walter zwar deutlich mehr mit den Spielern als seine Vorgänger, aber dummerweise ist der Kader immer noch nicht vollständig und aufgrund zahlreicher Verletzungen werden nicht wenige Spieler die intensive Sommervorbereitung vollständig verpasst haben, was nicht unbedingt förderlich für die Entwicklung des Mannschaftsgefüges ist, obwohl sich schon erste Strukturen um den neuen Kapitän Schonlau andeuten, die sich aber erstmal festigen müssen. Das Trainerteam um Tim Walter steht also vor der Herausforderung, die oben genannten Aufgaben während der laufenden Saison in das Training zu integrieren und gleichzeitig nicht zu überpacen. So langsam läuft Walter die Zeit davon, sodass er Prioritäten setzen und den Saisonstart irgendwie über die Bühne bringen muss.

Zum Abschluss noch ein Ausblick auf das Spiel gegen Schalke und die möglichen Stolpersteine für den neuen Übungsleiter, der sich heute in seiner zweiten Pressekonferenz den gewohnt dämlichen Fragen der Tschornalisten stellen musste und am Ende den Weg in die Flucht nach vorn suchte: Immer her mit Schalke, was weg ist, ist weg. Kann man so machen, bloß klappen muss es auch. Niemand darf sich wundern, wenn Simon Terodde den HSV im Alleingang abschießt, was für ein episches Versagen von Boldt, dass er Terodde nicht ausreichend wertschätzen wollte. Der HSV wird auf absehbare Zeit nie wieder einen Stürmer haben, der trotz mentaler Schwächung durch den Einfluss der Wohlfühloase 24 Tore in einer Saison schießt. Unabhängig davon, wie der Kader final aussehen wird, sehe ich das größte Problem für den HSV in den ungeklärten Hierachien zwischen den neuen Spielern wie Schonlau, Meffert, Reis, Muheim, Glatzel, Kaufmann und nicht verarbeiteten Altlasten der verbliebenen Platzhirsche Leibold, Dudziak, Kinsombi, Gyamerah und Kittel. Zusätzlich meine ich, eine unterschwellige Feindlichkeit einiger etablierter Spieler gegenüber Reis ausgemacht zu haben, der ganz unvoreingenommen versucht, in eine Rolle als Spielgestalter hineinzuwachsen, aber manchmal regelrecht geschnitten wird. Hier wird es darauf ankommen, dass die potentiell starken Kreativspieler Kittel und Reis schnell zueinanderfinden und der junge Holländer auch in der Mannschaft akzeptiert wird. Hier darf der harte Hund Tim Walter gern mal zeigen, dass er im Umgang mit den Spielern dazugelernt hat. Besonders spannend finde ich die Rolle von Suhonen, dem ich ein ganz erhebliches Potential unterstelle, welches aber unbedingt gefördert und entwickelt werden muss. Leider hat ihn seine Oberschenkelverletzung komplett ausgebremst, sodass er seine beeindruckenden Leistungen aus dem Trainingslager nun erstmal durch gute Auftritte unter Wettkampfbedingungen bestätigen muss, falls Walter ihn denn ranlässt. Ich würde mir wünschen, dass der Trainer den Mut hat, eine Offensivabteilung mit den Spielern Kittel, Reis, Suhonen und Wintzheimer zu etablieren, eine passende taktische Formation darf er sich gern dazu schnitzen, schließlich ist er der Fußballlehrer. In diesem Sinne…

Es gibt übrigens wieder eine Tipprunde. Sei dabei…

https://www.kicktipp.de/dasende22/