Zum Ablauf und zu den Nachwehen der gestrigen Mitgliederversammlung wurde schon auf allen Kanälen ausführlich berichtet, deshalb erlaube ich mir, meine persönlichen Eindrücke nachzuliefern.

Ich war da. Bis zum bitteren Ende. Und ich habe das Grauen gesehen (R.I.P. Colonel Kurtz). Kennt ihr das Gefühl? Man kommt irgendwo rein, sieht die Leute und weiß sofort, dass man mit fast niemandem von denen etwas zu tun haben möchte. Genau das war mein Eindruck, als ich auf der Westtribüne im Block 18A Platz nehmen sollte, es dann aber doch vorzog, das befremdliche Geschehen aus einer sicheren Distanz zu verfolgen. Während ich mich fragte, was ich hier mache, fiel mir auf, dass ich mich von den räumlichen Koordinaten ziemlich genau dort befand, wo wir früher im Block E der Westkurve gestanden haben. DAS war MEIN persönliches Stimmungs-Highlight dieser Veranstaltung und nicht der alberne Jubel über das Pokalaus von Werder Bremen. Kurz darauf wankte noch ein Kuttenträger der Nord in voller Montur durchs Bild; der Typ sollte jedoch der einzige bleiben, den man zweifelsfrei der spärlich gesäten Spezies „aktive Fanszene“ zuordnen konnte.

Auf früheren Mitgliederversammlungen war ich immer damit beschäftigt, verschiedene Bereiche der Halle zu erforschen und mich spontan auf freie Plätze zu setzen, um einfach mal zu hören, was der gemeine HSV-Fan so von sich gibt. Spätestens nach drei Platzwechseln war klar, warum das anwesende Stimmvieh immer wieder auf die jeweiligen Sprücheklopfer und Totengräber reinfällt: Weil sie einfach nicht raffen, was los ist. Weil sie fest davon überzeugt sind, dass beim HSV kompetente Experten zu Gange sind. Weil sie jeden Scheiß glauben, der ihnen vorgesetzt wird. Und weil sie die Raute im Arsch haben. Dieses Mal musste ich mich corona-bedingt auf einige wenige Exkursionen beschränken, aber trotzdem war es noch viel schlimmer als sonst. Und es bestätigt sich immer wieder: Das größte Kapital des HSV ist die Dummheit seiner Fans.

Irgendwann brauchte ich eine Auszeit von den verstörenden Darbietungen, insbesondere von Boldt und Wetzstein, was für unerträglich arrogante Gestalten. Also raus ausm Trichter und ab nach Hause oder in diesem Fall viel interessanter, zum Abschlusstraining, was „zufällig“ um die Ecke stattfand. Nach der obligatorischen Begrüßung von Mr. Rain Air musste ich mit Entsetzen feststellen, dass die Trainingseinheit erneut nur aus einem Abschlussspielchen und einigen müden Standards bestand, kaum 40 Minuten lang. Obwohl der Boss und seine Co-Trainer verbal voll dabei waren, war die Intensität deutlich herabgesetzt, die abschließenden Torschussübungen waren qualitätsmäßig auf dem Level von Freizeitkickern. Was mir aber wirklich Sorgen bereitet, sind die letzten Auftritte von Suhonen. Der quirlige Youngster wirkt teilweise wie ein Fremdkörper, so als ob er gemieden oder ignoriert wird. Keine Ahnung, ob das noch an den Folgen der Oberschenkelverletzung liegt oder ob hier das nächste Talent verabschiedet wird, seine Körpersprache ist jedenfalls im Vergleich zum Trainingslager deutlich introvertierter.

Zeitgleich mit der Mannschaft ging es danach wieder zurück ins Stadion, wo es dann mit der Vorstellung der Kandidaten weiterging. Jansens Auftritt war unterirdisch, eines zukünftigen Vereinspräsidenten unwürdig und wie so häufig nur noch zum Fremdschämen: Lügengeschichten, diffuse Ankündigungen und großspurige Versprechungen. Und dann folgte die Wahl selbst: Knapp 400 von 83.000 Mitgliedern durften übers Smartphone abstimmen, das traurige Ergebnis ist bekannt.

Und was hat das Ganze nun mit Gorbis Spruch zu tun? Damit nehme ich Bezug auf Jürgen Hunke und seinen fragwürdigen Auftritt zum Ende der Veranstaltung. Obwohl er genau das verhindern wollte, musste sich der Buntbetuchte ganz hinten anstellen. Leider nutzte er die verbliebene Redezeit nur dazu, seine Verdienste um den Verein hervorzuheben und sich als Ehrenmann darzustellen, der „hofft, dass ich noch mit 100 hier stehen werde.“ Passend zu Hunkes Anmerkung, „dass wir alle bei der Ausgliederung betrogen wurden“ verkündete der durchtriebene Versammlungsleiter und Hüter der Räterepublik Kai Esselsgroth unmittelbar vor Hunkes Rede, dass „die Bratwürste fertig sind“, was zur Folge hatte, dass sich nochmal 50 Mitglieder absentierten und nicht wiederkamen, was Hunke schließlich dazu brachte, all seine Anträge an einen Ausschuss des Präsidiums zu übergeben und auf die Abstimmung zu verzichten. Sorry lieber Herr Hunke, selbst wenn Ihr Engagement ernst gemeint war, es kam 10 Jahre zu spät und Ihre früheren Sünden sind dadurch weder vergeben noch vergessen.

Bleibt nur noch anzumerken, dass es gestern KEIN guter Tag für den HSV war.