Das Nord-Derby liegt an. Normalerweise wäre mir dieses Spiel einen eigenen Blog wert, aber nachdem der unsympathische Konkurrent von der Weser es tatsächlich fertiggebracht hat, sich ebenfalls aus der Bundesliga zu verabschieden, treffen die beiden Versagerklubs nun am Samstag erstmalig in der zweiten Liga aufeinander. Und während die verblödeten Dauerhüpfer und sensationsgeilen Eventfans schon wieder im Derby-Fieber sind, löst diese Begegnung bei mir kaum noch Begeisterung aus. Viel mehr frage ich mich in diesen Zeiten, ob der HSV überhaupt jemals die zweite Liga wieder verlassen wird, wobei nicht mal klar ist, in welche Richtung. Nachdem die aktive Fanszene unmissverständlich artikuliert hat, dass die Derbys gegen St. Pauli und Werder Bremen einen deutlich höheren Stellenwert haben, als das seit vier Jahren ausgegebene Ziel des Wiederaufstiegs, scheint diese Sichtweise das gesamte Umfeld des HSV wie Mehltau zu überziehen. Immer mehr Leute arrangieren sich mit der Rolle des HSV als durchschnittlicher Zweitligist, der weder den Wiederaufstieg anstreben sollte, noch einen Zeitplan für welches Ziel auch immer ausgeben braucht.

Und nachdem mit dem Trainer Tim Walter nun auch die letzte Bastion im Kampf gegen die Wohlfühloase gefallen ist und dieser ebenfalls vom HSV-Virus infiziert wurde, darf man sich im Volkspark auf Monate der Tristesse einstellen. Walter wurde so eingenordet, dass er die Spieler beim Training nicht mehr überfordert und ihm dafür Ruhe bei der Arbeit mit der Mannschaft zugesichert. Boldt und Mutzel werben auf allen Ebenen für Geduld und Sanierer Wetzstein wurde mit den Geschenken der Stadt und des Bundes erstmal reichlich Luft verschafft. Auf einen Vorstandsvorsitzenden, der sowas wie eine Leistungskultur einfordern könnte, verzichtet die Fußball AG immer noch und der inkompetente Aufsichtsrat ist weiterhin fest in der Hand von Marcell „Le Coq Rock“ Jansen und seinen Unterstützern, selbst die aktive Fanszene hat man mit einem Posten in diesem Gremium erstmal befriedet. Dass die Hamburger Journaille diesen Kurs wie immer kritiklos hinnimmt und ihre Rolle als Hofberichterstatter unbeirrt fortsetzt, ist gleichermaßen unerträglich wie nicht anders erwartet.

Eigentlich war es nicht hilfreich, dass der HSV das Spiel gegen Sandhausen noch gewonnen hat, denn dadurch wurde genau das erreicht, was sich die HSV-Offiziellen gewünscht hatten: Geduld, um in Ruhe weiterarbeiten zu können. Der Last-Minute-Sieg hat den sportlich Verantwortlichen etwas Luft verschafft, um sich ohne Störfeuer auf das anstehende Nord-Derby gegen Werder Bremen vorzubereiten. Aber wenn man sich diese Vorbereitung genauer anschaut, verstärkt sich der Eindruck, dass der Übungsleiter genau wie seine Vorgänger HecKing und Thioune zum Dienst nach Vorschrift übergegangen ist und stur und unbelehrbar auf die falschen Spieler sowohl in der Startelf als auch auf den Positionen setzt. Am Dienstag nachmittag gab es nach zwei trainingsfreien Tagen endlich die erste Trainingseinheit der Woche und am Mittwoch sollten eigentlich zwei Einheiten auf dem Rasen stattfinden, von denen die zweite aufgrund des schlechten Wetters ins Trockene verlegt wurde. Die Vormittagseinheit war wieder mal geprägt von praxisfernen Übungsformen mit vielen zusätzlichen kleinen Toren und einer insgesamt sehr gemütlichen Gangart. Die Torabschlussübungen waren an Devitalität kaum zu überbieten und hatten wie immer keinerlei Bezug zu Spielsituationen, wie sie unter Wettkampfbedingungen auftreten. Am Donnerstag wird es wohl noch eine Einheit geben und am Freitag wird die Trainingswoche dann mit einem müden Abschlusstraining beendet werden.

Leider gibt es weiterhin keinerlei Anzeichen für das Einstudieren von offensiven Spielzügen oder das Verfeinern der taktischen Formation. Ein Großteil der Übungsformen entspricht einfach nicht den Anforderungen, um die Spieler auf Wettkampfsituationen vorzubereiten. Sie üben irgendwelche Kurzpässe, Kombinationen, Flanken, Torschüsse, die ihnen überhaupt nicht weiterhelfen, weil es diese Spielsituationen im Wettkampf nicht gibt. Das mag ja alles den theoretischen Grundlagen der Ausbildung zum Fußballlehrer entsprechen, aber mit dem bisherigen Aufwand kann man keine Spieler verbessern oder die Mannschaft entwickeln. Diese über Jahre hin außerhalb des Leistungsprinzips trainierten Söldner und Jungmillionäre können nur durch einen Rule-Breaker zum Leben erweckt werden. Oder eben durch einen Tüpen wie Horst Hrubesch. Auch diesbezüglich hat sich Boldt abgesichert. Falls Walter aufgrund von Erfolglosigkeit doch vorzeitig gehen muss, kann er erneut auf die Vereins-Ikone als Interimstrainer zugreifen, diesmal natürlich rechtzeitig.

Insofern ist aus Boldts Sicht doch alles im grünen Bereich, selbst wenn nach dem Stadt-Derby auch noch das Nord-Derby verkackt wird, ist das nicht so tragisch, dann werden eben die beiden Rückspiele gewonnen, möglicherweise schon mit Hrubesch auf der Trainerbank. Peace out, HSV.

Kleiner Zusatz von mir (G.) – ich scholze jetzt! „Scholzen“ bedeutet nichts anderes als die Unwahrheit zu sagen, dreist zu lügen, Märchen zu erfinden oder sich einfach nicht mehr an vergangene Ereignisse erinnern zu können. Heute Folge 1.