Gestern kam es knüppeldick für den HSV. Die ansonsten freundlich gesinnte Abteilung Hofberichterstattung hatte zur gemeinschaftlichen Attacke geblasen und die Medien feuerten aus allen Rohren, freilich nur mit Platzpatronen und zu einem Zeitpunkt, an dem es kaum Wirkungstreffer gab. Trotzdem war das für Hamburger Verhältnisse fast eine Zäsur: Pünktlich zu Beginn der Länderspielpause gab es von der Hamburger Journaille einen Schuss vor den Bug, obwohl die Saison gerade mal 9 Spieltage alt ist. Und das an einem Tag, an dem mal wieder die obligatorischen Leistungstests im UKE fällig waren und gleichzeitig der Tross der deutschen Nationalmannschaft wie eine Heuschrecken-Plage in den Volkspark eingezogen ist. In den nächsten Tagen wird sich die Nationalelf auf dem Trainingsgelände des HSV auf das Länderspiel gegen Rumänien am Freitag vorbereiten. Unfassbar, was vom notorisch klammen Gesamtdefekt alles unternommen wird, um mal eben locker eine halbe Mio. Tacken für lau einzusacken.

Am Montag wird es rummelig im Volkspark. Der Grund: Die Vorhut der Nationalmannschaft hat sich angekündigt. Diese spielt am kommenden Freitag (20.45 Uhr) nicht nur im Volksparkstadion, sondern sie trainiert ab Dienstag auch auf den Plätzen des HSV. Anders als bei den letzten Hamburg-Besuchen der Nationalmannschaft, als Ex-Bundestrainer Joachim Löw das nicht einsehbare Millerntor als Trainingsstätte benutzte, hat Nachfolger Hansi Flick gleich drei Trainingseinheiten auf Platz Nummer sechs im Volkspark terminiert. Der Nachteil: Der Platz zwischen der Kita im Volkspark und dem Hellgrundweg ist nur schwer gegen neugierige Blicke von außen zu schützen. Der Vorteil: Die Nationalspieler, die im nahe liegenden Hotel Gastwerk residieren, dürfen die Kabinen der HSV-Profis im Stadion nutzen. Trainer Tim Walter hat sogar eines von zwei Trainerbüros für Flick und Co. freigemacht. Sein eigenes Team wird für die Woche zum Duschen in den Campus umziehen. Doch nicht nur in den Kabinen muss am Vortag der ersten DFB-Trainingseinheit noch einmal feucht durchgewischt werden. Ab Montag werden auch sämtliche VIP-Räumlichkeiten und der Innenraum des Volksparkstadions vom DFB komplett umgestaltet. Alle HSV-Sponsoren müssen überklebt werden. Doch der Aufwand lohnt sich auch für den HSV: Neben der Stadionmiete, die bei rund 500.000 Euro liegen soll, erhält der Zweitligist noch eine Zusatzmiete für die Trainingsmöglichkeiten.

Quelle:  https://www.abendblatt.de/sport/fussball/hsv/article233469034/hsv-news-nationalmannschaft-flick-walter-volksparkstadion.html

Parallel dazu findet am Mittwoch um 13:00 ein Testspiel gegen den VfL Wolfsburg statt, immerhin aktuell auf Platz fünf der Bundesliga und somit die „wahre Nummer Eins im Norden“. Blöd nur, dass ausgerechnet die Youngster wieder fehlen werden, die in den letzten Spielen durchaus Akzente setzen konnten und unbedingt weitere „Platzzeit“ benötigen würden: Doyle (19), Reis (21), Vuskovic (19), Suhonen (20) und Kaufmann (20) stehen in den Aufgeboten ihrer U21-Nationalmannschaften. Was für ein Überangebot an Events im Umfeld der Wohlfühloase, da wird die heftige Medienschelte wohl schnell vergessen sein, zumal Tim Walter für heute gleich zwei Trainingseinheiten angesetzt hat. Fun Fact am Rande: So nah wie in diesen Tagen werden die HSV Profis in ihrer weiteren Karriere nie wieder an der Bundesliga geschweige denn an der Nationalmannschaft sein…

Und mittendrin in dieser medialen Reizüberflutung erschien gestern „zufällig“ auch noch ein Interview in der Podcast-Serie vom Hamburger Abendblatt mit Ricardo Moniz, dem zum HSV zurückgekehrten „Wundertrainer“, für den eigens eine neue Stelle als Individualtrainer im HSV-Nachwuchs geschaffen wurde und der direkt dem dortigen Direktor Horst Hrubesch unterstellt ist. Ich gebe zu, dass es auch bei mir kurz gezuckt hat und die Neugier mich erneut in das ungeliebte Medium Podcast getrieben hat, aber es hat sich nur bedingt gelohnt: Einerseits teilt der ehemalige Techniktrainer des HSV relativ unverblümt massiv gegen die „erste Mannschaft“ aus, andererseits ist der fliegende Holländer kaum zu verstehen und sehr stark mit seinem eigenen Pathos beschäftigt. Wie sehr man sich als Fundamentalkritiker der Wohlfühloase auch einen Rulebreaker wünscht, der auf sportlicher Ebene endlich mal hohe Qualität in die unerträglich schlechte Trainingsarbeit des HSV bringen könnte, so klar muss jedem sein, dass Moniz diese Rolle im Profikader nicht ausfüllen kann. Einige Auszüge:

Jeder Tag kann mein letzter sein, so trainiere ich auch. Ich hab mich verletzt letzte Woche… Du musst jeden Tag trainieren, als ob es dein letzter ist, das war unsere Kraft in der ersten Phase, wo ich hier war…

Horst hat gesagt, wenn wir beide weggehen, das ist nicht mehr so lange, dann muss eine DNA entstanden sein, dass du eine Plattform hast, dass du topfit bist.

Es geht immer um eine konkrete Spielertyp. Das war in dieser Zeit spezifischer. Jetzt sind Spieler mehr flach, das kommt durch die Überorganisation in allen Ausbildungen, Straßenfußballer ist weg, die Leute haben weniger eine eigene Meinung. In der früheren Zeit hast du noch einen Dialog mit Boateng gehabt, mit Rost habe ich jeden Tag Krieg gehabt.

Olic hat ein Tor geklaut vom Trainingsgelände, weil er hat die Tore geliebt, wo ich ihm geflankt habe jeden Tag. So wir waren ein Arbeitstalent-Verein. Wir haben mehr trainiert als die Konkurrenz.

120 Prozent zu geben jeden Tag. Durch alle Fazilitäten zu gehen, bis Neun Uhr am Abend kannst du den Kopfballpendel, die Krafträume nutzen. Und das weiß ich nicht, wer das nützt. Ich weiß, dass es zu wenig passiert, absolut. Auch bei der erste Mannschaft, da ist weniger Arbeitstalent als früher. Bin ich deutlich oder nicht deutlich?

Einsatz und Wille gehen über Talent. Darum bist du Trainer-Coach. Ich lieb nicht den Titel Techniktrainer, das ist so beschränkt oder Individualtrainer, was ein Unsinn. Und du musst auch eine große Persönlichkeit sein, um das Spiel zu entscheiden, du musst das Spiel lesen, du musst in positiver Weise auch unempfindlich für Kritik sein, mentale Härte, das ist ein komlettes Konzept.

Kuck jetzt in das Trainergeschäft, wie die aussehen mit Powerpoint. Was ist ein Powerpoint? Nein, du musst einen Spieler täglich verbessern und jeden Tag musst du das trainieren, was du nicht kannst. Arbeitstalent gewinnt in alles.

Es gibt sicher nicht wenige HSV-Anhänger, die ob dieser martialischen Aussagen in Jubelarien verfallen und sich nichts sehnlicher wünschen, als dass dieser positiv verrückte Schleifer den charakterschwachen Söldnern und Jungmillionären mal so richtig Dampf unter den Ärschen macht, aber es gibt einige Sachverhalte, die deutlich dagegen sprechen: Als ernstes Hindernis sehe ich eine nicht zu unterschätzende Sprachbarriere, die den Wirkungsgrad von Moniz‘ Aktivitäten erheblich reduzieren könnte. Es ist kaum nachvollziehbar, warum der mittlerweile 57-jährige immer noch so schlecht deutsch spricht, aber viele der internationalen Jungprofis dürften den Mann schlichtweg nicht verstehen. Und obwohl Moniz von seiner Gestik und Mimik lebt und seine Inhalte wohl auch ohne perfektes Deutsch anschaulich vermitteln kann, dürfte es gegenüber der jungen Generation ein Akzeptanzproblem geben, weil die Buben solche Typen gar nicht mehr ernst nehmen. Hinzu kommt, dass Moniz ein typischer zweiter Mann ist, was sich auch in seiner instabilen Vita widerspiegelt, aber grundsätzlich nicht verwerflich ist, man braucht dann eben nur einen ersten Mann, der voll hinter Moniz steht und ihn für das Jungvolk vermittelbar macht. Und obwohl Horst Hrubesch nochmal fast 15 Jahre älter ist, hat der genau dieses Händchen, um generationsübergreifend akzeptiert zu werden und in dessen Dunstkreis könnte Moniz dann seine Stärken ausspielen. Im Alltag wird sich Moniz wohl kaum um den Profikader kümmern dürfen, das wird der größenwahnsinnige Tim Walter nicht zulassen, aber es würde mich nicht überraschen, wenn sich Hrubesch im Hintergrund schon sein „Kompetenzteam“ für den Fall zusammenstellt, dass er doch wieder als Interimstrainer übernehmen soll und dann wird Moniz möglicherweise Co-Trainer werden. Hauptsache, der Wechsel geschieht diesmal rechtzeitig…

Hier die Vita von Moniz, die durchaus einige Fragen aufwirft:  https://www.transfermarkt.de/ricardo-moniz/profil/trainer/5041

Und hier der vollständige Podcast, der aufgrund der massiv vorgetragenen Kritik von Moniz durchaus hörenswert ist, immerhin ist/war der gute Mann zum Zeitpunkt des Interviews Angestellter des Vereins. Und man erfährt, was Moniz mit dem Begriff „Arbeitstalent“ meint und wie er durch die Trainingsmethoden von Wiel Coerver geprägt wurde.

https://www.abendblatt.de/podcast/hsv-podcast/article233492175/hsv-podcast-ricardo-moniz-dna.html

 

Off-Topic: Auf Sport1 gibt es einen Nachbericht zum Spiel in Aue. Dort wird die Situation vor der roten Karte von Messeguem mit zusätzlichen Infomationen beleuchtet: