Der HSV zu Gast bei Erzgebirge Aue, Spielminute 69: Größter Aufreger in dieser an Aufregungen nicht armen Partie war die rote Karte gegen Aues Nummer 18, Mittelfeldspieler Soufiane Messeguem. Eine Szene die es wert ist, sie sich nochmal im Detail anzusehen, auch weil sie im Nachgang einiges an Verstimmung mit sich brachte.

Messeguem trat einem mit Ball enteilenden Kittel von hinten die Beine weg und brachte ihn rüde in Höhe Mittellinie zu Fall. So weit, so klar. Schiedsrichter Lasse Koslowski, der das Ganze aus einiger Entfernung beobachtete, pfiff das Foul auch sofort. Bereits da zuckte die Hand des Unparteiischen zum ersten Mal in Richtung linke Brusttasche, in der die gelbe Karte steckte. Aber Koslowski zog sie überraschenderweise nicht.

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Stattdessen geschah etwas Seltsames. Der Unparteiische eilte nicht zum Tatort, sondern sah zur Seite Richtung vierter Offizieller und Coaching-Zones. Irgendetwas oder irgendjemand dort hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. (Hier klar erkennbar: Gelb linke Tasche, Rot rechte.)

Es war die geschlossen aufgesprungene HSV-Bank um Tim Walter, die lautstark protestierte und vehement Rot forderte. Koslowski sprach in sein Mikro und griff erneut an die linke Brusttasche und wirkte dabei so, als wolle er jetzt wirklich die gelbe Karte ziehen.

Doch wieder ließ er die Hand sinken, ohne die Verwarnung auszusprechen. Dann ging er schnurstracks auf den vierten Offiziellen Roman Potemkin zu und man konnte erkennen, wie die beiden dabei miteinander kommunizierten. Währenddessen redete, rief und gestikuliere die Hamburger Bank aufgebracht weiter auf ihn ein.

Am linken Bildrand erkennt man Aues Clemens Fandrich, der seinerseits erregt auf Potemkin einwirkte und diesen sogar gegen den Oberarm schlug. Daneben Tim Walter, der aus vollem Hals Richtung Koslowski brüllte, während sich dieser wieder dem Tatort zuwendete, neben den immer noch am Boden liegenden Kittel trat, erneut pfiff und sich zum dritten Mal an die linke Brusttasche fasste, nur um dann abrupt nach rechts zu wechseln und die Rote Karte zu ziehen.

Was für eine kuriose Situation. Ich will gar nicht darüber diskutieren, ob der Tritt nun wirklich so grob war, dass er glatt Rot rechtfertigt oder ob eher Gelb angemessen wäre. Kittel war jedenfalls nicht letzter Mann. Vielleicht war auch Gemecker von Messeguem an der Farbe schuld oder was auch immer. Aber eines ist klar: Der Vorgang der Entscheidungsfindung von Koslowski und der Umgang mit den äußeren Umständen sind für mich nur sehr schwer nachzuvollziehen. Der Referee wirkte jedenfalls nicht wie jemand, der das Geschehen im Griff hat.

Hier die gesamte Szene nochmal im Bewegtbild:

 

Nun muss man wissen, dass der 34jährige Lasse Koslowski erst sein zweites Zweitligaspiel in dieser Saison pfiff. Das erste, die Partie Dresden gegen Ingolstadt, lag auch schon zehn Wochen zurück. Kann man das Hin und Her und die Zögerlichkeit dadurch erklären? Fehlte Praxis, war es Unsicherheit? Wurde er von der Hamburger Bank beeinflusst? Souverän wirkte der gebürtige Berliner über die 90 Minuten jedenfalls nicht. Der hauptberufliche Pianist und Klavierlehrer hat immerhin schon 44 Zweitligapartien auf dem Buckel, da darf man eine gewisse Abgebrühtheit und Übersicht in der Spielleitung eigentlich erwarten.

Aues stinksaurer Trainer Mark Hensel, der sich unmittelbar nach dem Platzverweis beim vierten Offiziellen beschwerte, vermutlich über die Unsportlichkeit der Hamburger Bank, sah anschließend selbst Gelb und konnte es nicht fassen.

Entsprechend angefressen war er auch noch nach dem Spiel. Am SKY-Mikrofon direkt nach Abpfiff schimpfte er über die Rote Karte. Dabei brach es aus ihm raus:

„Ich muss ja tatsächlich mich extrem zügeln, was ich hier sage, weil das ist eine absolute Frechheit, was hier heute abgelaufen ist. Der Schiedsrichter hat überhaupt nichts gepfiffen. Aber wenn ich da dort schon draußen stehe und überhaupt nichts sehe, überhaupt nicht auf der Linie stehe und dann noch Rot, Rot, Rot rein brülle, dann frage ich mich schon, wenns der Schiedsrichter überhaupt nicht sieht und er [gemeint ist Walter] dann auch gar nichts sehen kann, dann wunder ich mich halt, wie so ’ne Rote Karte dann zustande kommt. Aber das ist indiskutabel und ich bin fassungslos, was wir hier Woche für Woche jedesmal erdulden müssen. Es sind die kleinen Details im Spiel, die Spiele entscheiden Nein, ich will nicht weiterreden. Ich muss mich zügeln. Das bringt mir auch nichts, wenn ich hier Sachen sage, die mir am Ende leidtun. Ich glaube, jeder weiß, was gemeint ist.“

Man merkt Hensel seine aufrichtige Empörung über das konsequenzlose Betragen von Hamburgs Bank an. Was die Regeln betrifft, hätte er recht: Wenn die Hamburger auf dem Feld oder von der Seitenlinie aus Rot gefordert hätten, müßte das wiederum mit Gelb verwarnt werden. In den Richtlinien der FIFA für Schiedsrichter heißt es (Regel 12, Verbotenes Spiel und unsportliches Betragen):

„Zeigt sich ein Spieler mit einer Schiedsrichter-Entscheidung nicht einverstanden, indem er protestiert (verbal/nonverbal), wird er vom Schiedsrichter verwarnt.“

Das bedeutet: Wer eine Karte für seinen Gegenspieler fordert, sieht selbst Gelb wegen Unsportlichkeit. Und das gilt für Spieler ebenso für die Trainer und Betreuer. Punkt für Hensel.

In den Sky-Interviews nach dem Spiel wirkte Walter dann nicht mehr hitzig, sondern so arrogant und kalt wie selten. Und das will bei ihm schon etwas heißen. Dazu passte auch, was Aues Verteidiger Gonther (jaja, ich weiss auch, dass der Ex-St. Pauli ist, aber deswegen kann er trotzdem recht haben) nach dem Spiel sagte:

„Wenn ich den gegnerischen Trainer sehe, muss ich sagen, da fehlen mir die Worte. In meinen Augen ist das höchst respektlos. Und genau deswegen sind die auch immer noch in der zweiten Liga.“

Walters Rechtfertigung gegenüber dem Sky-Reporter klang so:

„Dann fragen sie mal den Schiedsrichter, der stand daneben. Also definitiv, dass Nickligkeiten dazu gehören ist ganz klar. Wir wollten nur zu unseren Fans. Ich habe alle weggeschoben, um unsere Jungs zu den Fans zu lassen und dann bin ich zum Schiedsrichter gegangen, das war alles. Und es war halt hitzig, nach so einem Spiel ist immer hitzig, das ist ja normal.“ 

Das alles äußert er mit einem derart eiskalten und arroganten Gesichtsausdruck, das sich einem die Haare aufstellen. Erst am Ende des Interviews ändert sich seine Mimik und man merkt, dass da noch was anderes war. Aber macht Euch doch selbst ein Bild:

 

Es war also viel Öl im Feuer und das machte sich auch bei der folgenden Pressekonferenz unangenehm bemerkbar. Beide Trainer saßen auf dem Podium vor den anwesenden Medienvertretern und würdigten sich keines Wortes oder Blickes. Ich hatte sogar den Eindruck, Tim Walter war ungewohnt zurückhaltend. War der Grund dafür ein schlechtes Gewissen? Ehrlich, ich weiß es nicht. Seine Antworten hatten dann aber wieder den gleichen arroganten Unterton, wie man ihn von Papa Tim gewohnt ist:

 

Als die PK beendet war, sprang Hensel wie von der Tarantel gestochen auf und lief hinter Walter vorbei Richtung Ausgang. Auch da wurde zwischen den beiden kein Blick gewechselt, es fiel kein Wort und man hatte das Gefühl, Aues Trainer hätte sich eher die Hand abgehackt, als sie Walter zu geben. Ein extrem unsportliches Verhalten von beiden Seiten. Auf hsv.de ist die Szene übrigens weggeschnitten: https://tv.hsv.de/detail/video/die-pressekonferenz-nach-dem-auswartsspiel-bei-erzgebirge-aue-15142

Walters Verhalten ist ein Thema, dass sich besonders die Bild nicht entgehen läßt (Danke, Alex, für den Tipp). Papa Tim hat wohl schon länger ein Problem mit Selbstdisziplin und einer großen Klappe und das bis heute nicht wirklich in den Griff bekommen:

Ärger in Aue hat bei Walter inzwischen Tradition. Als Stuttgart-Coach kritisierte er beim 0:0 am 23. August 2019 beim 0:0 Schiedsrichter Felix Zwayer folgendermaßen:

„Ich dachte, es pfeift meine Frau. Die hält auch immer zu denen mit den schönsten Trikots.“

Der DFB ermittelt gegen Walter und verurteilte ihn zu 5.000 Euro Geldstrafe.

(BILD, 3.10.21)

 

Nach all diesen Vorfällen, die mit Fußball nur sehr entfernt zu tun haben, bin ich mir sicher, beim Rückspiel am 13. März nächsten Jahres gibt es für Aue im Volksparkstadion so einiges aufzuarbeiten.

Well done, Walter.