Wenn ich die aktuelle Scheindiskussion von Dauerhüpfern und Hofberichterstattern über zusätzliche Einheiten und freiwillige Schichten nach dem Training verfolge, könnte ich abkotzen. Ich kann es nicht mehr hören, wenn in selbstreferentieller Besinnlichkeit darüber lamentiert wird, ob die Initiative vom Trainer oder vom Spieler ausgehen muss und dass die Leistungskultur doch von der Spitze des Vereins vorgelebt werden muss. Das ist doch alles nur Sabbelkram, um von den eigentlichen Versäumnissen abzulenken. Es geht auch nicht darum, ob irgendein Spieler nach Feiamt noch bissl Flanken aus dem Stand übt oder einige Schüsse aufs leere Tor bolzt, sondern um die grundsätzliche Erkenntnis, dass die Trainingskonzepte sämtlicher Übungsleiter der letzten Jahre für den leistungsentwöhnten HSV schlichtweg ungeeignet waren und man deshalb von einem systemischen Totalversagen sprechen muss.

Aber wie kann es sein, dass keiner der unterschiedlichen Trainertypen beim HSV in der Lage war, Spieler zu verbessern, die Mannschaft zu entwickeln und die Startelf nach dem Leistungsprinzip aufzustellen? Die kurze Version der Anwort lautet: Weil es alles inkompetente Stümper waren. Unwahrscheinlich? Warum eigentlich? Wegen der unmöglichen Tatsache, dass nicht sein kann, was nicht sein darf? Aber jeder hat doch gesehen, welche katastrophalen Fehlentscheidungen sämtliche Übungsleiter getroffen haben und wie wenig sie das Potential ihrer Spieler erkannt haben und freisetzen oder sogar weiterentwickeln konnten. Die längere Version der Antwort bringt mich zu meiner Ankündigung aus dem Blog „Immer der Ärger mit den Standards“ (das war der Blogbeitrag mit den Videos zu den unterirdischen Trainingssequenzen), indem ich die drei Key Facts benennen wollte, warum die dort gezeigten Übungen ohne Wirkungsgrad und somit nutzlos sind. Viele der Kommentatoren hatten die Gründe schon sehr gut erkannt und benannt…

https://www.hsv-arena.hamburg/2021/09/29/immer-der-aerger-mit-den-standards/

Erstens: Die meisten Übungsformen haben keinen Bezug zu den Spielsituationen unter Wettkampfbedingungen. Insbesondere bei den Flanken aus dem laufenden Spiel und den Torabschlüssen sowie bei den Standards (Freistöße, Ecken) wird grundsätzlich ohne Bewegungsdynamik und ohne Gegenspieler trainiert, aber solche Situationen kommen im Spiel niemals vor und die Spielszenen, die die Spieler im Wettkampf zu bestreiten haben, wurden niemals vorher trainiert. Außerdem haben diese Übungen die niedrigste Priorität aller Traininsginhalte und werden als lästige Pflichtaufgabe so selten wie nur irgendwie möglich abgewickelt. Da es keinerlei Qualitätssicherungssystem durch Sportdirektoren oder Sportvorstände gibt, bei dem die Arbeit der Übungsleiter kontrolliert und bewertet wird, wird diese Arbeitseinstellung von Trainer zu Trainer weitervererbt und die Wohlfühloase immer weiter konserviert.

Zweitens: Qualität, Quantität und Intensität vieler Übungsformen sind absurd niedrig, sodaß der simple Grundsatz, dass oft ausgeführte Übungen der Schlüssel sind, um eine außergewöhnliche Fertigkeit zu erlangen, grob missachtet wird und schon dadurch keine Verbesserung stattfinden kann. Beim Schusstraining beispielsweise werden grundsätzlich vollkommen entvitalisierte Übungen durchgeführt, was zur Folge hat, dass die Spieler die Pille im Wettkampf ständig auf die Tribüne bolzen, anstatt das Tor zu treffen. Dass sie vor dem Abschluss nach einem intensiven Sprint noch zwei Gegenspieler ausspielen müssen, sich danach mit einer Körperdrehung in eine gute Schussposition bringen müssen und dann vor dem zur Grätsche ansetzenden Verteidiger noch einen gezielten Schuss zu Stande bringen müssen, obwohl sie bereits in der Sauerstoffschuld sind und Schnellkraft und Bewegungskoordination extrem nachlassen, haben sie nie geübt. Das gelangweilte Rumgestehe beim Schusstraining auf Stadtparkkicker-Niveau trägt sein Übriges dazu bei.

Drittens: Technische Defizite werden nicht korrigiert. Eigentlich sollten Fehler und Unzulänglichkeiten bei der Ausführung erkannt, analysiert und mit dem Spieler besprochen werden und ihm dann gezeigt werden, wie die Ausführung der Übung optimiert wird und zwar nachhaltig, sprich mit unzähligen Wiederholungen, in unzähligen Übungsformen, in unzähligen Trainingseinheiten und mit regelmäßiger Überprüfung, ob sich der Spieler in dieser technischen Fertigkeit verbessert hat. In drei  Jahren intensiver Begleitung zahlreicher Trainings habe ich NIEMALS einen Übungsleiter gesehen, der mit einem Spieler die Ausführung eines Freistoßes, einer Ecke, eines Torschusses, einer Flanke aus dem laufenden Spiel heraus besprochen hat. Sie sehen es nicht, sie kümmern sich nicht drum und es interessiert sie auch nicht. Und den bekloppten Sportdirektoren und Sportvorständen, die sich ab und zu auf dem Trainingsgelände sehen lassen, geht das ebenfalls am Arsch vorbei, die verlassen sich auf die vermeintliche Expertise der ausgebildeten Fußballlehrer und gut.

Und dieser triviale Sachverhalt soll nun das Geheimnis sein, warum sich niemand verbessert, nichts entwickelt wird und Spieler sogar schlechter werden? Yo! So einfach ist das. Essentieller Bestandteil des öminösen HSV-Virus und Alleinstellungsmerkmal der Wohlfühloase HSV. Wer es nicht glaubt, ist herzlich eingeladen, sich das beim öffentlichen Training im Volkspark live anzuschauen. Die Frage, warum sämtliche Übungsleiter früher oder später mit dem HSV-Virus infiziert werden, ist schwer zu beantworten. Wahrscheinlich haben sie einfach einen anderen Anspruch an die Tätigkeitsbereiche eines Fußballlehrers, der eine Mannschaft der ersten oder zweiten Liga trainiert. Sowas wie Standards, Flanken und Torabschlüsse müssen die Fußballprofis in diesen Ligen einfach beherrschen, da kann man sich nun wirklich nicht auch noch mit befassen. Und somit landen wir immer wieder bei den bekannten Säulen einer unterdrückten Hochleistungskultur: Faulheit, Arroganz und Inkompetenz, die den HSV dreimal hintereinander den Wiederaufstieg gekostet haben. Eigentlich werden sie gar nicht vom HSV-Virus infiziert, sie bringen ihn mit zum HSV, sie selbst sind der HSV-Virus. Das Verrückte ist, dass alle bisherigen Übungsleiter mit abgeschlossener Ausbildung zum Fußballlehrer bei einer Bewertung durch Prüfer der zuständigen DFB-Gremien bestehen würden, weil sie ihren Dienst nach Vorschrift entsprechend der Lehrpläne durchführen. Aber das reicht eben nicht für einen hingerichteten Fußballklub, dem jede Leistungskultur abhanden gekommen ist. Wer beim HSV erfolgreich sein will, muss ein hochresilienter Rulebreaker sein, der zusätzlich noch die „Hamburger Verhältnisse“ kennt.

Und auch, wenn mir der Stadtteilclub eigentlich am Arsch vorbeigeht, darf man gern mal darauf hinweisen, was Pauli seinen Spielern so anbietet:

Immer wieder absolvieren die Profis Extra-Kurse neben dem täglichen Training, um Stärken zu verfeinern oder kleine Defizite aufzuarbeiten. Sowohl praktisch als auch theoretisch. Sport-Chef Andreas Bornemann (50) klärt auf: „Unser Trainer-Team bietet für die Spieler Schwerpunkt-Themen an, wie Involvierung in die Gegner- oder Spiel-Analyse. Andere in Trainings-Methodik und Inhalten. Es gibt da unterschiedliche Bereiche, Blöcke und Themen. Das muss natürlich auch positionstechnisch Sinn machen.“ Vor allem die Co-Trainer Fabian Hürzler (28) und Loic Fave (28) arbeiten in diesen Bereichen intensiv mit den Spielern. Auf dem Platz oder auch in den Besprechungsräumen. Die Angebote werden angenommen. Wie Rechtsverteidiger Luca Zander gerade bestätigte: „Wir haben Gruppen, wo wir uns für spezielle Themen eintragen. Ich bin beim Flankentraining und in der Vororientierung dabei.“ Ganz neu sind solche „Fortbildungs-Maßnahmen“ für Profis auch bei St. Pauli natürlich nicht, in der Bandbreite und Intensität aber schon. Bornemann: „Das ist ein innovativer Ansatz, um in allen Bereichen noch ein paar Prozente herauszukitzeln. Da kann jeder seinen Beitrag leisten.“

Quelle:  https://www.bild.de/sport/fussball/fussball/fc-st-pauli-extra-kurse-fuer-profis-bueffeln-fuer-den-aufstieg-77951378

Abschließend noch einige Anmerkungen zur gestrigen Pressekonferenz zum Spiel gegen Düsseldorf. Tim Walter pupt dort ordentlich rum, ist wegen der dämlichen Nachfrage zu Moniz genervt und geht trotzdem voller Trotz darauf ein, indem er verkündet, dass der Ricardo in der letzten Woche mit sechs Spielern eine Übungseinheit gemacht hat. Dabei grinst er wie ein Honigkuchenpferd, vergisst allerdings anzugeben, mit welchen Spielern wie häufig welche Übungen mit welcher Intensität durchgeführt wurden und das wichtigste überhaupt, ob diese Übungen nun regelmäßig stattfinden werden. Eine einzige Übungseinheit mit sechs Spielern, von denen nicht bekannt ist, wer sie waren und ob sie überhaupt zum Profikader gehörten oder nur auf dem Platz nebenan von Moniz angeleitete Leibesübungen vollzogen haben, ist für eine zweiwöchige Länderspielpause ziemlich dünn. Und: Wer sich den Podcast mit Moniz vollständig angehört hat und nicht nur kurz reingezappt hat, hätte gewusst, dass Moniz die Bezeichnung Individualtrainer oder Techniktrainer zutiefst verachtet und ziemlich angepisst war, dass der HSV bei seiner Stellenbeschreibung offensichtlich nicht aufgepasst hat. Und: Als interessierter Trainingskiebitz konnte man letzte Woche sogar mit Moniz quatschen, wenn man seinen Arsch zu den hinteren Zäunen bewegt hätte. Dazu hätte man natürlich beim Training anwesend sein müssen und sich mal von dem privilegierten Bereich der Medienvertreter entfernen müssen. Wer die PK nochmal anschauen möchte…