Trial and Error

Elf Spieltage hat es gedauert, bis man vom HSV mal ein akzeptables Spiel zu sehen bekam. Akzeptabel heißt, dass die Rumpeltruppe erstmalig über ein ganzes Spiel innerhalb ihrer beschränkten Möglichkeiten überzeugt hat. Akzeptabel heißt auch, dass man vernünftig gegengehalten hat und mit viel Glück auswärts gegen einen starken Gegner drei Punkte eingefahren hat. Akzeptabel bedeutet auch, dass man es als mittlerweile nur noch durchschnittlicher Zweitligist, der im vierten Jahr hintereinander in der zweiten Liga rumdümpelt, geschafft hat, den Anschluss an das obere Tabellendrittel nicht zu verlieren. Und das alles mit einem durchgeknallten und zunehmend freidrehenden Cheftrainer, der immer deutlicher die Attribute der Hamburger Wohlfühloase annimmt: Faulheit, Arroganz und Inkompetenz. Je weiter die Saison voranschreitet, desto stärker verdichtet sich der Eindruck, dass auch dieser Übungsleiter sein Spielermaterial nicht kapiert und einfach nur nach dem Prinzip Trial and Error aufstellt und wechselt.

Versuch und Irrtum (englisch trial and error) ist eine heuristische Methode, Probleme zu lösen, bei der so lange zulässige Lösungsmöglichkeiten versucht werden, bis die gewünschte Lösung gefunden wurde. Dabei wird oft bewusst auch die Möglichkeit von Fehlschlägen in Kauf genommen. In der Umgangssprache bezeichnet man diese Vorgehensweise als „Ausprobieren“.

Wenn man dieser Definition folgt, kann man das Waltersche Prinzip sehr gut wiedererkennen. Der Typ probiert einfach nur aus und am Freitag in Paderborn hatte er zufällig mal Glück. Dementsprechend waren seine Maßnahmen auch ziemlich ambivalent. Auffällig war, dass von dem viel kritisierten Spielsystem kaum noch etwas zu sehen ist. Bis auf die häufigen Positionswechsel spielt die Mannschaft einfach nur einen intensiven und ziemlich riskanten Offensivfußball und investiert dabei einen hohen körperlichen Aufwand, was mich weder überrascht, noch beeindruckt. Vielmehr erwarte ich das von einer Mannschaft, die irgendwann mal wieder erstklassig spielen möchte. Die Bewertung, dass der Ertrag nicht im Verhältnis zum Aufwand steht, teile ich zwar auch, aber aus anderen Gründen. Während die kritischen Stimmen immer wieder das Spielsystem von Walter im Fokus haben, sehe ich die Probleme eher in der offensichtlichen Weigerung des Übungsleiters, sich mit den grausamen technischen Defiziten zu befassen, die den Wirkungsgrad des Walter-Fußballs ganz entscheidend beeinträchtigen. Es grenzt schon fast an Arbeitsverweigerung, dass Walter sein ekzessives Kurzpassspiel immer noch fast ausschließlich auf Kleinfeldern trainieren lässt und weiterhin keine Standards (insbesondere Ecken), keine Flanken aus dem laufenden Spiel und keine Torabschlüsse unter Wettkampfbedingungen trainiert werden, weil der Vogel ganz offensichtlich kein Bock darauf hat und sich niemand daran stört.

Gut war, dass der dudziakesk agierende Gyamerah mal eine Denkpause bekam und durch den Allrounder Heyer ersetzt wurde. Schlecht war, dass David wieder spielen durfte, weil er eine leistungsunabhängige Startelf-Garantie hat. Gut war, dass Reis endlich mal auf rechts eingesetzt wurde, um nicht als Wasserträger zwischen Leibold und Kittel aufgerieben zu werden. Unsinnig war, dass Kittel plötzlich im Mittelfeld spielen sollte, wodurch zwar vier offensive Spieler in der Startelf standen, aber die Formation deutlich asymmetrisch wurde. Absolut dümmlich war, dass Suhonen nach ansprechenden Leistungen ein weiterer Einsatz verwehrt wurde. Passend dazu das völlig falsche Signal, dass Kinsombi trotz katastrophaler Leistungen wieder spielen durfte. Gut war, dass der Youngster Alidou von Beginn an ran durfte, schlecht hingegen die nutzlosen Rotationen, um die absurde Stammplatz-Garantie des Antifußballers Jatta zu bedienen. Warum nicht Kittel links und Alidou rechts? Gut war, dass die physisch starken Spieler Alidou, Glatzel und Jatta die Paderborner mit einem wirkungsvollen Power-Pressing erheblich unter Druck setzen konnten, allein der Glaube fehlt, dass das Walters Plan entsprang. Gut und überfällig war, dass Doyle wieder eingewechselt wurde, unsinnig, dass er viel zu spät gebracht wurde. Anstatt Doyle für Kittel einzuwechseln, sollten Kittel und/oder Suhonen und/oder Doyle mal gemeinsam auf dem Platz stehen. Und dass Meißner nach einem Spiel wieder abserviert wurde, weil er unsinnigerweise als Außenspieler anstatt als zweiter Stürmer eingesetzt wurde, war wieder so eine selten dämliche Aktion.

Bemerkenswert ist, dass die Spieler dem Trainer offensichtlich weiterhin folgen und sich als kampfstarke Gemeinschaft präsentieren, obwohl der ihnen ein einziges Durcheinander vermittelt und sie teilweise auf völlig falschen Positionen spielen lässt. Dass kaum ein Spieler verbessert wird und eigentlich nichts entwickelt wird, scheint niemand beim HSV zu interessieren, hauptsache man hält das Märchen von “Jugend forscht” am Leben und ist fein mit der zweiten Liga. Wie auch immer sich die Amtszeit von Tim Walter noch entwickeln wird, die verlorene Zeit durch die fahrlässig verweigerten Trainingsinhalte wird nicht wiederkommen. Selbst wenn ein neuer Trainer wie der Friedhelm käme, oder der Horst doch wieder übernehmen müsste, wären diese Versäumnisse kaum aufzuholen, da läuft der sportlichen Leitung langsam aber sicher die Zeit davon.

Am Ende des Tages 🤭 stellt sich wieder mal die Frage, was von dieser ansprechenden Leistung bleibt und ob die Mannschaft bereit ist, im Pokalspiel gegen Nürnberg nachzulegen oder der HecKingschen Verlockung erliegen wird, für das Frühjahr Körner einzusparen. Trainiert werden muss bis dahin zum Glück kaum noch, vielleicht ein müdes Abschlussspielchen, aber ganz sicher keine nervigen Ecken, alles im grünen Bereich.

Und als Verhöhnung jeglicher seriöser Leistungskultur wird auf Twitter darauf hingewiesen, dass man den Siegtreffer vom Limey doch schon mal gesehen hätte und dazu irgendein verpixeltes Schweine-Video von Ende September verlinkt, in dem man nicht mal erkennen kann, welcher Spieler dort unbedrängt aufs Tor bolzt und dann noch erwähnt, dass diese Weltübung beim Abschlusstraining am Donnerstag auch absolviert wurde und gefruchtet hat. Erinnert mich irgendwie an einen Schüler, der dreimal hintereinander sitzengeblieben ist, trotzdem ständig noch Sechsen schreibt und dann einmal 10 Minuten lang Vokabeln gelernt hat und danach im Test endlich mal eine Fünf schreibt. Ich weiß wirklich nicht, was da in den Köpfen der Socal Media Abteilung vorgeht. Hüpf hüpf!

 

 

Alles tutti…

Von | 2021-10-25T08:00:32+02:00 24. Oktober 2021|Allgemein|3 Kommentare

3 Comments

  1. JannyJones 24. Oktober 2021 um 10:46 Uhr

    Toller Blog, vielen Dank!!! Wenn man das Spiel der Nürnberger gestern gesehen hat, dann werden sie die anfällige und teilweise planlose HSV Defensive am Dienstag gnadenlos aushebeln. Und am Freitag kommt Kiel in den Volkspark. Aber wir haben ja Walter, Meffert und Kinsombi. Uns kann ja nichts passieren….

  2. Jorgo 24. Oktober 2021 um 12:17 Uhr

    gestern habe ich größere Zusammenschnitte von den Nürnbergern gesehen. Die Arschvollgefahr für Timmis Tingeltruppe, bedingt durch die Nürnberger Offensive, ist nicht von der Hand zu weisen. Der Sieg in Paderborn war nicht mehr als ein Blendwerk. Wenn nicht doch noch ein Einlenken von “TW” bezgl. der Absicherung nach hinten erfolgt, erfolgt ein Schlachtfest. Es werden dabei keine Nürnberger Rostbratwürste auf den Grfill gelegt. Die Bratwürste spendiert Tim W., aus bald nicht mehr HH, als Ausstandsgeschenk.

  3. Alex 24. Oktober 2021 um 15:36 Uhr

    Sehr guter Bog. Wenn ich mir das Spiel aus Unterhaltungs technischen Gründen anschaue, ist dies allemal besser als dieser Schlafwagen Fußball in den vergangenen Jahren. Aber natürlich hast du mit deinem Blog auf den Punkt getroffen. Die Frage ist nur, welcher Trainer kann diesen HSV dann wirklich nach vorne bringen. Und reicht ein Trainerwechsel wirklich aus?

Die Kommentarfunktion wurde geschlossen.

Unser Archiv