Seit Jahren sondern beim HSV die üblichen Verdächtigen ihre immer gleichen Wundergeschichten zu den „Nachwuchstalenten“ ab. Wenn es nach den jeweiligen Trainern, Vorständen und Direktoren, aber auch nach BILD, Mopo, Auftragsblatt und NDR geht, dann ist der HSV eine wahre Brutstätte von Nachwuchstalenten, in der es von neuen Uwes und Mannis nur so wimmelt. Dafür investierte der Verein Millionen und Abermillionen in Campus und Nachwuchsleistungszentrum NLZ. Und die Saga geht auch heute, unter Boldt und Mutzel, ungebrochen weiter. Denn die Entwicklung der „Jung-Juwelen“ soll nicht nur sportlichen Erfolg und Wiederaufstieg bringen, sondern auch den finanziell schwer angeschlagenen Verein über kurz oder lang sanieren. Eine Mär, die gutgläubige Fans wie jeden Furz des Vereins voll auf Lunge nehmen. Aber welches NLZ-Talent hat sich wirklich sportlich erfolgreich entwickelt? Und welches Juwel hat jemals einen nennenswerten Beitrag zur Entschuldung des Vereins geleistet?

 

Die Mutter aller Blendgranaten: Jann-Fiete Arp

Die Wiedergeburt von Uns Uwe. Der Jesus vom Volkspark. Heilsbringer und Retter des HSV. Das vielversprechendste Talent, das der HSV je hervorgebracht hat und das den Verein endlich erlösen und ins gelobte Land des internationalen Fußballs zurückbringen würde. So damals der allgemeine Tenor. Ausgezeichnet mit der U17-Fritz-Walter-Medaille in Gold. Der jüngste Torschütze des HSV in der Bundesliga-Historie und der erste Bundesliga-Torschütze, der nach 2000 geboren wurde.

So sah das damals die Presse:

„HSV-Juwel Fiete Arp – Wer ist dieser Tor-Teenie?“ (Mopo)

„Super-Fiete: Der HSV will sofort verlängern“ (BILD)

„Uns Fiete: Der schweigsame Hoffnungsträger“ (Abendblatt)

„Ibrakadabra? Ab jetzt heißt es Aprakadabra“ (Abendblatt)

„Manch einen erinnerte die Kaltschnäuzigkeit gar an Zlatan Ibrahimovic.“ (Abendblatt)

„Arp jagt Pulisic und Werner“ (Abendblatt)

Nach weiterem medialen Getöse wechselte die Hamburger Nachwuchshoffnung zur Saison 19/20 für eine Millionenablöse und ein Millionengehalt zu den Bayern. Es folgte: Der totale Absturz. In München zeigte der Weg des armen, reichen Jungen nur in eine Richtung: Steil nach unten. Erstes Pflichtspiel mit der zweiten Mannschaft in Liga 3. Dann Verletzungspech. Arp stand einmal im Bayern-BuLi-Kader, allerdings ohne Einsatz. Aus dem CL-Kader wurde er gestrichen. Schließlich war auch in der Drittligamannschaft nur noch Reservist. Flick sagte Oktober 2020 über Arp: „Sein Zuhause ist aktuell die U21“. Dort setzte sich der Abwärtstrend fort. Arp musste sich mit der Joker-Rolle begnügen und wurde am letzten Spieltag, als es um den Klassenerhalt ging, nicht mal mehr für den Kader berücksichtigt. Schlussendlich stieg er mit der Mannschaft in die Regionalliga ab. Fazit: Himmelhoch gehypt, megatief abgestürzt, vom Juwel ist nichts geblieben außer Scherben.

Höchster Marktwert: 7,5 Mio (2018). Aktueller Marktwert: 700.000.

Heute ist Fiete an Kiel ausgeliehen und spielt immerhin Zweite Liga, wenn auch mit sehr durchwachsenem Erfolg.

 

Tatsuya Ito

Diese denkwürdige Karriere begann 2015 im NLZ. Der „HSV-Wirbelwind“ und „Zauberzwerg“ (mopo) spielte erst A-Junioren Bundesliga, dann Regionalliga Nord und stieß schließlich zur Saison 17/18 zu den Profis. Dabei halfen ihm die zahlreichen Verletzungsausfälle in Gisdols Team. Sein BuLi-Debüt war die 0:3-Niederlage gegen Bayer Leverkusen. Hollerbach ignorierte ihn dann fast komplett, Titz wiederum gab ihm regelmäßige Einsätze. Seine anfangs guten Leistungen ließen nach, so dass Hecking ihn die zweite Mannschaft zurückstufte. Im August wechselte Ito zum belgischen Erstligisten VV St. Truiden, wo er hauptsächlich als Einwechselspieler zum Zug kommt. St. Truiden ist aktuell 12ter der Liga. Ito hatte in dieser Saison verletzungsbedingt nur zwei Einsätze: 6 und 7 Minuten lang.

Höchster Marktwert: 2 Mio (2018). Aktueller Marktwert:  300.000. 

Kai-Uwe Hesse titelte am 8.4.18 in BILD:

Der Teufelsdribbler – HSV feiert Lionel Ito

Trotz schönstem Frühlingswetter fegte ein „Wirbelsturm“ durch den Volkspark. Flügelfloh Tatsuya Ito dribbelte den Schalkern immer wieder Knoten in die Beine. Lewis Holtby anerkennend: „Er hat Daniel Caligiuri schwindlig gespielt.“ Den Ritterschlag erhielt der kleine Japaner (1,63 Meter) von Rick van Drongelen. Der Innenverteidiger in Anlehnung an Barcelonas Super-Star Lionel Messi: „Man sollte ihn ab jetzt Lionel Ito nennen.“ In der Halbzeit pushte Rick seinen formstarken Mitspieler (BILD-Note 1) mit folgenden Worten: „Die Schalker haben Angst vor dir!“ Tatsuya hielt bei seinem 15. Einsatz übrigens erstmals 90 Minuten durch.

„Tag 24“ titelte im März diesen Jahres:

„Eine Karriere im freien Fall“.

Am köstlichsten finde ich dabei den letzten Satz der BILD.

 

Stefan Ambrosius

Eine kurze Presseschau:

„Dieser Top-Klub will HSV-Star Ambrosius – Celtic Glasgow holte 51 Meistertitel“ BILD

„HSV-Verteidiger gefragt – Leeds-Gerüchte um Ambrosius“ BILD

Ambrosius wechselte 2012 von St. Pauli zum HSV ins NLZ, durchlief alle Jugendmannschaften und schaffte den Sprung zu den Profis Anfang 2018 unter Hollerbach, spielte aber nicht. Sein Bundesligadebüt war März 2018 unter Titz. Nach dem Abstieg wurde er vierter etatmäßiger Innenverteidiger und kam weder unter Titz noch unter Wolf zu einem Zweitligaeinsatz. Hecking versetzte ihn sogar wieder in die zweite Mannschaft. Erst unter Thioune wurde er zum Stammspieler. Zog sich im April dieses Jahres im Training seinen zweiten Kreuzbandriss zu und fällt seitdem aus. 

Aktueller Marktwert: 1,8 Mio. Alter: 22.

Wann er wieder mitspielen kann? Das steht in den Sternen.

 

Josha Vagnoman

Auch Vagnoman kann sich über die Presse nicht beschweren:

„HSV-Juwel lehnt Millionen-Offerte aus England ab“ sport1.de

„Engländer und Italiener locken HSV-Vagnoman“ BILD

„Der BVB schielt auf HSV-Talent Josha Vagnoman“ 4-4-2.com

Der Poppenbütteler kam 2010 ins NLZ. Er ging dort den üblichen Weg, der 2018 in Hollerbachs Profi-Kader endete. Sein Bundesliga-Debüt war die 6:0-Niederlage des HSV gegen Bayern München. Unter Titz kam er nicht zum Einsatz, unter Wolf vor allem in der Rückrunde. Hecking machte ihn zum Reservisten und erst als sich Gyamerah das Wadenbein brach, zog Vagnomann in die Stammelf ein. Dort verblieb er dann auch unter Daniel Thioune. Auch er blieb von massiven Verletzungen (u.a. Innenband, Fußwurzelknochen-Bruch, Außenbandriss, Bänderriss Sprunggelenk) nicht verschont. U21-Nationaltrainer Stefan Kuntz attestierte ihm nach dem Viertelfinale gegen Dänemark sogar einen „Ganzkörperkrampf“. In die aktuelle Saison startete Josha mit einem Muskelfaserriss und später einem Muskelsehnenriss. Insgesamt absolvierte er nur 14 Minuten in dieser Saison, ausgerechnet im verlorenen Derby gegen St. Pauli. Er hat schon ein Händchen für sowas.

Aktueller Marktwert: 4 Mio. Alter: 22.

Damit ist der Poppenbütteler Patient der zweitwertvollste Spieler im Kader. Wann er wieder einsteigen kann? Keiner weiß es!

 

Finn Porath

Seit 2010 im NLZ entwickelt durchlief Finn alle Jugendmannschaften des HSV. In der Saison 15/16 rückte er unter Bruno Labbadia in den Profikader auf. Mit gerade mal 18 Jahren. Dann ereilte auch ihn das Verletzungspech und er fiel monatelag aus. August 2017 wechselte er auf Leihbasis für 2 Jahre zum Drittligisten SpVgg Unterhaching. Dort wurde er von den HSV-Vereinsverantwortlichen dann vergessen. Erst Dieter Hecking teilte ihm als neuer Trainer mit, dass man nicht mit ihm planen würde. Daraufhin wechselte Porath zur Saison 19/20 zu den Störchen nach Kiel und kam in seiner ersten Kieler Spielzeit auf 19 Zweitligaeinsätze.

Aktueller Marktwert: 500.000. Alter: 24. Entwicklung: Abgeschlossen.

 

Ich könnte jetzt ewig so weitermachen und über Spieler wie Heil, Opoku, Knost, Kwarteng, Pfeiffer, Drawz, Behrens, Köhlert und andere schreiben, aber es kommt nichts anderes oder gar besseres dabei raus.

Lediglich zwei Spieler des NLZ sind heute international erfolgreiche Fußballer und spielen in Erstliga-Vereinen: Tah bei Bayer und Son bei Tottenham. Zur Wahrheit gehört dabei aber auch: wirklich entwickelt haben sich diese Spieler erst bei ihren neuen Vereinen. Unfähige Trainer und Sportvorstände des HSV haben das Potential beider nicht erkannt und statt sie zu fördern wurden sie ignoriert und viel zu günstig abgegeben.

Aktuell ist wieder die Parole von der Jugend und Entwicklungsmannschaft ausgegeben. Namen wie Suhonen, David, Alidou fallen im Sekundentakt. Dabei erfahren sie denselben Hype und dieselbe Fehleinschätzung seitens Fans und Medien wie viele andere vor Ihnen.

Ob Sie wirklich den Verein retten können?

Die Hoffnung gibt bekanntermaßen niemals auf, aber die Erfahrung weiß: Wahrscheinlich nicht.