Endstation Kreuzbandriss?

Keineswegs! Aber jedesmal, wenn ich zuschauen muss, wie ein Sportler sich eine schwere Knieverletzung zuzieht, werden unangenehme Erinnerungen an die eigene Verletzungshistorie wach. Es passierte im Sommer 1987 auf dem Trainingsplatz des TSV Stellingen: Zweikampf, falsche Bewegung, Kreuz- und Außenbandriss im linken Knie, dreistündige Operation im UKE, sechs Wochen Gips, halbes Jahr Reha und nach neun Monaten wieder auf dem Platz. In den nächsten zwanzig Jahren dann – passend zum Niedergang des HSV – schleichende Arthrose bis zum Knorpelschaden vierten Grades. ENDE

Nun hat es Tim Leibold erwischt, aber medizinische Versorgung, Operationsmethoden und Rehatechniken haben sich permanent weiterentwickelt, sodass es nur ein Frage der Zeit sein wird, bis Leibold seine Karriere fortsetzen kann. Im weiteren Verlauf des Blogs möchte ich auf einen unglaublich interessanten und spannenden Artikel aus dem Stern vom August 2019 verweisen, in dem die weitaus schlimmere Knieverletzung des ehemaligen HSV-Spielers Jairo ausführlichst dokumentiert wird. Meine Einschätzung dazu: Prädikat wertvoll und absolut lesenwert. Hier einige Auszüge…

Volkskrankheit Kreuzbandriss

Rund alle sechs Minuten reißt in Deutschland einem Menschen das Kreuzband. Und immer die gleiche Frage: Wird es jemals wieder wie zuvor? Und wenn ja: Wie nur? Und zu welchem Preis? Auf den Tag genau vor einem Jahr, am 23. August 2018, rissen dem Fußball-Profi Jairo Samperio nicht nur beide Kreuzbänder des rechten Knies, sondern noch dazu Innenband und Kapsel. Es war eine der schwersten Verletzungen der jüngeren Bundesliga-Geschichte. Was macht eine solche Verletzung mit einem Profisportler? Und ist eine Rückkehr in den Sport überhaupt denkbar, in Anbetracht größter Belastungen für das Gelenk? Das folgende Jahr würde Antworten auf die Fragen geben, was die moderne Medizin zu leisten im Stande ist. Und wie weit unser Körper in der Lage ist, ihr zu folgen. 

Unfall

Warum hatte ihn seine Körperwahrnehmung im Raum im Stich gelassen? Wo normalerweise der Fuß den größten Anteil der mächtigen Fliehkräfte abfedert, rauschte Samperio ungebremst mit der gesamten Wucht aus Körper und Gravitation in sein noch dazu leicht verdrehtes rechtes Knie. Wer den Moment des Aufpralls später in Zeitlupe verfolgt, sieht das Knie brechen, als knicke ein Streichholz. Samperio erinnert sich heute, wie “etwas heraus sprang. Und als ich das Knie am Boden wieder streckte, spürte ich, wie es wieder einrastete”. Das Etwas, es war sein Knie. Der Schmerz kam schnell und roh und mit ihm die Tränen und die Wut auf sich selbst. Ein Golfcar brachte Samperio zurück in die Katakomben. Der Vereinsarzt Götz Welsch führte dort sogleich die ersten Beweglichkeitstests durch. “Ich habe Götz angesehen, dass er weiß, dass etwas Schwerwiegendes passiert ist.” Sogleich habe er gespürt, dass etwas Neues im Begriff war zu beginnen in seinem Leben, doch es war nicht jener Neuanfang, den Jairo Samperio sich ersehnt hatte.

Operation

Am Ende würde Frosch mit hochreißfesten Polyethylen-Fäden sämtliche Bänder flicken, wobei es zusammenziehen bei den Kreuzbändern wohl eher trifft. “Wir nähen zwar auch die Kreuzbänder, aber eigentlich nur, damit sie sieder sauber finden und gut zusammenwachsen. Die Naht selbst würde zunächst in keiner Weise die Belastung halten.” Die Vorteile lagen für ihn auf der Hand: Keine der Sehnen der langen Sprintermuskeln würden angetastet, auch die Koordinationsfähigkeit des Knies selbst wie auch die sogenannte Propriozeption, wie jene feinste Sensorik im Knie genannt wird, bliebe vorhanden, sobald sich die Nervenenden wieder gefunden hatten. Kein anderes Band – und sei es aus einem anderen Teil des Beines entnommen, vermag dagegen das Innenleben des Knies im gleichen Maße herzustellen. Und doch war die Methode in den letzten Jahren aus manchem OP-Kanon verschwunden. “Wir hatten nicht die richtigen Fäden, die wirklich hochreißfest waren”, sagt Frosch. 

Reha

So stand Samperio bereits zwei Tage nach der OP an einer Tischkante, stützte die Hände ab und versuchte den Ansatz einer ersten leichten Kniebeuge, auch wenn sich das rechte Knie nur Zentimeter beugen ließ. Schritt für Schritt reduzierten die Ärzte die Betäubungsmittel in den ersten Tagen, entsprechend nahmen die Schmerzen in der Nacht zu. Mutter und Schwester waren angereist und versorgten Samperio vor und nach der OP mit selbstgekochtem Essen. Nach vier Tagen verließ er das Krankenhaus, begleitet von Gehilfen und einer Frage: Würde es noch einmal werden? Woche für Woche beugte Samperio nun sein rechtes Knie ein wenig mehr, in enger Abstimmung legten Frosch, Welsch und Kremic die Belastung fest. Der Physiotherapeut Benjamin Eisele knetete nach jedem Training die das Knie umgebenden Sehnenansätze und Muskeln. Wer ihn dabei beobachtete, erlebte einen Mann, der sich bisweilen mit der ganzen Masse seines Körpers auf Samperios Knie legte, um so seinen Daumen noch tiefer in die Strukturen zu treiben und fasziale Verklebungen zu lösen, bis seinem willigen Opfer die Tränen in die Augen schossen.

Rückschlag

Weitere drei Grad der ersehnten Mobilität gewann er bis zum 23. Oktober, dann schien sich buchstäblich ein Riegel in seine Reha zu schieben. Mit einer Blockade reagierte das Knie plötzlich auf jeden weiteren Reiz. “Diese Wochen waren hart, ich konnte machen, was ich wollte, das Bein ließ sich nicht weiter beugen.” Die Entscheidung für eine zweite Operation reifte schnell, denn es würde kein großer Eingriff werden. Karl-Heinz Frosch klingt, als habe er per Kniespiegelung nur einmal schnell durchgekehrt, als er feststellt: “Wir haben die Fäden gezogen, die Metallblättchen der Fäden entfernt und ein paar Narben am Kreuzband. Außerdem haben wir ihm noch den Innenbandansatz gelöst.” Als Samperio den Operationssaal verließ, konnte er sein Knie auf einen Schlag 20 Grad mehr beugen. Schon bald erweiterten die Trainer seine Fünftagewoche um einen sechsten Tag. Leichtes Jogging stand auf dem Programm. Der vierwöchige Weihnachtsurlaub in der spanischen Heimat vertrieb außerdem manchen schweren Gedanken.

Happy End

… im vollständigen Artikel:

https://www.stern.de/gesundheit/hsv-spieler-jairo-samperio-nach-kreuzbandriss–der-lange-weg-zurueck-8838846.html

 

Von | 2021-10-29T08:03:55+02:00 28. Oktober 2021|Allgemein|4 Kommentare

4 Comments

  1. cajunX 28. Oktober 2021 um 09:49 Uhr

    Klasse Bericht im Stern. Ich kann die Gefühle des Spielers gut nachempfinden. Ich hatte in meiner Jugend als Spieler mehrere größere Verletzungen. Ewig in Erinnerung wird mir der 16. Juni 1967 bleiben, als ich mir ausgerechnet in einem Privatspiel einen Trümmerbruch des linken Ellbogens mit allein 6 oder 7 Brüchen, sowie zweifachen Brüchen des Unterarms und des Handgelenks zuzog. Ich war 8 Wochen im Krankenhaus am Streckverband und wurde dann mit einem sogenannten “Stuka” entlassen, wo praktisch Gipsverbände über den Streckverband befestigt wurden. Nach 3 Monaten kam der Gips wieder weg und ich hatte nur noch Ärmchen wie ein Kind. Dann begann bei mir die Reha, die an die 9 Monate dauerte. Damals war man eben auch noch nicht soweit wie heute. Ich hatte danach noch 10 Jahre weiter Fußball gespielt, obwohl ich den linken Ellbogen – auch heute noch – nur bis 45° beugen konnte. Hinzu kam, dass eben nicht jeder Chef Verständnis für monatelange Fehlzeiten hatte, die durch Verletzungen beim Sport entstanden.

  2. jusufi 28. Oktober 2021 um 10:02 Uhr

    Guten Morgen liebe Selbsthilfegruppe. Ich hatte vor 30 Jahren ebenfalls einen Riss des vorderen Kreuzbandes im linken Knie. Es war mein erstes Jahr im Seniorenbereich bei einem ambitionierten Oberligisten am Niederrhein. Die Oberliga war seinerzeit die 3. Liga und höchste Amateurklasse. Die OP wurde konservativ durchgeführt und verlief problemlos; die Saison war für mich trotz toller Reha bei Bernd Restle dennoch so gut wie beendet. An den letzten Spieltagen hatte ich ein paar Kurzeinsätze. In der Vorbereitung zur nächsten Saison brach ich mir den Knöchel rechts (bzw wurde er gebrochen), wieder 4 Monate Pause…Damit hatte ich erstmal den Anschluss verpasst, meine Zeit als “Juwel” beendete ich selbst, konzentrierte mich aufs Studium und wechselte zu meinem Heimatverein in die Landesliga und kickte wieder mit Freunden, was mir eh mehr Spaß machte als dieser ziemlich heftige Konkurrenzkampf und nicht zimperliche Umgang mit Spielern in der B- und A-Jugend eines damaligen Bundesligisten (heute nennt man das wohl NLZ). Da ich Fußball immer nur als Hobby gesehen habe, bin ich heute noch froh, mich zu diesem Schritt zurück zum Heimatverein entschieden zu haben. Insofern haben mir die Verletzungen einen guten Weg geebnet…

    Wenn man sich überlegt, dass für Spieler wie Sampero ihr Körper ihr Kapital ist und ihre sportliche Existenz von einem gesunden Körper abhängt, kann man sich in etwa vorstellen, wie schwierig solche Verletzungszeiten sind.

  3. Hein Blöd 28. Oktober 2021 um 10:36 Uhr

    Moin!

    Ich hatte vor über dreissig jahren einen Kreuzbandriss, seitliches und hinteres Kreuzband.
    Himmel, tat das weh! Und ich war satte sechs Monate ausser Gefecht: Sechs Wochen Gips
    und dann erst Bewegungsmaschine um das Knie wieder beweglich zu machen, und dann
    der Muskelaufbau des rechten Beins.

    Und dazu die nerverei meines Chefs, welcher meinte die Fußballer stünden nach einem
    Kreuzbandriss nach vier Wochen wieder auf dem Rasen…
    Der meinte echt ich würde die Heilung hinauszögern und hielt es mir gut zwei Jahre vor bis
    es ihn dann selber erwischte: Beim Rasenmähen (Fragt mich nicht wie. Gestolpert, glaub ich).

    Als Schreibtischtäter war er schneller zurück am Arbeitsplatz als ich, aber meine sechs
    Monate Auszeit waren nie wieder ein Thema.

  4. Vsabi 28. Oktober 2021 um 14:51 Uhr

    Ich meide jegliche Gespräche indenen es um Krankheit geht , jeder hat noch mehr und schlimmer, deshalb hält sich meine Begeisterung heute vom Bloginhalt in Grenzen. ( Sorry Alex )
    Mein Vorschlag für einen Blog:
    Der Hamburger Senat fordert massive Rückzahlungen von Coronageschädigte Firmen/ Einzelhändler/ Kleinunternehmer zurück. Hat der grosse HSV nicht Coronazahlungen in Millionenhöhe erhalten die lt. Wettstein als Rücklage dienen ?
    Herr Dressel sollte ihre Finanzbehörde hier nicht einmal sorgfältig recherchieren , statt den ” Kleinen ” ihre Lebensexistenz zu vernichten ?

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