Ein Hauch von Endspiel

Der 1. FC Nürnberg gegen den HSV. 2. Runde im DFB-Pokal. Es ging um den Einzug ins Achtelfinale. 120 Minuten und Elfmeterschießen. Was gibt es da noch zu sagen?

Soll ich mit der üblichen Chancenverwertung anfangen? Die Grausamkeiten will sich keiner ernsthaft ins Gedächtnis zurückrufen.

Will ich das überlegene Spielsystem von Papa Tim abfeiern? Dann hätte nach der ersten Halbzeit Schluss sein müssen.

Darf ich mich über Walter’schen Spektakelfußball freuen? Nur, wenn man kleinklein und totkombinieren vorm gegnerischen Tor aufregend findet.

Was schreibe ich bloß?

Vielleicht, dass Coach Walter eine tiefe Unruhe vor dem Spiel ausstrahlte. Man konnte spüren, hier geht einer in sein ganz persönliches Endspiel. Denn die Erwartungen waren hoch. Sehr hoch. Weniger als ein Weiterkommen hätte man wohl kaum akzeptiert. Beckenbauer würde sagen: “Heute hat ganz Hamburg hinter dem Fernseher gestanden.” Spoiler Alert! Mir hat am meisten leid getan: der Ball. Neben Leibold und Krauß natürlich. Und Klauß, denn der ist raus. Kein breit ziehender linker Zehner mehr im Pokal. Aber der Gang des HSV in die nächste Runde war kein leichter.

Erst geht man traditionsgemäß – Kittel Ecke, David Kopf, Tor – in Führung. Dann gibt man sie ebenso traditionsgemäß wieder ab. Es ist wahrlich einzigartig im deutschen Fußball, wie die Wunderheiler vom HSV in fast jedem Match Tote wieder zum Leben erwecken. Da hat man auswärts nach der Führung eine Halbzeit lang den Fuß im Nacken des Gegners, dann verheddert man sich in dessen Haargummi und Zack: Ausgleich!

Die zweite Halbzeit gehörte dann mehr und mehr den Gastgebern, erst recht nach dem Gegentor von Duman. Und beim HSV begann das altbekannte Zittern. Von einer fußballerischen Feinkostabteilung, wie sie Sky-Mann Hempel entdeckt zu haben glaubte, habe ich leider nichts gemerkt. Aber vielleicht hat die Moderationsgranate auch nur einmal zu oft am Übertragungskabel geleckt.

Immer mehr Unsicherheiten und Ungenauigkeiten schlichen sich ins Spiel der Rothosen ein. Entsprechend war Walter außer sich und pfefferte seine Trainingsjacke in die Ecke. Doch die Mannschaft zitterte sich erfolgreich erst in und dann durch die Verlängerung.

In Minute 119 dann Farides Fall im 16er. Strafstoß? Ein Kontakt war da. Elfer kann, muss aber nicht. Aber Gelb wegen Schwalbe? Da hatte Dankert wohl eine ganze Tomatenernte auf den Augen. Tja, VAR erst ab der nächsten Runde.

Auf der Bank schlug Walter wutentbrannt gegen die Glaswand und war schon wieder total außer sich. Oder immer noch? Mit Impulskontrolle hat unser Rumpelstilzchen es nicht so.

Auf dem Platz bettelte der HSV nun geradezu darum, nicht ins Elfmeterschießen zu müssen. Aber Nürnberg verweigerte den Rothosen diesen Gefallen nach Kräften. Und bevor die Franken den Sack zumachen konnten: Abpfiff.

Elfmeterschießen.

Völlig überraschend blendet Sky den Mond im Vollbild ein. Assoziationsketten vergangener Fußballabende wurden getriggert. Ein Hauch von Rom ‘90 flackerte im Hippocampus auf. Endspiel-Atmosphäre. Ein Gänsehautmoment. Dann schwenkte Sky zurück ins Max-Morlock-Stadion, wo „Heuer-Fernandes“-Rufe ertönten und der Moment war vorbei. Die dritte Auslosung des Abends ergab: Es geht aufs Tor vorm Gästeblock. Da haben sich die 635 Kilometer für die 2.000 mitgereisten Fans aber mal gelohnt.

Nürnberg beginnt mit Geis: 1 – 0

Jetzt kommt, oh Gott, Kinsombi. Ich bebe, aber: 1 – 1. Kinsombi ist die Erleichterung genauso anzumerken wie mir.

Einblendung: Boldt und Walter stehen gemeinsam an der Linie.

Duman hämmert das Ding an Unterkante Latte: 2 – 1

Kittel mit nervenstarkem aber mörderriskantem und -arrogantem Lupfer: 2 – 2

Einblendung: Boldt und Walter halten demonstrativ Händchen.

Tempelmann haut drüber, verschossen, es bleibt: 2 – 2

Kapitano Schonlau kann vorlegen und er legt vor: 3 – 2 für den HSV.

Die „Heuer-Fernandes“-Rufe werden lauter.

Sörensen schießt und… scheitert. An Elfmetertöter HF1. Genauer, an seinem rechten großen Zeh: 3 – 2 weiterhin.

Einblendung: Boldt und Walter halten sich Arm in Arm gegenseitig fest.

Matchball. Ein Moment zum Pokalheldenzeugen. Es tritt an: Jonas David. Schuss. Drin! 4 – 2

Endstand  5 – 3. Der HSV ist unter den letzten 16. 

Die Spieler rannten dann zu den Fans in der Kurve, Walter schnaufte erleichtert durch und Boldt sah aus, als wollte er ihm jeden Moment einen Antrag machen. Ein schräger Anblick. Aber ein gutes Gefühl. Endlich mal. Hauptsache weiter. Schalke würde nur zu gern tauschen. Kiel nach der Klatsche sowieso. Elfer schießen können sie, immerhin. Aber warum ist es dann so schwer, das Tor während der regulären Spielzeit zu treffen, die Herren Glatzel, Kittel, Winzheimer, Jatta?

Hier meine Einzelbewertungen:

Heuer Fernandes: Mal ganz abgesehen vom Elfmeterschießen war HF1 auch sonst wertvollster Hamburger auf dem Platz. Seine Paraden haben den HSV im Spiel und am Leben gehalten.

David: Dies Spiel war seins. Pokalheld, Pokalheld, hey hey hey. Erstes Profi-Tor für David. Erstes Saison-Tor nach Ecke für den Verein. Zwei Buden in einem Spiel gemacht. Unter den letzten 16 dank ihm. Man muss auch gönnen können.

Doyle: Wow, positive Überraschung. Unter einem erstklassigen Coach professionell trainiert zu haben, zahlt sich ja tatsächlich aus. Hoffentlich kann er sich das noch ein bisschen bewahren. Das und sein Schussfüßchen.

Leibold: Große Scheiße, das hat schon beim Hinsehen weh getan. Und die Schreie waren kaum zu ertragen. So klingt Knie. Wir drücken alle Daumen und wünschen gute Besserung. Dennoch, das riecht nach Saisonaus. Gut, dass Boldt und Mutzel für Ersatz gesorgt, äh, warte mal…

Schonlau: Gut gekämpft, Löwe. Beim Gegentor dann leider zahnlos.

Heyer: Hinten und rechts, zwei Dinge, die Heyer nicht mag. Warum Papa Tim ihn dann hinten rechts spielen ließ, weiß nur er allein.

Muheim: KO-Miro war stets bemuht. An dieser Stelle unsere besten Genesungswünsche auch an Tom Krauß.

Meffert: Ein starker Schwitzer. Hält Gegner auf Abstand.

Kittel: Traumtänzer im Strafraum, Eckenschütze mit Knick in der Optik. Egal, eine gute Ecke pro Spiel reicht ja. Und endlich das zweite Saisontor, wenn auch im Elfmeterschießen.

Alidou: Das war nicht mal ansatzweise das, was man nach dem letzten Spiel erwarten durfte. A Dollar short and a Day late. Schade um die verpasste Gelegenheit.

Jatta: Ein Daffeh wird aus Bakary nicht mehr.

Reis: Trotz Fleiß kein Preis! Ackert, macht, rennt, aber laufen tut es nicht. 100 Millionen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren, oder Barca?

Kaufmann: Pleite.

Kinsombi: Wie kleines, dickes Ailton, nur nicht so schnell.

Winzheimer: Er darf jetzt nicht den Sand in den Kopf stecken.

Glatzel: Ein Glatzel ist kein Terodde, das hat man genau gesehen (frei nach Firlefranz).

Schiri Dankert: Hat sich ein paar Dinger geleistet. Bei Leibold nicht mal Foul pfeifen, aber gegen Muheim die Gelbe zücken für, ja, für was eigentlich? Und wer bei Alidou eine Schwalbe sieht, der sollte zum Arzt gehen (Visionen, Sie verstehen?).

Das Nürnberger Publikum: Den schmerzverzerrten Leibold beim Raustragen auszupfeifen, da muss man schon Frankenstein, äh, Franke sein, um das nachvollziehen zu können. Aber was will man schon von einem Menschenschlag erwarten, der einen Markus Söder hervorbringt. Übrigens ein gebürtiger Nürnberger, genau wie uns Judas. Sympathisches Städtchen, das.

Das Problem mit diesem Sieg? Er ist nur ein weiterer, kleiner Schritt auf einem langen, harten Weg. Und er ändert nichts an den grundlegenden Mängeln der Mannschaft und des Vereins. Dazu passend ein letzter Kommentar der Lichtgestalt: „Das sind alles gute Fußballer. Nur, sie können kein Fußball spielen.“

Wo war eigentlich Suhonen?

 

FOTO LOVE STORY DES TAGES:

 

Von | 2021-10-29T03:58:02+02:00 27. Oktober 2021|Allgemein|17 Kommentare

17 Comments

  1. Revi22 27. Oktober 2021 um 07:33 Uhr

    Das mit dem Fuß im Nacken und dem Haargummi… jetzt mal ehrlich,wie kommst Du auf sowas?? Einfach köstlich!!

  2. JannyJones 27. Oktober 2021 um 08:51 Uhr

    Schöner Blog. Vielen Dank!! Der Elfmeter von Kittel ist GENAU der Grund, warum die nächsten Gegner ein paar Prozentpunkte mehr Einsatz auf den Rasen bringen.

  3. St. Patrick 27. Oktober 2021 um 09:17 Uhr

    Elfmeter wie der von Kittel sind für mich nach wie vor inakzeptabel! Da geht’s nur um die eigene Selbstdarstellung! Allein die Finger-vorm-Mund-Geste ist völlig deplatziert, zeigt aber ein weiterhin völlig verzerrtes Selbstbild des selbsternannten Beinahe-Nationalspielers.. Und dafür riskiert so ein Vogel den Erfolg seines Teams und Vereins! Der legitime Nachfolger von Ahorn Hund!
    Was mich auch sehr hellhörig werden lässt, ist das mangelnde gegenseitige pushen auf dem Platz: Kein großes Abklatschen mit Heuer-Fernandes nach seinen guten Taten, kein Anfeuern untereinander nach guten Offensivaktionen. Es bleibt dabei: In dem “Team” gönnt keiner dem anderen, wenn er gut aussieht. Neid, Missgunst, Eifersucht: Das sind seit Jahren die negativen Triebkräfte innerhalb der Mannschaft! Das Umfeld in der Chefetage tut das Seinige dazu.

    • Gravesen 27. Oktober 2021 um 09:20 Uhr

      Mach dir keine Sorgen, die Quittung kommt wie immer schneller als man denkt. Das war bei Hunt so (“Es ist uns egal, wer hinter uns Zweiter wird”) und das wird bei Kotz-Prolet und Vorzeige-Arschloch “Jonny” Kittel auch so sein.

    • Kobinho 27. Oktober 2021 um 18:18 Uhr

      Im Sport geht es auch darum, dem Gegner mit guter Körpersprache und Selbstbewusstsein zu begegnen. Gerade in so einer nervlichen Situation wie dem Elfmeterschießen äußerst vorteilhaft. Kinsombi, Schonlau aber eben auch Kittel mit dieser sauarroganten Ausführung haben das gemacht. Vielleicht nur Zufall, dass Tempelmann direkt danach verschossen hat.
      Klar, wenn Kittel verschießt, hängt man ihn an den nächsten Flutlichtmast. Und klar, ein zu arrogantes Auftreten steht dem HSV nach den Jahren des Niedergangs nicht zu. Aber gestern in dieser speziellen Situation war das hilfreich!

  4. Gravesen 27. Oktober 2021 um 09:37 Uhr

    Und hier der komplette Gegenentwurf zu all dem asozialen Gesocks in der Sylvesterallee. All die Selbstoptimierer wie Wettstein, Boldt, Mutzel, Jansen und all die Proleten wie Kittel und Co. Und natürlich der komplette Gegenentwurf zu einem Idioten wie Walter.

    https://www.ndr.de/903/Feel-Hamburg-Timo-Schultz-Fussballtrainer-FC-St-Pauli,audio996110.html

    • St. Patrick 27. Oktober 2021 um 10:53 Uhr

      Mir scheint, die offizielle Wachablösung im Hamburger Profifußball ist im vollen Gange und wird zugunsten des unaufgeregt nachhaltig agierenden Clubs ausgehen. Seit Littmann geht’s vor allem finanziell auf solideren Füßen bergauf. Der sukzessive Stadionneubau ist ein sichtbares Beispiel dafür. Auch im Nachwuchsbereich spricht sich rum, dass beim FCSP seriöser gearbeitet wird.
      Wahrgenommener Gesamt-Trend: Die Stadtbevölkerung ist eher beim FCSP, nur das Umland hängt noch dem großen HSV nach..

  5. Anbo 27. Oktober 2021 um 10:59 Uhr

    Politik sollte hier keine Rolle spielen. Vor allem nicht, wenn der Rest des Blogs so gelungen ist.

    Nürnberg ist übrigens sehr schön, wenn die Frrrrranken nicht wären. Obwohl, da gibt es auch Nette.

  6. Ex-HSVer+im+Herzen 27. Oktober 2021 um 11:53 Uhr

    Ich stelle mir 2 Fragen:
    1.) Geht es nur mir so oder werden eigentlich stärkere Mannschaften von einem geheimnisvollen Lähmungsvirus befallen, wenn sie gegen den HSV spielen. Werder, Paderborn, Nürnberg… alle im Vorfeld favorisiert und dann Grütze.

    2.) Warum zieht Boldt über eine Daunenjacke ein Sakko?

    • Sag'+Tschüß+Dino 28. Oktober 2021 um 07:14 Uhr

      Gab’s im Altkleidercontainer gerade nur in der Größe.

  7. Dommie 27. Oktober 2021 um 12:54 Uhr

    Schön geschrieben @ Demo, klasse!

  8. Vsabi 27. Oktober 2021 um 13:01 Uhr

    War es das Nürnberger Publikum oder nur die üblichen Proleten die einen Verletzten auf der Trage auspfeiffen ( Söderbemerkung muss nicht sein ). Es waren der Abschaum, ohne Hirn und einziger Lebensinhalt, Fussball ! Erleben wir nicht jede Woche in den Stadien wie sich diese Horden von Proleten aufführen. Jüngstes Beispiel Rostock am Wochenende gegen St. PAULI. Vor wenigen Tagen konnte man einen Fan in Vereinskutte ( HSV ) hier im Blog kennenlernen. Grundsätzlich mit Bier in der Hand und anderen drohend entgegenschreiend. Man kann arm sein, dumm sein, wenig redegewandt sein usw. aber proletarisches verhalten, eignet man sich selber an ! FUSSBALL ist Proletensport und speziell in Hamburg wenig akzeptiert, da ändern auch die 40.000 Fans bei Heimspielen nichts. ( Prozentual Einwohnerzahl HH so wenig wie Wahlergebnis von Jansen zum Präsidenten). Das Spieler wie Kittel beim Elfmeterschießen durch Selbstinszennierung ein Ergebnis gefährdet zeigt, das der Spieler nicht die hellste Kerze auf der Torte ist. Diese Typen sind Kultfiguren für diese Proleten.

  9. Ralf Schulz 27. Oktober 2021 um 15:30 Uhr

    R.I.P. Dr. Hammer, eines der größten Idole meiner frühesten Kindheit😭😭😭

  10. BesuchausdemSüden 27. Oktober 2021 um 16:17 Uhr

    Die Aussagen von Herrn Kühne lesen sich jetzt nicht gerade so, als ob er mit dem Verein noch irgendwas in der Zukunft anpacken möchte .
    „ Habe mich innerlich verabschiedet“ , klingt eher nach geordneter Insolvenz bzw. Schlussverkauf als nach Super League. Warum auch gutes Geld schlechtem hinterher werfen.

  11. Bidriovo 27. Oktober 2021 um 16:24 Uhr

    Kreuzbandriss bei Leipold. Vllt. gar nicht so schlecht für das Mannschaftsgefüge, wenn der Platzhirsch mal außen vor ist.

  12. Sebastian 27. Oktober 2021 um 16:24 Uhr

    Leibold Kreubandriss, Saisonaus. Gute Besserung!

    Jetzt wird es ja interessant…

    • St. Patrick 27. Oktober 2021 um 20:29 Uhr

      Damit ist die Erklärung für den 4. verpassten Wiederaufstieg schon mal im Kasten. Durchatmen auf der Chefetage…

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