Ein Gastblog von Abräumer

 

Am 04.10.2021 habe ich eine Veranstaltung der Senioren mit dem Gast Horst Hrubesch besucht, weil ich ein großer Hrubesch-Fan bin.

Zu meiner Überraschung begann es aber nicht mit Horst Hrubesch, sondern mit Frauenfußball. Auffällig intensiv wurde der Frauenfußball vorgestellt. Die sympathische Koordinatorin der HSV-Fußball-Frauen erläuterte ausgiebig das Konzept des Frauenfußballs beim HSV, oder besser gesagt, das, was man beim HSV für ein Konzept hält.

Interessant war die Frage nach dem Budget der Frauenmannschaft. Die Koordinatorin war verunsichert und fragte Hrubesch, ob sie es sagen dürfte. Nachdem Hrubesch nickte, erklärte sie 0,2 Mio., genauso viel wie die Oberligamannschaft der Herren bekommen würde. Sie erzählte, dass die Frauenmannschaft zum e.V. gehören würde, sie selbst und die Physiotherapeutin aber bei der AG angestellt seien.

Mir stellten sich danach die folgenden Fragen:

  1. Sind 0,2 Mio. für eine Regionalliga-Mannschaft der Frauen vor dem Hintergrund unserer Finanzen angemessen?
  2. Stimmt der Betrag von 0,2 Mio. überhaupt, wenn die Frauenmannschaft zum Verein gehört, die Betreuer aber bei der AG angestellt sind? Immer mehr begegnet mir in diesem Zusammenhang der Satz, dass AG und eV zusammenwachsen sollen. Aus meiner Sicht ist dieses ein einziges Chaos, denn Verein und AG müssten beide streng voneinander getrennt werden.
  3. Muss der HSV e.V. 0,2 Mio. für die Herren-Oberligamannschaft ausgeben?

Jetzt dachte ich, dass es endlich mit Horst Hrubesch losgehen würde. Aber da hatte ich mich getäuscht, denn jetzt griff der Seniorenrats-Vorsitzende, Heiko Frank, ein. Obwohl alle Fragen abgearbeitet waren, forderte er die Teilnehmer auf, weitere Fragen zu stellen. Der Höhepunkt war jemand, der dann einfach drauf los gesabbelt  hat, bis er daran erinnert wurde, dass er eine Frage stellen müsse. Er hat dann ernsthaft gefragt, ob es nicht für die Frauen besser sei, mit einem kleineren Ball zu spielen.  

Dann kam Horst und hat ein paar Anekdoten erzählt (auch ich höre Anekdoten gern, aber interessanter war für mich seine Einschätzung zur aktuellen Lage). Er erzählte von seiner Wette um 5 DM mit Kevin Keegan die Löcher in den Zäunen des Trainingsgeländes zu treffen und von Happel, der trotz seines Alters der Beste beim Cola-Dosen-Schießen von der Latte war.

Jeder Verein hat eine bestimmte Kultur. Abgesehen davon, dass eine Seniorenveranstaltung bis auf wenige Ausnahmen viel von einem Kaninchenzüchterverein nur mit höherem Altersdurchschnitt hat, zeigte sich auch hier wieder einmal die Kultur des HSV. Es war eine Stimmung wie auf der Mitgliederversammlung: Friede-Freude-Eierkuchen. Man findet sich mit seinem Schicksal ab, mit der zweiten Liga ist man „fein“, Bier und Bratwurst schmecken auch in der zweiten Liga und ansonsten schwelgt man in alten Erinnerungen.

Nachdem Horst Hrubesch dann zur Gegenwart überging und uns erzählen wollte, dass die Junioren alle gute, charakterlich einwandfreie Jungs seien, war endlich die Gelegenheit gekommen, diesen ganzen unwirklichen Harmonie-Zirkus zu unterbrechen. Ich erzählte ihm, dass sich nach dem Norderstedt-Spiel zwei Spieler der zweiten Mannschaft angeschrien und kurz vor einer Prügelei gestanden hätten. Hrubesch kannte diesen Vorfall nicht und führte an, dass er es eigentlich gut finden würde, wenn die Jungs nach einer Niederlage (das Spiel gegen Norderstedt wurde 2:3 verloren) nicht lachen würden. Ich stimmte ihm grundsätzlich zu, aber nicht lachen und sich fast prügeln sei für mich ein Unterschied. Ich legte nach und erzählte ihm, dass nach dem Norderstedt-Spiel jemand neben mir stand, der mir nach diesem Vorfall erzählte, dass er einen der Spieler gut kennen würde und dieser immer ein netter Junge gewesen sei, bis er in die zweite Mannschaft gekommen sei. In dieser Truppe würden unterirdische Umgangsformen herrschen.

Jetzt wurde es endlich eine bessere Diskussion und Hrubesch wurde gnadenlos mit der Gegenwart konfrontiert. Die Arroganz der Verantwortlichen mit den Folgen für das HSV-Image wurden hinterfragt. Schließlich wurde das Verhältnis zu Boldt hinterfragt und wie man mit dem Charakter von Hrubesch dabei mitmachen könne. Hrubesch führte loyal aus, dass er gut mit Boldt klarkommen würde und er ihn schon damals zum DFB holen wollte.

Hrubesch erklärte, dass es das große Manko in den Nachwuchsmannschaften sei, dass sie nicht über Führungsspieler verfügen würden. Man hätte es im letzten Jahr mit älteren Spielern als Führungsspielern versucht, aber die jüngeren Spieler hätten sich in der letzten Saison hinter den älteren Spielern versteckt. Er erzählte, dass er bei einer U19-WM als DFB-Trainer den jungen Kimmich mitgenommen hätte, obwohl dieser mit 17 eigentlich zwei Jahre zu jung war. Er hätte dann versucht, den Jungs zu erklären, was sie machen sollten und Kimmich hätte zu ihm gesagt, dass er nichts sagen bräuchte, denn er, Kimmich, würde es schon machen. Hrubesch hätte über den „Kleinen“ nur gestaunt und Kimmich hätte ein Riesenturnier gespielt. Hrubesch führte weiter aus, dass diese jungen Anführer schwer zu verpflichten seien. Jeder Verein würde alle guten Spieler heutzutage kennen. Er sei zwei Tage in Aalborg gewesen wäre, aber junge dänische Spieler würden schon 5 Mio. kosten. Auch wenn ich Hrubesch und seine Analysen sehr schätze, widerspreche ich hier ihm, dass jeder Verein alle Talente kennt und dass junge, gute Dänen 5 Mio. kosten. Junge Dänen kosten mit 21 Jahren 5 Mio., aber nicht mit 17. Und dieses ewige Totschlagargument, dass alle Vereine alle Talente kennen, stimmt aus meiner Sicht auch nicht. Denn wenn der HSV alle Talente kennen würde, wäre unsere Erfolgsquote deutlich höher. Die Kunst ist es nicht, wie jeder Verein von jedem Talent die Daten und Videos zu haben, sondern die Kunst ist es, aus diesem Material die herauszufiltern, die den Durchbruch schaffen.

Hrubesch beschrieb in diesem Zusammenhang, dass Vuskovic bei seinem einem Einsatz bis auf die Szene, die zum Elfmeter führte, ein gutes Spiel gemacht hätte. Darüber kann man sicherlich geteilter Meinung sein. Aber die Frage muss doch sein, ob es auf diesem Planeten, nicht auch günstigere und bessere Spieler wie Vuskovic gegeben hätte. Beim HSV gucken sie sich die U21 EM an und „entdecken“ Vuskovic. Also genau zu dem Zeitpunkt, in dem die ganze Welt im öffentlichen Fernsehen zuschaut und jeder Spieler teuer wird. Das erinnert an die Geschichte von Berg als schwedischer Torschützenkönig bei der damaligen U21 EM. Auch wenn es nicht mit den damaligen 10 Mio. für Berg vergleichbar ist, ist die jährliche Leihgebühr von 0,75 Mio. für einen Ersatzinnenverteidiger für die zweite Liga in Pandemiezeiten für unseren klammen Verein Wahnsinn.

Hrubesch erzählte, dass es das grundsätzliche Ziel sei, mit der zweiten Mannschaft in die dritte Liga aufzusteigen. Wohl aufgrund der schlechten Ergebnisse reduzierte Hrubesch das Ziel für diese Saison auf das Erreichen der Aufstiegsrunde, also unter die ersten Fünf zu kommen. Er stellte dar, dass im Nachwuchsbereich professionelle Strukturen geschaffen wurden und meinte damit wohl die vielen Trainer, Assistenten und Physiotherapeuten. Aber man hätte bei Bayern II gesehen, dass man auch wieder absteigen könne. Hrubesch erzählte, dass alles finanziell eng gestrickt sei. Ob dieses richtig ist, kann ich nicht beurteilen, ich befürchte aber, dass der Aufwand für den Nachwuchs, ähnlich wie unter Bernhard Peters, wieder ca. 8 Mio. beträgt. Der Ertrag mit der zweiten Mannschaft als 8er der Regionalliga und der U19 und U17, die auf Platz 12 und Platz 10 in ihren Ligen stehen, ist dagegen überschaubar.

Das ist für mich der Punkt, wo man insgesamt den Weg der Nachwuchsarbeit hinterfragen muss.  Bayern II ist abgestiegen, weil sie viele Spieler verliehen haben, damit sie in höheren Ligen den nächsten Schritt gehen. Daher muss man sich aus meiner Sicht überlegen, ob man nicht von vornherein mit einem Farmteam arbeitet oder mit anderen Vereinen zusammenarbeitet und gezielt die Talente, ohne den Umweg Regionalliga oder dritte Liga, verleiht. Viele Wege führen nach Rom, was aber aus meiner Sicht klar sein muss, dass man mit einer zweiten Mannschaft, die im Gegensatz zu ihren Gegnern unter Profibedingungen arbeitet, nicht in der Abstiegsrunde der Regionalliga herumdümpeln darf. Die Frage ist für mich, ob es nicht besser wäre, wie Leipzig und Leverkusen, die zweite Mannschaft abzuschaffen und mit dem eingesparten Geld eine Granaten-U19 zusammenzustellen, anstatt eine teure zweite Mannschaft, die bei einem Aufstieg in die dritte Liga noch höhere Beträge verschlingen würde, zu finanzieren.

Gern hätte ich mit Hrubesch weiter diskutiert, aber solche Diskussionen sind beim HSV, wie auch im Kreis der Senioren, erschwert. Auch auf dieser Veranstaltung hat sich diese ewig alles unterdrückende, gespielt harmonische Kultur des HSV gezeigt. Es hat beim HSV immer etwas vom Orchester auf der Titanic. Diesem ganzen Verein würde ein loyaler, aber sachlich-kritischer Dialog so unendlich gut tun.