Die Leute sagen immer,
Die Zeiten werden schlimmer;
Die Zeiten bleiben immer,
die Leute werden schlimmer.
 
[Ringelnatz] 
 
 

Ich bin müde, sehr sogar [Forrest Gump]

Ich bin auch müde, wahrscheinlich sogar müder als der schnelle Forrest, der sich zwar auch mit den Widrigkeiten des Lebens auseinandersetzen musste, der es aber immer wieder schaffte, diesen Widrigkeiten mit einer gehörigen Portion Naivität trotzen zu können. Unglücklicherweise ist mir diese Naivität nicht gegeben, mich machen Dummheit, Ignoranz und Verblödung, die wahrscheinlich gefährlichste Kombination überhaupt, nach wie vor krank und dabei rede ich nicht (nur) über primitive HSV-Hüpfer, asoziale Dauer-Stalker oder professionelle Arschlöcher. Ich rede von einem Teil der Gesellschaft, der eben diese Gesellschaft massiv gefährdet und über eine Politik, die aus persönlichen oder wahlkampftechnischen Gründen eben genau das zulässt. Ich rede von einem designierten Bundeskanzler mit gravierenden Gedächnislücken, der aufgrund seiner Vorgeschichte eher nach Santa Fu und weniger ins Bundeskanzleramt gehören müsste. Ich rede von einer Hamburger Staatsanwaltschaft und einer Hamburger Polizeibehörde, die mehr damit beschäftigt ist, Pimmel-Aufkleber abzukratzen, während 12 eindeutig überführte Vergewaltiger ohne Anklage frei herumlaufen dürfen. Ich rede von Kyle Rittenhouse, der sich mit einem Schnellfeuergewehr bewaffnet auf den Weg in einen anderen Bundesstaat machte, um dort auf einer Black Lives matter-Demonstration zwei Demonstranten zu erschießen und nun in allen Punkten freigsprochen wurde, weil er auf Selbstverteidigung plädierte. Es ist dabei nicht das Urteil, welches sprachlos macht, es ist ein Justizsystem, welches ein solches Urteil möglich macht. 

Spricht man all dies an, wird einem teilweise vorgeworfen, man trage zur Spaltung einer Gesellschaft bei, dabei ist diese Gesellschaft bereits gespaltener denn je. Sie besteht aus einem Teil, der an ein Solidarsystem glaubt und dabei bis aufs letzte Hemd ausgebeutet wird und aus einem Teil, der nur und ausschließlich sein eigenes Ding durchzieht und damit größtenteils auch noch durchkommt. Wie bitte will ich heute einen jungen Menschen dazu erziehen, Rücksicht zu nehmen? Auf seine Mitmenschen zu achten und auch mal zu verzichten, wenn ihnen jeden verfickten Tag zigmal demonstrierte wird, dass man mit genau dieser Einstellung ab einem gewissen Zeitpunkt wie ein Volltrottel darsteht? Uns sind schon längst die Vorbilder ausgegangen, wenn uns die angeblichen Vorbilder wie Herr Kimmich zeigen, dass sie zum Vorbild nicht taugen, weil ihnen Eigennutz und Egoismus über allem steht? Im Stern ist ein aus meiner Sicht hochinteressanter Artikel von 11Freunde-Chefredakteur Köster erschienen, den ich ansonsten nicht besonders schätze, der hier aber einige Sachen in aller Deutlichkeit anspricht. 

Zurück bleibt Fassungslosigkeit! Über einen Coach, der offenbar aus Bequemlichkeit oder unreflektierten Ängsten die Impfung gegen eine schwere Krankheit vortäuschte, sich noch nicht einmal die Mühe machte, den Termin der Zweitimpfung mit seinem Kalender abzugleichen – und für den Fall der Entdeckung riskierte, seine komplette Karriere aufs Spiel zu setzen.

Nun wird der Profifußball alles tun, um den Täuschungsversuch des Bremer Trainers als bedauerlichen Einzelfall abzutun. Doch jeder neuer Vorfall macht deutlich: Es handelt sich um ein systemisches Versagen, gespeist aus Hybris, Ignoranz und Leichtsinn. Denn bevor der Bremer Trainerstab in die Schlagzeilen geriet, gehörten diese ja dem Bayern-Profi Joshua Kimmich. Der hockt, anstatt zu trainieren und  beim Punktspiel in Augsburg aufzulaufen, zum wiederholten Mal daheim in Quarantäne – aus halbgaren Bedenken vor imaginären „Langzeitfolgen“ einer inzwischen milliardenfach erprobten Impfung.

Natürlich ist zu differenzieren. Markus Anfang hat sich strafbar gemacht, Kimmich hat lediglich bewiesen, dass ihm gesellschaftliche Solidarität nicht soviel bedeutet, wie man aufgrund früheren Engagements zu erwarten gewesen wäre. Beide Fälle sind jedoch nur möglich gewesen, weil sich weite Teile des Profifußball seit Beginn der Pandemie um gesellschaftliche Verantwortung gedrückt haben und stattdessen mit beeindruckender Penetranz eine Sonderrolle beansprucht haben.

(Quelle: https://www.stern.de/sport/fussball/philipp-koester/fall-markus-anfang–was-bleibt–ist-fassungslosigkeit-30943162.html)

Wir leben in einer Zeit der Rechte, aber ohne Pflichten. Jeden Tag höre ich Sätze wie „Das ist mein gutes Recht“, aber einen Satz wie „Das empfinde ich als meine Pflicht“ habe ich seit Jahren nicht mehr vernommen. Was interessieren mich meine Taten, Handlungen oder Aussagen, wenn ich gut davon leben kann? In Politik, Gesellschaft, Sport etc. ist die Selbstoptimierung zur Königsdisziplin geworden, Rücksicht nehmen nur noch Dumme und Schwache und sie werden zunehmend ausgerottet. Richtig ist, was einem Wählerstimmen und Geld einbringt. Was einem gute Presse garantiert. Und alle spielen das perverse Spiel mit. Ich weiß, dass es diese grenzwertigen Ausprägungen der menschlichen Rasse schon immer gegeben hat, auch vor 50 Jahren sagte meine Großmutter: „Irgendwie passen wir nicht mehr in diese Zeit“. Allerdings tendieren diese Auswüchse durch Internet und „soziale“ Medien dazu, sich wie ein Krebsgeschwür ungehindert ausbreiten zu können und dieses Problem gibt es erst seit wenigen Jahren und es ist nicht aufzuhalten. 

Jemand sagte neulich zu mir: „Die einzige Möglichkeit, nicht noch weiter an dieser Gesellschaft zu verzweifeln, ist, sich ihr bestmöglich zu entziehen“. Ich werde diese Möglichkeit ab Januar haben. Ich werde auf einem ca. drei Hektar großen Grundstück am Rande der australischen Südküste wohnen, mein Grundstück ist umzäunt und hat ein Gatter. Dieses Gatter werde ich immer dann hinter mir schließen, wenn mich diese Gesellschaft wieder einmal an meine Grenzen gebracht hat, also wahrscheinlich oft. Zum Glück habe ich diese Möglichkeit, die Meisten haben sie nicht. Das tut mir leid. 

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