Kommentar

Immer, wenn man denkt, dass „der Fußball“ nicht mehr tiefer sinken kann, überzeugt er einen vom Gegenteil. Natürlich weiß inzwischen jeder, der mehr Hirnzellen als ein tibetanischer Regenwurm sein eigen nennen darf, dass es beim Profi-Fußball mittlerweile um nichts anderes geht als ums Geld und es ist immer das Gleiche: Da, wo Geld ist, treibt die Perversion ihre Blüten. Je leichter es ist, einen Teil vom ganz großen Kuchen zu bekommen, umso dummdreister werden die Beteiligten. Dies sehen wir beim Thema Spielerberater, dies sehen wir beim Thema Super League, eigentlich sehen wir es selbst in den tristen Tiefen der zweiten Liga im Hamburger Volkspark jeden Tag. Für Geld wird in Foren Stimmung gemacht, für Geld wird mediale Propaganda betrieben, für Geld verkaufen viele ihre eigene Großmutter. Wenn es dann um Dimensionen wie bei einer Weltmeisterschaft geht, die sich ein Land, das ungefähr so groß ist wie Schleswig Holstein, knappe € 200 Milliarden kosten ließ, kann man sich vorstellen, welche Summen dort in Katar „an der Seite runterfallen können“. Und werden. 

 

 

War diese Weltmeisterschaft, die 2010 an den Wüstenstaat vergeben und später tatsächlich in den europäischen Winter verlegt wurde, zu verhindern? Kaum, wenn man an die Summen denkt, die Sportfunktionäre unmaßgeblicher Staaten für ein „Ja“ einsacken konnten. Niemand, absolut niemand kann mir 12 Jahre später erzählen, er hätte sein Kreuzchen hinter „Katar“ gemacht, weil er an ein Zeichen für ein Fußball-begeistertes Land glaubte und mit Hilfe dieser WM dort etwas nachhaltig verankern wollte. Diese WM ist ebenso gekauft wie viele andere internationale Sportereignisse zuvor, man darf an dieser Stelle auch das sogenannten „Sommermärchen“ in Deutschland nicht vergessen, gell? Aber, könnte man sagen, ist dieses Deutschland zumindest ein sogenanntes Fußballland, in dem es nicht bei Gefängnisstrafe verboten ist, homosexuell zu sein und in dem sich keine Zwangsarbeiter aus Tibet zu Tode schuften mussten. Ist Bestechung deshalb legaler? Kaum. Leider muss man im Jahr 2022 wohl damit leben, dass es so etwas wie Moral, Anstand und Unabhängigkeit nicht mehr gibt und dass diejenigen, die sich die Taschen vollstopfen, den Zweiflern frech ins Gesicht lachen, gut finden muss man es trotzdem nicht. 

Lustigerweise fühlten sich nun einige der sogenannten westlichen Fußballnationen bemüßigt, während der Spiele Zeichen der Solidarität zu setzen, Zeichen, die die Verbände viele Jahre zuvor hätten setzen müssen. Doch nachdem es die Funktionäre versaut haben, sollten nun die Spieler den Kopf hinhalten und mit Kapitänsbinden in Regenbogenfarben und der Aufschrift „One Love“ Mitgefühl versprühen. Für uns ein Witz, für den Emir und seine Scheichs ein absolutes No-go. Man muss sich Lebensbedingungen dieser Communities in diesen Ländern, die Angst vor einen Regenbogenbinde haben, einmal vorstellen. Diese Länder, und Katar ist bei Weitem nicht allein, sind irgendwann im Mittelalter hängengeblieben und tatsächlich würde sich kein moderner Mensch mit diesen Vögeln auch nur eine Sekunde beschäftigen, wenn diese nicht auf all dem Öl sitzen würden. Doch schlimmer als die rückständigen Verschleierungs-Fanatiker ist aus meiner Sicht die FIFA, die sich inzwischen ganz unverhohlen zum Erfüllungsgehilfen der Öl-Säcke macht. Es war mitnichten der Staat Katar, der das Tragen dieser bunten Binden mit Strafen und Karten sanktionieren wollte, es war die FIFA (natürlich im Auftrag der Scheichs). 

Und während man am Tag zuvor noch vollmundig erklärte, man wolle auf keinen Fall auf das Stück Solidaritäts-Stoff verzichten, knickt man unmittelbar vor dem ersten Gruppenspiel gemeinschaftlich ein. Nun tobt der Shitstorm und die „Fans“ meinen zu großen Teilen, dass man sich als Spieler diesem Dekret hätte widersetzen und zur Not Karten und Sperren in Kauf nehmen müsste. Ich bin der gleichen Meinung, Solidarität kann nicht immer nur Spaß machen, manchmal muss man auch etwas riskieren. Wie cool hätten Spieler wie Kapitän Manuel Neuer in die Geschichte eingehen können, wenn er entgegen der FIFA-Auflagen diese kleine Binde dennoch getragen und vielleicht eine gelbe Karte bekommen hätte. Und wenn er sie trotz Aufforderung der Offiziellen nicht abgenommen und dafür vom Platz gestellt worden wäre, wäre er ein Held weit über die deutschen Staatsgrenzen gewesen. Ich bin sicher, dass die Spieler der deutsche Nationalmannschaft wie Helden empfangen worden wären, hätte man „die Mannschaft“ wegen Ungehorsams aus dem Turnier geworfen. Aber – Solidarität ist eine wunderbare Sache – wenn andere sie praktizieren. Wie z.B. die Spieler der iranischen Nationalmannschaft, denn die weigerten sich, vor ihrem Gruppenspiel gegen England die Nationalhymne zu singen, aus Solidarität mit den Protestierenden in ihrem Heimatland. Diesen Männer drohen nun absolut üble Strafen im Iran und die deutschen Spieler sind bestimmt voll des Lobes für ihre iranischen Kameraden. Selbst aber möchte man seinen eigenen

Marktwert nicht durch dadurch mindern, indem man für Menschen eintritt, die man ohnehin nie zu sehen bekommt. 

Eine große Chance wurde vertan. Wieder einmal. Leider.

P.S. Das Hamburger Auftragsblatt titelt derweil „So kämpft der HSV um Mario Vuskovics Unschuld“ und übersieht, dass man um Unschuld nicht kämpfen kann. Entweder, man ist unschuldig oder nicht. Wenn man aber schuldig ist, nützt auch der lustigste Kampf nichts, aber mitnichten kämpft der Verein um Schuld oder Unschuld des Spielers, er kämpft wieder einmal dafür, dass für ihn andere Regeln gelten als für alle anderen. Zuletzt hat es im Fall Daffeh, zumindest für die Schwachköpfe geklappt. Hoffen wir im Sinne der Gerechtigkeit, dass man diesmal der Wahrheit den Vorzug gibt.