Gerade in diesen Tagen passiert ist vermehrt und flächendeckend – Kinder, die ihre Eltern über die Feiertage besucht haben, fahren zurück nach Haus oder umgekehrt. Weihnachten bietet einen Anlass, sich im Kreis der Familie zu treffen, zu sehen, sich auszutauschen. Eigentlich sollte alles Friede, Freude, Eierkuchen sein, ist es aber nicht, denn besonders die Älteren und Alten kehren oft in ihre eigene Behausung zurück bzw. sind nach den Feiertagen wieder allein zuhause und sind einsamer als vor dem 24.12. Warum ist das so? Ich meine, das Problem besteht aus mehreren Teilen, die sich untereinander auch noch ergänzen und ihre Wirkung verstärken. Zuerst einmal wird solchen seltenen Tagen immer eine besondere Bedeutung beigemessen, man sieht sich selten und wenn man sich dann sieht und es auch noch Weihnachten, dann muss es etwas ganz Besonderes sein. Diese überhöhten Erwartungen können oft nicht erfüllt werden, vielfach ist es halt eine Zusammenkunft wie andere auch und es lässt enttäuschte Teilnehmer zurück. Aber das ist beileibe nicht alles, denn der eigentliche Fehler liegt im System.

Denn Fakt ist: Je älter man wird, desto weniger „erlebt“ man. Oder man erlebt etwas, was für die Jüngeren nicht wirklich interessant oder relevant ist. Dies hat zur Folge, dass ältere Menschen, die aufgrund ihres Alters nicht mehr so unglaublich viele und neue Geschichte zu berichten haben, oftmals in Anekdoten aus ihrer (gemeinsamen) Vergangenheit verfallen und sie müssen sich dann anhören, dass man diese Geschichte doch nun schon zum 26. Mal gehört und inzwischen mitbeten kann. Die Älteren aber fühlen sich in solchen Momenten minderwertig, weil sie den Erwartungen an neue spannende Geschichten nicht nachkommen können. Ein Gesprächspartner, der auf die Frage: „Und? Was gibts bei euch Neues?“ mit „Eigentlich nicht so viel, ach ja, Herr Meyer ist gestorben“ antwortet, ist nicht wirklich interessant, aber die Frage sollte doch eigentlich eine andere sein: Müssen Eltern oder Großeltern interessant sein und spannende neue Geschichten erzählen können? Reicht es nicht, besonders an Feiertagen und im Kreis der eigenen Familie, wenn man einfach nur Oma, Opa oder Erbtante sein kann?

Hinzu kommt, dass viele Jüngere, Kinder oder Enkelkinder, von ihren Eltern bzw. Großeltern so etwas wie eine Gegenleistung dafür erwarten, dass man die Bürde auf sich genommen hat, sie einzuladen oder den Weg zu ihnen gefunden hat. Dabei sind diese Eltern bzw. Großeltern in Vorleistung getreten, denn sie waren es, die ihre Kinder aufgezogen haben, für sie da waren, viel Zeit und noch mehr Geld in sie investiert haben. Später haben sie dann auf die Enkel aufgepasst, sie von Pontius bis Pilatus gefahren, sie in den Urlaub mitgenommen und vieles mehr und sie haben eigentlich nie eine Gegenleistung erwartet, außer vielleicht, dass man sie gern hat. Heute nun werden sie mit dem Gefühl konfrontiert, sie müssen dafür, dass man sie zu Weihnachten oder zu Geburtstagen einlädt, etwas leisten, ihre Eigenschaft als Familienmitgleid reicht oftmals nicht, jedenfalls ist dies das (subjektive) Gefühl, welches ihnen vermittelt wird. Die Folge: Eltern und Großeltern kehren nach dem Fest erschöpft und desillusioniert zurück und denken sich: „Wäre ich bloß zuhause geblieben, eigentlich wollen die mich doch gar nicht“. 

Mein Gefühl sagt mir, dass wir in einer Zeit der Undankbarkeit leben, der Egoismus bestimmt mehr und mehr unsere Gesellschaft und dies hat auch fühlbare Auswirkungen auf die Familien. Dabei sollten eigentlich weder Kinder noch Eltern bzw. Großeltern etwas leisten oder beisteuern müssen, es sollte reichen, wenn sie der sind, der sie sind. Da dies aber häufig nicht der Fall zu sein scheint, lassen besonders die Feiertage vielfach ausgesprochen desillusionierte Familien und sehr einsame alte Menschen zurück, die sich dann die Frage stellen, ob sie sich das im nächsten Jahr in dieser Form erneut antun müssen.