…aber das tut man nicht! Wenn man Hamburger ist, tut man gewisse Dinge einfach nicht. Du weißt, was ich meine.

Wie vergehen uns nicht an Kindern oder verhauen keine Behinderten, und man zerfleischt sich nicht selbst, wenn man schon am Boden liegt.

 

Diese Sätze schrieb mir ein Freund neulich per Mail. Es handelt sich nicht um eine Darstellung des Verhaltens von Straßengangstern und er wollte auch nicht die Art und Weise kritisieren, wie moralfreie Banker mit dem Geld ihre Kunden umgehen.

Er sprach bzw. schrieb über das Verhalten von Sportjournalisten im Umgang mit dem HSV.

Normalerweise beginnt man ein Anschreiben, wenn man den Empfänger nicht oder nur ansatzweise persönlich kennt, mit den Worten „Sehr geehrter“, aber das geht in diesem Fall nicht, weil ich sie nicht ehre. Im Gegenteil, den größten Teil von ihnen verachte ich – aus tiefstem Herzen.

Ich frage mich, ab wann sie im Laufe ihrer sogenannten „Karriere“ damit aufgehört haben, an Wahrheiten zu glauben. Ab wann ist ihnen die Sensation und die nächste Schlagzeile wichtiger geworden, als das, was vielleicht richtiger ist ?

Ich weiß, ich weiß, sie berichten ja nur davon was sie sehen und hören. Ein guter Witz.

Und ja, ich weiß auch, dass der Druck ja so furchtbar hoch ist und man seinem Arbeitgeber, seinem Titel, seinem Portal oder seinem Sender verpflichtet ist. Mir kommen die Tränen. Druck gibt es heutzutage umsonst an jeder Ecke, sie sind nicht allein auf der Welt.

Wann haben sie aufgehört, sich für ihren Job weiterzubilden ? Oder sind sie der Meinung, sie wüßten genug über das Thema, von dem sie jeden Tag berichten ?

Ich muss ihnen etwas sagen: Sie wissen viel zu wenig darüber, weil sie zu träge und zu faul geworden sind, um sich damit zu beschäftigen.

Wer einmal einen Bundesliga-Trainer erlebt hat, der mit einem Journalisten ein Fachgespräch führen darf und sieht, wie begeistert sich der eigentlich pressemüde Übungsleiter zeigt, wenn er sich einem Menschen auf nahezu fachlicher Augenhöhe gegenüber sieht, der versteht, warum viele Herren aus dieser Gruppe zu 101% eine Wurzelbehandlung ohne Betäubung einer Pressekonferenz mit ihnen vorzieht.

Wann ist aus ihnen, lieber Sportjournalist, ein Hofberichterstatter geworden ? Ein Steigbügelhalter für diejenigen, die höchstwahrscheinlich das Falsche wollen, die ihnen aber die besten Insider-Informationen liefern ?

Haben sie solche Typen nicht früher auch einmal verachtet ?

Vor vielen vielen Jahren hatte ich einmal einen Freund. Wir studierten in Hamburg und arbeiteten für die gleiche Agentur, ihn der wir Kleinanzeigen für ein Hamburger Lokalblatt entgegennahmen. Der Freund wollte Sportjpournalist werden, er hatte Ideale. Er wollte es anders machen, als die Töpperwiens, Draxlers oder Schnitgerhansels dieser Welt. Er machte sein Studium zu Ende, volontierte bei der BILD und wurde tatsächlich Sportjournalist. HSV-Reporter.

Später dann ging er zu einem anderen Springer-Blatt, wo er Karriere machte. Ich habe seine Artikel immer gern gelesen, weil sie über einen langen Zeitraum anders waren als der Müll, den man sonst vorgesetzt bekommt.

Seit einigen Jahren jedoch schreibt dieser frühere Freund anders, er schreibt den gleichen Müll, vielleicht sogar schlimmeren Müll. Ich habe ihn einmal beim Training getroffen und ich sah einen überaus arroganten, selbstverliebten Karriesten vor mir, der mich wie einen Idioten stehenließ.

Warum ist das passiert ? Muss man sich über kurz oder lang zu einem Arschloch entwickeln, um in ihren Kreisen anerkannt zu werden ?

Ich beobachte sie ab und zu am Trainingsplatz, früher haben wir oft Gespräche am Rande des Platzes geführt. Ihre Überheblichkeit, ihr „Hofhalten“ ist nur noch für die Personen erträglich, die ihnen um die Füße kriechen, weil sie hoffen, irgendetwas Wichtiges aufzuschnappen . Einige von ihnen haben sogar eigene Autogrammkarten, das muss man sich einmal vorstellen. Sie fühlen sich häufig als die größen Stars als die, die auf dem Platz stehen und über die sie NEUTRAL berichten sollen. NEUTRAL !

Wann haben sie das letzte Mal neutral berichtet ?

Kein Mensch, kein Spieler und kein Trainer, kein Funktionär hat Probleme mit konstruktiver Kritik.

Wann hatten das ehrliche Gefühl, tatsächlich

ehrlich, konstruktiv, neutral und objektiv

die Leistung eines Spielers oder eines Trainers beurteilt zu haben ?

Oder berichten sie schon lange nicht mehr, sondern bedienen nur noch?

Ich hatte vor einige Wochen das große Vergnügen, einen jungen Nachwuchsjournalisten kennenlernen zu dürfen. Der Junge könnte vom Alter her mein Sohn sein, er steht ganz am Anfang seiner Karriere und angesichts seiner bereits jetzt erkennbaren Fähigkeiten zu analysieren, Fragen zu stellen etc. prophezeie ich ihm eine große Karriere. Der junge Mann hat noch Ideale, ihn kotzt das Verhalten seiner „Zunftbrüder“ massiv an, er ist (noch) anders. Und er hofft, dass er nicht irgendwann gezwungen werden wird, entgegen seiner eigenen Überzeugung arbeiten zu müssen.

Der große Robert Lemke hat einige gute Sachen über ihren Berufsstand geschrieben:

Ein Mann, der die eine Hälfte des Lebens damit verbringt, über Dinge zu schreiben, von denen er nichts weiß und die andere Hälfte, nicht über Dinge zu schreiben, die er genau weiß

 

„Journalisten klopfen einem ständig auf die Schulter – auf der Suche nach der Stelle, wo das Messer am leichtesten eindringt.

 

Um es einmal ganz deutlich zu sagen: Niemandem geht es darum, dass Dreck zu Gold geschrieben werden sollte. Wo Mist passiert, muss über Mist berichtet werden. Niemandem ist damit gedient, wenn bestehende Fakten verschwiegen werden. Aber…

Wie fühlt man sich als halbjunger Familienvater und Springer-Journalist, wenn man ein Interview mit einem ausländischen Spieler führt, der der deutschen Sprache und den deutschen Gepflogenheiten kaum mächtig ist ? Wie fühlt man sich, wenn man weiß, dass die Inhalte der Spieleraussagen diesem maßgeblichen schaden werden und dass diese Inhalte dessen Karriere nicht nur bei seinem aktuellen Verein nachhaltig beeinträchtigen werden ? Fühlt man sich dann gut, weil man etwas „rausgefunden“ hat, was die Anderen nicht haben ? Oder kann man abends nicht mehr in den Spiegel gucken ? Sind die Schulterklopfer der Kollegen am nächsten Tag das alles wert gewesen ?

Wie fühlt man sich als Chefreporter einer Hamburger Tageszeitung, wenn man den Vorstandsvorsitzenden des Vereins anruft und ihn der vorsätzlichen Lüge bezichtigt ? Und als dieser Vorstand einen im Verlauf des unerfreulichen Gesprächs darauf hinweist, dass es einen Unterschied zwischen Eigen- und Fremkapital gibt, und man antwortet mit den Worten: „Ach so“. Und wie fühlt man sich dann, wenn man auf all diese fachlichen Fehler hingewiesen wird und man antworten: „Okay, die Zahlen sind vielleicht falsch, aber mir kam es auf die richtigen Tendenz an ?“

Fühlt man sich dann immer noch als investigativer Journalist ?

Normalerweise finde ich, dass man die Maßstäbe, die man an andere anlegt, zuerst einmal bei sich selbst testen sollte. Man stelle sich nun vor, der „investigative Chefreporter“ geht mit Zahnschmerzen zum Zahnarzt und dieser zieht ihm den linken Weisheitszahn. Kurz nach der Behandlung stellt der Arzt fest, dass der rechte Weisheitszahn die Schmerzen verursacht hat und auf die Frage des erschütterten Patienten antwortet der Dentist:

„Okay, war der falsche Zahn, aber es war immerhin ein Zahn, die Tendenz war also richtig. Außerdem wäre dieser hier auch irgendwann fällig gewesen“.

Oder man beschäftigt einen Landschaftsgärtner, der statt der 4 m hohen Buche, die 16 m hohe Eiche fällt. Auf die Frage, was das sollte, antwortet der Profi-Gärtner:

„Naja, ist doch ein Laubbaum, oder ? Die Tendenz war also nicht verkehrt“

Vielleicht kommen sie, „lieber“ Sportjournalist ja irgendwann doch wieder dazu, über ihren Job und die damit durchaus vorhandene Verantwortung nachzudenken.

Vielleicht merken auch sie irgendwann einmal, dass sie im Grunde nur ein interessierter Fußball-Amateur sind, der über Fußball-Profis berichten und urteilen soll.

Und vielleicht merken selbst sie dann, dass man in einem Beruf, der derart viel Meinung beeinflussen kann, mit dieser Macht behutsam und verantwortungsvoll umgehen muss.

Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

 

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