Liebe Leser,

im taktisch wohl schwächsten Spiel unter Bert van Marwijk gewann der HSV am Sonntag gegen den Europa League-Teilnehmer SC Freiburg völlig verdient und in der Höhe noch zu niedrig mit 3:0.

Was im ersten Augenblick kurios erscheint, ist auch so. Der HSV agierte defensiv zwar einigermaßen stabil (wobei mir immer wieder die konstanten Leistungen des 17jährigen Jonathan Tah auffallen), wurde aber auch von den harmlosen Freiburgern zu keinem Zeitpunkt wirklich gefordert. Zudem zeigten meiner Meinung nach einige Spieler, dass sie eben doch noch zu Leistungs- und Konzentrations-Schwankungen neigen.

Tolgay Arlsan erklärte neulich in einem Interview, dass er ein Spielertyp ist, der kleine Schritte macht, diesmal machte er einen kleinen Schritt zurück.

Lasogga arbeitete zwar wie gewohnt, blieb aber zumeist ungefährlich. Der Umstand, dass er trotz einer durchschnittlichen Leistung erneute sein Tor machte, spricht wiederum für ihn, viele Stürmer hätten in der Situation vor dem 2:0 den Angriff bereits abgeschenkt.

Für Johan Djourou waren die aufkommenden Leistenbeschwerden eine Art Segen. So konnte er den Platz aus Verletzungsgründen frühzeitig verlassen, sein Tag schien bis zur Auswechslung ohnehin gebraucht.

Gut hat mir die Rückwärtsbewegung von Calhanoglu und besonders Maxi Beister gefallen, wobei ich zu dem Thema gern etwas weiter ausholen möchte.

Noch vor 5 oder 6 Jahren hätten Außen- oder Stoßstürmer dem Trainer innerlich einen Vogel gezeigt, wenn er von ihnen erwartet hätte, defensiv so zu arbeiten, dass sie (die Außenstürmer) teilweise den eigenen Verteidiger hinterlaufen sollen. Das ein Mittelstürmer wie Lasogga, Klose oder Mandzukic heute öfter im eigenen Straumraum klärt, als auf das gegnerische Tor zu schießen, ist so ebenfalls relativ neu.

Jetzt bedenke man aber, dass all diese Spielertypen diese Art Fußball erst noch erlernen müssen. Die Jüngeren von ihnen haben wären ihrer Ausbildung im Jugendbereich fast ausschließlich nach vorn gearbeitet, die Älteren (z.B.Klose, Ribery, Robben etc.) haben dies sogar im Profibereich so gehandhabt.

Ein Spieler wie Franck Ribery musste 29 Jahre alt werden und einen Trainer wie Jupp Heynckes bekommen, um zu begreifen, dass zu einem modernen Offensivspieler jede Menge defensive Drecksarbeit dazugehört. Nur, weil er dies begriffen hat, ist Ribery Europas Fußballer des Jahres geworden.

Diese Umstellung bedeutet aber auch, dass sich die körperlichen Anforderungen an die Offensivspieler grundlegend verändert haben. Heute hat ein offensiver Außenspieler soviel Laufkilometer auf der Uhr, wie sie vor wenigen Jahren nur die 6er hatten.

Ich tippe mal, obwohl das natürlich ein anderes Jahrtausend war, dass ein Gerd Müller maximal 4 – 5 km pro Spiel gelaufen ist.

Zurück zum HSV. Natürlich profitierte die Mannschaft von den Slapstick-Einlagen des Oliver Baumann. ABER – man muss den Torwart auch erstmal in solche Situationen wie vor dem 1:0 und dem 2:0 bringen. Produziert man keinen Druck auf den gegnerischen Torhüter, macht er solche Fehler auch nicht bzw. sie bleiben ohne Folgen.

Geärgert hat mich eine Szene kurz vor dem Ende und ich kann mir vorstellen, dass es Bert van Marwijk ebenso ging. Einen schönen Konter über van der Vaart hätte der eingewechselte Dauerpatient Ivo Ilicevic allein vor Baumann abschließen können. Er hätte die 1:1-Situation gegen den Torhüter suchen können (schnell genug ist er) oder einen platzierten Schuss versuchen können. Stattdessen versuchte Ilicevic mit einem Heber ein Zauberkunststück und scheiterte kläglich.

Gerade in seiner Situation, die einen seit mehr als 2 Jahren mehr oder weniger dauerverletzten Spieler zeigt, hätte ich als Trainer eine andere Variante gefordert, aber eben genau dieser Schußversuch kennzeichnet eben auch die Psyche des Ivo Ilicevic. „Normal“ geht nicht, es muss immer irgendwie spektakulär sein. Mit dieser Einstellung steht sich der Spieler immer wieder selbst im Weg.

Trotzdem: Mit einem durchschnittlichen Spiel eine Auswärtspartie beim einem EL-Teilnehmer souverän mit 3:0 zu gewinnen, das hat schon was.

Nächste Woche gegen Gladbach sollte dann taktisch wieder ein Schritt nach vorn gemacht werden, dann kann es auch dann für drei Punkte reichen.