Liebe Leser,

wenn in den USA alle 4 Jahre ein neuer Präsident gewählt wird, dann stehen zwei Tatsachen nahezu in Stein gemeißelt weit vor dem Wahltermin fest:

40% der Wahlberechtigten wählen den Kandidaten der Republikaner.

40% der Wahlberechtigten wählen den Kandidaten der Demokraten.

Die Wahl wird am Ende des Tages von den 20% Wechselwählern entschieden.

Ein Wähler der Republikanischen Partei wird niemals den demokratischen Präsidentschaftskandidaten wählen, egal, ob dieser nun weiß, schwarz, gelb oder grün ist. Mann oder Frau – egal. Ein Republikaner aus Champaign, Illinois wählt den republikanischen Kandidaten, weil sein Vater, sein Großvater und dessen Vater ebenfalls republikanisch gewählt haben. In den allermeisten Fällen wird sich mit den Ideen, dem Wahlprogramm, mit der Person des demokratischen Kandidaten überhaupt nicht befasst, die Entscheidung ist vor vielen Generationen getroffen worden. Ein Repubklikaner ist für den Erhalt des Status Quo, gegen Abtreibung und für die führende Rolle der USA in der freien Welt. Punkt.

Im Grunde irrational, aber Tatsache.

Ich habe das Gefühl, dass es sich in diesen Tagen in unserem Verein ähnlich verhält. Aktuell stehen 3 sogenannte Reformprogramme zur Auswahl, mit einem 4. „Scheinprogramm“ wird via Facebook gedroht.

Für welches Programm sich der Wahlberechtigte, der am 19.01.2014 den Weg ins CCH finden wird, am Ende entscheidet, ist im Grunde nichts weniger als eine philosophische Entscheidung.

„Wo möchte ich meinen Verein, bei dem ich Mitglied und Fan bin, eigentlich sehen?“

 

„Womit bin ich zufrieden bzw. womit könnte ich leben?“

 

 

Oder anders ausgedrückt: Möchte ich irgendwann mal wieder Bayern oder Dormund „sein“ oder kann ich damit leben, dauerhaft mit Freiburg, Frankfurt und Mainz um die Plätze 7 bis 14 zu spielen?

Dies sind meiner Auffassung nach die Fragen, die sich jedes Mitglied beantworten muss.

Wofür nun stehen die unterschiedlichen Initiativen ?

HSVPLUS, von Ernst-Otto Rieckhoff initiiert, steht für Erneuerung. Die „Follower“ dieser Bewegung haben für sich entschieden, dass es so mit dem HSV nicht weitergehen kann. Sie möchten im Volkspark endlich wieder Spitzenfußball sehen und nicht auch die nächsten 30 Jahre neidvoll nach München oder Dortmund blicken müssen. Sie haben verstanden, dass der HSV auf eine Entwicklung zusteuert, die am Ende eventuell sogar die Existenz oder zumindest die Erstliga-Zugehörigkeit des Vereins bedroht. Um diese Entwicklung aufzuhalten, soll der Verein komplett umstrukturiert werden und es soll auf dem Weg dorthin sogar die heilige Kuh des HSV, die Mitglieder-Mitbestimmung beschränkt werden.

Zusammengefasst: Notwendiger Verzicht auf Rechte, um möglichst maximalen Spaß am Spiel zu generieren. Den Anhängern dieser Bewegung geht es natürlich auch um den Verein, aber es geht ihnen auch und besonders um den Sport und die wirtschaftliche Zukunft des Vereins.

 

Dagegen stehen die Konzepte „HSV Reform“ und „HSV – Zukunft mit Tradition“.  Die Initiatoren und Anhänger dieser Konzepte sehen sich als die echten Fans des HSV. Sie verteidigen die erwähnte Tradition mit Händen und Klauen, obwohl viele von ihnen erst weit nach dem letzten Titel geboren wurden. Es wird viel von der „Seele des HSV“ parliert, wobei kaum einer exakt beschreiben kann, wie diese Seele eigentlich aussieht bzw. woraus sie besteht. Oft und gern wird auch drauf hingewiesen, dass „halb Europa“ auf die bestehenden Strukturen des HSV neidisch sei. Eine Behauptung, für die ich bisher noch nicht einen Beweis finden konnte. Natürlich kann ich mir gut vorstellen, dass die Hardcore-Fans von Everton oder Sevilla (willkürlich ausgewählt) gern mehr Mitspracherechte in ihren Vereinen hätten, ob die Vereins-Verantwortlichen dies ebenso sehen, bleibt mal dahingestellt. Außerdem bleibt dahingestellt, ob es den jeweiligen Vereinen sportlich und wirtschaftlich besser gehen würde, wenn „Fans“ die Geschicke leiten würden und keine Experten.

Zusammengefasst: Erhalt des Status Quo, Beibehaltung der Tradition und der selbstformulierten Ideale des Vereins zugunsten von sportlichem und finanziellen Erfolg. Den Anhängern dieser Reformen ist der Spaß am Spiel, die Qualität der Mannschaft und der sportliche Erfolg nicht unwichtig, aber wichtiger ist, dass alles so hübsch bleibt, wie es ist. Hierbei werden Realitäten wie ein drohender finanzieller Kollaps ausgeblendet oder gar akzeptiert. Es gibt sogar Extreme, die den HSV lieber in der 3. Liga mit 11 hamburger Spielern sehen würden, als an den bestehenden Strukturen etwas verändern zu wollen.

 

Am Ende des Tages stehen wir also vor den Fragen:

Gibt es Anhänger der beiden „Lager“, die sich von den Argumenten der Gegenseite überzeugen lassen werden ? Ich denke, dass dies eher zu vereinen sein wird.

Gibt es die Möglichkeit für Kompromisse ? Auch hier bin ich extrem skeptisch. Zu unterschiedlich sind die Ausrichtungen der Reformen angelegt.

Natürlich könnte man ein wenig ketzerisch die Frage stellen, warum die Reformbewegungen „HSV Reform“ und „HSV – Zukunft mit Tradition“ erst zu dem Zeitpunkt geboren wurden, als Rieckhoff den Verein mit HSVPLUS weckte.

Wer wird am Ende „gewinnen“? Im Grunde ganz einfach – derjenige, der die meisten Stimmberechtigten hinter sich vereinen wird.

Nach momentanem Kenntnisstand wäre lediglich die Initiative HSVPLUS in der Lage, eine Mehrheit (50,1%) zu erreichen, die anderen Initiativen sind nach meinem Dafürhalten ausschließlich dazu ausgelegt, eben diese Reform zu blockieren.