Gestern vor 4 Jahren, am 10.11.2009 hielt eine Fußballnation unter Schock den Atem an. National-Torhüter Robert Enke hatte sich im Alter von 32 Jahren das Leben genommen. Ich erinnere mich noch gut an die Tage danach, ein Fußball-Volk trauerte. Oder sagen wir lieber, große Teile des Fußball-Volks taten so, als würden sie trauern.

am 27.11.2009 titelte die BILD:

Robert Enke schrieb Abschiedsbrief

Der Nationaltorhüter warf sich vor einen Zug +++ Vormittags trainierte der Torwart noch in Hannover +++

 

Am 13.11. findet die Beerdigung statt, vorher nehmen Zigtausende in Hannover und Sportprominenz im Stadion während einer TV-Live-Übertragung Abschied.

Nie wieder, hieß es damals. Warum ? wurde gefragt. Fußball ist doch nur eine Nebensache. Wir alle sollten uns und unser Verhalten überdenken.

Robert Enke war depressiv und hat seine Krankheit selbst vor seiner Frau und seinen Freunden verborgen. Möglicherweise hätte Robert Enke diesen Schritt auch gemacht, wenn er kein professioneller Fußballspieler gewesen wäre, der tagtäglich dem öffentlichen und medialen Druck ausgesetzt war. Aber vielleicht hat eben doch genau dieser öffentliche Druck den entscheidenden Schritt ausgelöst.

Enke traute sich nicht, seine Krankheit öffentlich zu machen. Er hatte Angst, als Versager oder als Weichei in einer harten Konkurrenzwelt darzustehen, in der man sich keine Schwächen erlauben kann und darf. Irgendwann wurde der Druck  dann zu groß.

Robert Enke ist kein Einzelfall. Sebastian Deisler, ein begnadetes Talent, beendet  seine Karriere im Alter von 27 Jahren, nachdem er zuvor monatelang behandelt wurde. Depressiv und vom Druck zerdrückt, wählte Deisler den besseren Weg und zog sich nahezu komplett aus der Öffentlichkeit zurück.

Markus Miller, Torhüter von Hannover 96. ließ sich ab September 2001 wegen „mentaler Erschöpfung“ behandeln und gilt heute als geheilt

Beinahe vergessen ist der Fall des Schiedsrichters Babak Rafati, der am 19.11.2011 in einem Hotelzimmer versuchte, sich das Leben zu nehmen. Auch Rafati war depressiv, aber allein die Krankheit hätte wohl nicht ausgereicht, um ihn zu diesem Schritt zu treiben.

Im „Stern“ behauptet Rafati: „Fandel sagt: Jeder darf einen Fehler machen, nur du nicht, Babak. Dieser Satz hat mich bis ins Hotelzimmer in Köln verfolgt. Bis in die Badewanne.“

 

Auch in Rafatis Fall war die Bestürzung groß und die bundesweite Anteilnahme enorm. Und was ist geblieben ? Nichts !

Heute, keine 2 Jahre nach dem letzten bekannt gewordenem Fall wird von allen Seiten gehauen und getreten, was das Zeug hält. An der Spitze der „Bewegung“ die allseits bekannten Machwerke des allseits bekannten Verlages. Aber auch TV-Sender wie Sport1 etc. sind sich nicht zu schade, Spieler, Trainer, Schiedsrichter als Versager, Verlierer und Schlimmerem zu bezeichnen. Vor diesem Hintergrund wirkt die gespielte Anteilnahme inklusive Liveberichterstattung von Enke’s Trauerfeier auf mich wie Hohn. Wollten sie nicht alle nachdenken, in sich gehen, ihr Verhalten überprüfen ?

Gestern sah ich, wie BILD Sport-Chef Walter M. Straten bei Sky genüßlich drauf hinwies, welch sensationelle Story das Hetzblatt am heutigen Montag bringen würde. Es geht um einen Gerichtstermin, bei dem Kevin Prince Boateng um das Sorgerecht für sein Kind kämpft. Was bitte hat das mit BILD Sport zu tun ?

Natürlich werden jetzt wieder diejenigen aus den Löchern kommen, die behaupten, dass die Medien die Sportler ja erst zu den hochbezahlten Stars machen würden und diese ohne die Medien nichts wären. Außerdem sei eine gewisse Form von Kritik  notwendig und die Sportler sollten sich nicht so anstellen, schließlich kassieren sie ja jede Menge „Schmerzensgeld“ dafür. Wahnsinn.

Das mentale Ende der Nahrungskette findet man dann in den sogenannten Fußball-Blogs, in dem der geneigte User unter dem Schutz der Anonylität alles loswerden kann, was ihm auf der Seele brennt.

So wird in einem ewähnten HSV-Forum aus Dennis Diekmeier gern mal Dick Meier. Dennis Aogo durfte hier ungestraft als „Quoten-Nigger“ und Rafael van der Vaart als „Boulevard-Ficker“ bezeichnet werden. Heiko Westermann, das beliebteste Opfer dieses Abschaums wird dann mindestens als Hai-Ko, gern aber auch als „Foxtrott“ abgekanzelt. Marcell Jansen ist grundsätzlich ein Invalide und die Bezeichnungen, die die Patienten damals für Kapitän David Jarolim erfunden hatten, spare ich mir lieber.

Was wird das Resultat sein ? Es ist absolut nicht auszuschließen, dass Westermann beim nächsten Heimspiel von den eigenen Fans bepöbelt und ausgepfiffen wird. Ich kann nur an jeden echten Fan appellieren, in diesem Fall sofort das Stadion zu verlassen.

Damit man sich das mal vorstellt: Da sitzen fettbäuchige Nichtskönner vor dem Rechner und bepöbeln die Spieler des eigenen Vereins. Animiert von den Presseberichten muss man zwangsläufig noch einen draufsetzen, sonst ist man nicht witzig genug.

Also – was hat sich verändert ? Nichts hat sich verändert, im Gegenteil. Es ist schlimmer geworden. Die Presse beruft sich auf ihre „Informationspflicht“ gegenüber ihren Lesern. Das anonyme Primantenvolk versteckt sich hinter dem Rechner, wird den privaten Frust los und niemand schreitet ein. Im Stadion brüllen Tausenden „Westermann raus“, um sich am nächsten Tag für ein Autogramm des Spielers anzustellen.

Es wird wieder einen Sportler oder einen Schiedsrichter geben, der durch Depressionen auffällig wird. Eventuell wird sogar wieder jemand versuchen, sich aus purer Verzweiflung das Leben zu nehmen. Und dann ? Dann wird das Gejammer wieder laut und die Verzeiflung groß sein.

Bis zum nächsten Spieltag !