Liebe Leser,

heute morgen erreichte mich eine Mail von Lenhart, einem Leser meines Blogs. Lenhart hat laut eigener Aussage einen Brief bzw. eine Mail an diverse Hamburger Sportredaktionen geschrieben, ebenso an mich.

Ich habe mich entschieden, seinen Brief hier in voller Länge zu veröffentlichen und zur Diskussion zu stellen.

Bitte beachtet – dies ist eine Ausnahme. Inwiefern die Inhalte dieses Briefes meine eigene Meinung widerspiegeln, bleibt meine Sache.

Sehr geehrte Sportredaktion des Hamburger Abendblatts,

 mit großer Sorge und einer Portion Unverständnis beobachte ich (und der Großteil meines sozialen Umfeldes) die Berichterstattung rund um den Hamburger Sportverein. Ich halte die von den Hamburger Sportredaktionen gewählten Inhalte und die dazugehörigen Schlagzeilen nicht dafür geeignet konstruktiv, im Sinne einer motivierenden und förderlichen Art und Weise, auf das sportliche Dilemma des HSV einzuwirken.

Die prekäre sportliche Situation der Bundesligamannschaft emotionalisiert viele Menschen bundesweit, aber auch über die Grenzen Deutschlands hinaus. Insofern sehe ich eine nicht zu unterschätzende ethische Verantwortung bei den regional ansässigen Medien im Umgang mit dieser diffizilen Thematik. Der von mir angesprochene mediale Umgang betrifft sowohl einzelne Personen (z.B. Herr van der Vaart, Herr Tah, Herr van Marwijk), als auch den Verein in seiner Gesamtheit.

Konkret und beispielhaft nenne ich folgende Zusammenhänge:

1.      Die Überzeichnung der Verantwortlichkeit für den sportlichen Status Quo bei den sogenannten Führungsspielern zu suchen (van der Vaart, Westermann, Jansen) greift zu kurz. Die Mannschaft wurde von verschiedenen Menschen in der Form zusammen gestellt und ist als „Produkt“ einer Entwicklung der vergangenen drei Jahre zu begreifen.

2.      Die Diskussion und effekthascherische Auseinandersetzung mit der Vertragsthematik des Herrn Tah. Herr Tah ist ein außerordentliches Talent im Alter von 17 Jahren auf das Hamburg stolz sein sollte und gehört nicht mit halbprivaten Details durch den medialen Fleischwolf gezogen. Hier Verantwortung zu übernehmen heißt meines Erachtens Schutz zu bieten.

3.      Die reflexhaft anspringende Trainerdiskussion zieht eine erhebliche Irritation und Demotivation bei der Mannschaft und dem Trainerstab nach sich.

4.      Der Umgang mit dem Verein als Ganzes fördert spalterische Entwicklungen und ist eher geeignet den Misserfolg herbei zu führen, als einen erfolgreichen Ausgang zu begünstigen. Bekanntermaßen findet zur Zeit ein tiefgreifender Umbruch im Verein statt, der im Kern Anlass zur Hoffnung gibt, dass wir in Hamburg in absehbarer Zeit einen gut aufgestellten HSV erleben dürfen. In dieser instabilen Umbruchphase den Verein zu torpedieren ist nicht zielführend, wenn man sich einen erfolgreichen HSV wünscht.

 

Meiner Meinung nach sollte sich jede teilnehmende Person zum jetzigen Zeitpunkt hinterfragen was dem Verein gut tut und was ihm schadet. Das berichterstattende Tun mit dem Argument der „notwendigen objektiven Darstellung“ zu rechtfertigen ist m.E. nicht okay. Ich gehe weiter und behaupte, dass es in Hamburg bezüglich der HSV-spezifischen Berichterstattung keine Objektivität gibt, zumal Darstellungen immer noch von Subjekten verfasst werden, die mehr oder weniger emotional mit dem Verein verstrickt sind. Wie soll da Objektivität gelingen? Wie soll Objektivität gelingen, wenn das Diktat der Umsatzsteigerung als wirtschaftliche Notwendigkeit im Fordergrund des eigenen Handels steht. Sex sells … kann der HSV nicht bieten! Drama sells as well … da lässt sich der HSV doch hervorragend ausschlachten! Ergo, es findet mehr oder weniger gezielt eine tendenziöse Emotionalisierung der Wahrnehmung und Bewertung statt, welche innerhalb der Fangemeinde und der Öffentlichkeit auf einen breit aufgefächerten Resonanzboden fällt. Die Redaktionen mögen behaupten, dass sie „nur“ die öffentliche Stimmung spiegeln, aber tatsächlich wirken sie meinungsbildend und multiplikatorisch auf diese sensibilisierte Öffentlichkeit ein. Es kommt zur Ausbildung eines circulus vitiosus … einem Teufelskreis, der sich bis auf die Leistungsfähigkeit der fußballspielenden Akteure niederschlägt.

Exemplarische Inhalte die in diesem „Neid- und Missgunststurm“ immer wieder auftauchen sind: „die überbezahlten Fußballmillionäre“, „Laufffaulheit“, „Arbeitsverweigerung“, „Identifikationslosigkeit“, „Söldnermentalität“, etc.

Daß es sich bei den Adressaten in der Regel um junge Menschen handelt, die bestenfalls ihre Persönlichkeitsentwicklung gerade abgeschlossen haben, wird dabei leichtfertig übersehen. Und ich behaupte, dass diese jungen Menschen grundsätzlich „Bock“ auf’s Kicken und Erfolg haben. Anders kann ich es mir, der selbst im Mannschaftssport aktiv gewesen ist, nicht vorstellen. Und dass diese jungen Menschen keine emotionslosen Fußballroboter sind, ohne schwankende Tagesform, ohne Ängste, das sollte doch jedem Menschen mit einem Hauch von Empathievermögen klar sein.

Insofern hat jeder Begleiter des HSV, ob schreibende Zunft oder einfacher Fan, auch eine Verantwortung für das Geschehen auf dem Platz und der Stimmung rund um den Verein.

Eine differenzierte Darstellung, so schwierig sie auch sein mag, sollte das hohe Ziel sein. Eine Komplexitätsreduktion, wie sie meines Erachtens zur Zeit vorgenommen wird, nimmt schlichte boulevardeske Züge an und unterminiert die unterstützenden Kräfte im Abstiegskampf des HSV.

Für viele Menschen geht es in diesen Tagen schlichtweg um den Erhalt des „Kulturguts HSV“  – Bundesligafußball made in Hamburg. Und wenn es einen Deut an Lokalpatriotismus in den hiesigen Redaktionsräumen gibt, dann sollten alle Kräfte mobilisiert werden, um diese altehrwürdige Institution zu schützen. Auch ein solches Vorgehen wäre tendenziös, aber es würde auch vielen Menschen aus der Seele sprechen, wenn mit vereinten hanseatischen Kräften das Überleben des Bundesligadinos gesichert werden würde.

Ich frage mich vor diesem Hintergrund wem es denn am Ende des Tages helfen würde, wenn vom HSV nichts weiter übrig bleibt als der ausgeweidete Kadaver eines kaputten und bedeutungslosen Vereinsdinos. Perspektivisch wird es doch andererseits möglich sein auf der Erfolgswoge der kommenden Ära mit zu surfen, sollte eine Neustrukturierung des Gesamtvereins glücklich verlaufen.

Ich halte es für das Gebot der Stunde mit der Unterstützung der Hamburger (Print)Medien eine Kampagne für den Bundesligadino zu starten. Als wohltuendes Vorbild habe ich dabei die „Unabsteigbar“-Kampagne der Hamburger Morgenpost in bester Erinnerung. Es gibt sicherlich viele interessante und informative Ansätze sich in diesen Tagen mit dem Hamburger Sportverein auseinander zu setzen (Interview mit Sportpsychologen, HSV-Historie der Abstiegskämpfe, etc.), es muß nicht zwangsläufig in einer kontraproduktiven Art und Weise geschehen, in der einzelne Protagonisten der Öffentlichkeit als „Schuldige“ vorgeworfen werden.

 

Ich bin kein Medienprofi oder Journalist, insofern können Sie mich gerne für mein Statement kritisieren und korrigieren. Indes erlaube ich mir kraft meiner Profession und Ausbildung die Hamburger Medienlandschaft für ihr Vorgehen in der Causa „HSV im Abstiegskampf“ einer kritischen Würdigung und fachlichen Bewertung zu unterziehen. Als Sportwissenschaftler, approbierter Psychotherapeut und Vereinsfußballer meine ich bestimmte Sachverhalte recht genau beurteilen zu können.

 

Mit lokalpatriotischen Grüßen,

 

Lenhart Freiesleben