Liebe Leser,

in Ermangelung an HSV-Themen, HSV-Skandalen, HSV-Spielen, Trainerwechseln, Spieler-Auferstehungen oder Suspendierungen (Mein Gott, es gibt nicht mal ein brandneues Interview mit Exklusivchef Kreuzer) habe ich mir gestern Abend das Champions League-Spiel zwischen Olympiakos Piräus und Manchester United angetan. In der Tat , „angetan“. Denn das, was dort zu sehen war, hat nicht nur mit dem ehemals ruhmreichen ManU der vergangenen Jahre nichts mehr zu tun, es zeigt auch das gesamte Dilemma des englischen Fußballs gnadenlos auf.

In Old Trafford spielten einmal die Red Devils, jetzt spielen dort nur noch die Old Boys of Trafford. Mit einem Durchschnittsalter von nahezu 30 Jahren wollten die Briten in Griechenland gerade mal das tun, was notwendig schien, um ein vernünftiges Ergebnis zu erzielen.

de Gea (23), Smalling (24), Ferdinand (35), Vidic (32), Evra (32), Clevery (24), Carrick (32), Valencia (28), Rooney (28), A. Young (28), van Persie (30).

Auf der Bank saßen dann noch Youngsters wie u.a. Ryan Giggs (40). Einer der teursten Transfers der letzten Jahre, Fellaini (€ 32,4 Mio) saß die gesamten 90 min auf der Bank.

Was ist eigentlich in England passiert ? Warum rutscht eine Fußball-Nation, die in der Champions League-Wertung jahrelang die Spitze beherrschte, mittlerweile von Europa-Spieltag zu Europa-Spieltag derart dramatisch ab, obwohl dort Gelder fließen, von denen andere Ligen inkl. der Bundesliga nur träumen können ? Wie kann es sein, dass ein Wayne Rooney, mit einem Jahresgehalt von ca. € 18 Mio eine dermaßen miese Saison spielt ?

Betrachtet man die Transferbilanz der letzten Saison, so muss man sich die Relation einmal vor Augen halten.

Alle Vereine der Premier League zusammen investierten während der letzten beiden Transferperioden (Sommer 2013, Winter 2014) insgesamt € 913 Mio. und generierten Einnahmen in Höhe von € 386. Ergibt ein Minus von sage und schreibe € 530 Mio.

Zum Vergleich: Die Manschaften der Bundesliga investierten im gleichen Zeitraum zusammen € 292 Mio und erzielten durch Verkäufe und Ausleihen zusammen ca. € 215 Mio. Ergibt ein Minus von ca. € 78 Mio.

http://www.transfermarkt.de/de/statistiken/startseite/transfers.html

Wie aber kann das sein, wenn es doch heißt: „Geld schießt doch Tore“ ?

Um das Ganze besser verstehen zu können, muss man sich das „Kaufverhalten“ der britischen Clubs ein wenig genauer betrachten.

http://www.transfermarkt.de/de/premier-league/transferuebersicht/wettbewerb_GB1.html

Beispiel: Manchester United holte zur Saison 2013/2014 insgesamt 28 !!! neue Spieler (Einkäufe und „hochgezogene“ Nachwuchsspieler) in den Profikader, verkaufte oder verlieh jedoch 31 !!! Spieler unmittelbar wieder.

Die Clubs der Premier League sind nicht bekannt dafür, dass sie im Jugendbereich besonders fördern. Sie kaufen häufig hoffnungsvolle Nachwuchstalente für Mondsummen ein, um sie umgehend an andere Verein weiterzureichen/zu verleihen. Dann beobachtet man ihre Entwicklung und wenn diese positiv ist, gibt es die Chance für den Nachwuchsspieler, zu einem „Stammverein“ zurückzukehren. Wenn nicht, wird man weitergereicht wie ein Stück Vieh.

Besonders gut zu beobachten ist dies an Spielern wie Romelu Lukaku. Der Belgier wurde als 17-jähriges Supertalent vom FC Chelsea aus Anderlecht geholt (Transfersumme: € 22 Mio) und nachdem er sich als Teen nicht im Star-Essemble der Londoner durchgesetzt hatte, lieh man ihn ein Jahr später an West Bromwich Albion aus. 2013 kehrte Lukaku nach London zurück, aber nur, um sofort nach Everton weitergereicht zu werden.

Der jetzt 20-jährige Belgier hat in seiner kurzen Profi-Karriere bei mittlerweile 4 Vereinen gespielt. Mindestens 4 unterschiedliche Trainer, 4 unterschiedliche Systeme, 4 unterschiedliche Philosophien, 4 unterschiedliche Umgebungen.

Möglich, dass Lukaku irgendwann doch einmal für Chelsea stürmt, mit Nachwuchsarbeit, mit Bindung an den Verein, mit systematischem Aufbau hat das nichts zu tun.

Andere Beispiele sind Kevin de Bruyne, der ein ähnliches Schicksal teilt wie Lukaku. Aber auch Boban Rajkovic wurde in England ähnlich verheizt. Seine Stationen seit 2007: Belgrad, Chelsea, Eindhoven, Enschede, Arnheim, Hamburg. 6 Vereine in sieben Jahren !

Normalerweise müßte man doch behaupten, dass es den englischen Clubs möglich sein müßte, mit all ihren finanziellen Möglichkeiten im Grunde jeden Spieler kaufen zu können, den sie haben wollen. Wie sind dann aber solche Leistungen möglich ?

Nun, ich denke, dass viele britische Manager den gleichen Fehler machen bzw. gemacht haben, den in der Vergangenheit auch die spanischen Spitzenclubs gemacht haben: Man kauft nach Namen und man investiert lieber in spektakuläre Offensiv-Spieler als in gute Verteidiger.

Auf jeden Fall kann man am britischen Beispiel erkennen: Geld allein macht nicht glücklich. Hinzu noch – es gibt mittlerweile viele internationale Klassespieler, für die ein Engagement auf der Inseln nicht mehr das höchste der Gefühle ist. Selbstverständlich kann man dort unfassbar verdienen, aber deutsche Beispiele wie zuletzt Holtby und Kagawa, aber auch Schürrle zeigen, dass die Karriere auch sehr schnell zum Erliegen kommen kann. Nicht umsonst drängen Spieler wie Thiago, Martinez etc. eher in die Bundesliga, selbst wenn sie hier am Ende netto weniger haben als in England.

Was aber sagt uns das, wenn wir an den HSV denken ? Zuerst einmal sagt mir das, dass, wenn HSVPLUS im Sommer durchkommt und möglicherweise durch das Engagement eines oder mehrerer strategischer Partner ein wenig Geld in die Kassen fließen sollte, immer noch ein fähiger Sportchef und vor allem ein zukunfts-strategisches Konzept wichtiger sein wird als die nächste Million.

Wichtig ist „ein Plan“, eine Idee, eine Vereins-Philosophie. Ein HSV-USP, der sich von ganz oben (Vorstand) bis ganz unten (U 9) durchsetzt und der auch dann durchgezogen wird, wenn der mediale Wind wieder einmal von vorn wehen sollte.

Wichtig ist, den Spielern auch in Zeiten der Millionentransfers und der Spielerberater ein Gefühl für den Club zu vermitteln. Jeder Spieler muss wissen, wofür der Verein steht. Bei Transfers muss ein fähiger Sportchef mehr darauf achten, welchen Charakter ein Spieler mitbringt und nicht, wie er heißt.

By the way, gestern Nachmittag sah ich das Spiel von Zenit St. Petersburg gegen Borussia Dortmund. Selbstverständlich muss man berücksichtigen, dass die Russen keine laufenden Saison haben und direkt aus der Vorbereitung kamen, aber dennoch. Wer als Manager für einen Axel Witsel € 40 Mio und für einen Hulk € 55 Mio auf den Tisch gelegt hat, der muss tatsächlich zu heiß gebadet haben.

Wie hieß der Mann doch noch ? 😉