Vor ca. 2 Jahren hatte ich die Gelegenheit, mit einem der Nachwuchs-Scouts des HSV zu sprechen, ich glaube, es war der für den skandinavischen Bereich zuständige „Sucher“. Wir kamen am Rande eines U 16 Trainings in Ochsenzoll ins Gespräch und er merkte, dass ich mich für diese Thematik interessierte. Einige Dinge, die mir der Herr damals erzählte, möchte ich heute preisgeben.

Zum Einen, weil sie symptomatisch für die Situation des HSV seit vielen Jahren sind und zum Anderen, weil sie die Probleme exakt beschreiben.

„Beim VFL Wolfsburg spielt ein Junge, der ist gerade 15, eine absolute Rakete. Typ Reus oder Schürrle, nur noch ein wenig weiter in der Entwicklung. An dem waren wir dran, hatten aber am Ende gegen die Wolfsburger Möglichkeiten keine Chance. Aber nach dieser Saison ist der auch nicht mehr in Wolfsburg, da sind jetzt schon die Bayern, Dortmund und Leverkusen dran“

Am 29. Spieltag der abgelaufenen Saison erzielte Julian Brandt (damals 17 Jahre alt) sein erstes Bundesligator für Bayer Leverkusen, bezeichnenderweise gegen den HSV!

„Es soll doch bitte niemand glauben, dass wir beispielsweise einen Pierre-Emile Höjbjerg in Dänemark nicht gesehen haben. Wir hatten sogar mit dem Vater (Berater) gesprochen, aber gegen Bayern haben wir keine Chance“

Mittlerweile kommt Höjbjerg, gerade 18 geworden, auf 7 Bundesliga-Einsätze beim Meister und Pokalsieger.

„In den jungen Jahren, wenn die Jungs 13, 14 sind, dann sind im überwiegenden Fall die Väter die Berater der Spieler. Die haben dann natürlich noch eine ganz andere Fürsorgepflicht als ein berufsmäßiger Berater. Wenn wir dann sagen, dass wir vom HSV kommen, winken viele bereits ab. „Zu dem Chaos-Club? Dann gebe ich meinen Sohn lieber nach Wolfsburg, Mainz oder Freiburg, dann weiß ich, was ich bekomme. Bei euch weiß doch keiner, wer nächste Woche Chef vom Nachwuchsleistungszentrum oder wer Trainer der Bundesliga-Mannschaft sein wird

Dies sind nur eine wenige Aussagen eines Betroffenen, die aber meiner Meinung nach das Dilemma ziemlich gut beschreiben.

Neben dem Vorstandsvorsitzenden, welcher die Richtung des Vereins, die Philosophie vorgibt, sind meiner Auffassung nach zwei Positionen im neu zu bildenden HSV von eklatanter Wichtigkeit.

1. Sportchef

2. Nachwuchsleiter

Diese beiden Verantwortungsträger müssen sich zwingend einig sein. Sie müssen eine Sprache sprechen, sie müssen den Weg derer vorgeben, die in 3, 5 oder 7 Jahren in der Bundesliga für den HSV spielen sollen.

Es ist bekannt, dass ich den amtierenden Sportchef Oliver Kreuzer für denkbar ungeeignet halte, den Verein und besonders den Nachwuchs in eine bessere Zukunft führen zu können. Nach meinen Informationen war Herr Kreuzer im ersten Jahr seiner Tätigkeit ganze zweimal bei den Junioren in Ochsenzoll, wenn das stimmt, ist es natürlich eine absolute Katastrophe.

Bedenkt man, welche Transfersummen jedes Jahr investiert werden, ist es doch am Ende des Tages eine Milchmädchen-Rechnung. Man kann doch nicht beim Sportchef und beim Nachwuchsleiter sparen und sich dann über Transfersummen wie € 1,5 Mio für Stieber oder eventuell € 2,5 Mio für Ostrzolek aufregen, wobei das im Bundesligavergleich die kleinen Fische sind.

Grundsätzlich habe ich das ungute Gefühl, dass beim HSV in den letzten Jahren eine Entwicklung eingezogen ist, die einem gesunden Nachwuchsleistungs-Konzept im Wege steht. Häufig wurden Posten mit Leuten besetzt, die gerade zur Verfügung standen, die eine HSv-Vergangenheit vorweisen konnten. Dieses „Buddy-tum“ muss durchbrochen werden, will man zukünftig andere, erfolgreichere Wege beschreiten.

Chef des Nachwuchsleistungszentrums: Michael Schröder

U23 – Cardoso, Uysal

U19 – Addo, Yilmaz

U17 – Judt, Spitzer (Torwarttrainer Wächter)

U16 – Petrowsky, Schmidt (Torwarttrainer Wächter)

U15 – Bajramovic

U14 – Wolf, Traore

U13 – Henkel, Öhlschlager

Die fettmarkierten Trainer weisen eine HSV-Vergangenheit als Spieler der Bundesliga-Mannschaft auf. Aktuell wird immer wieder über ein Rückkehr von David Jarolim diskutiert.

Damit man mich nicht falsch versteht, ich habe nichts gegen die Beschäftigung von Ex-Spielern, wenn sie denn die nötige Qualifikation besitzen. Allerdings kann eine HSV-Vergangenheit kein Kriterium für einen Job im Nachwuchsbereich sein, wenn es einen besseren Kandidaten ohne diese Historie gibt.

Darüber hinaus muss sich der HSV, auch und besonders ím Nachwuchsbereich auf einen Weg begeben, der Kontinuität und Nachhaltigkeit heißt. Genau jetzt, in den Zeiten des Aufbruchs und Neubeginns müssen an den ganz entscheidenden Positionen die Treffer markiert werden.

Betrachtet man die erfolgreiche Konkurrenz, so kann man erkennen, warum einige Vereine nicht nur im Profibereich, sondern ganz besonders beim Nachwuchs am HSV vorbeigezogen sind.

So arbeite ein Jürgen Gelsdorf mittlerweile fast 9 Jahre als Leiter der Nachwuchsabteilung/Nachwuchskoordinator bei Bayer 04 Leverkusen. Dort geht Herr Lewandowski lieber zurück zur U19, als Bundesligatrainer zu bleiben.

http://www.bayer04.de/b04-deu/de/1060.aspx?guid=1060-F76B21D8-C3EA-4F91-93DA-0D7EF35D22E0

Bei Bayern 04 Leverkusen gibt es seit vielen Jahren, besonders für Spieler aus Brasilien,   das „Prinzip Gastfamilie“.

Norbert Elgert ist seit 2002 Trainer der U19 von Schalke 04. Welche Spieler, besonders seit 2003 aus diesem Nachwuchs hervorgegangen sind, kann man hier sehen:

http://knappenschmiede.schalke04.de/de/leistungszentrum/sprungbrett/auf-schalke-ausgebildet/page/104–7–.html

Beim FC Schalke 04 existiert darüberhinaus eine Kooperation mit der Gesamtschule Berger Feld:

Der FC Schalke 04 bietet ein Modell für die optimale Kombination von Schule und Fußball – den von allen Experten geforderten Ersatz für den Straßenfußball früherer Tage. Zur Saison 2000/2001 startete die Fußballschule „Auf Schalke“. Eine Kooperation zwischen der Nachwuchsabteilung des FC Schalke 04 und der Gesamtschule Berger Feld. Das Projekt stellt eine Weiterentwicklung des seit 1993 bestehenden Teilinternats dar.

Volker Kersting leitet das Nachwuchsleistungszentrum von Mainz 05 seit 1990!

http://www.mainz05.de/mainz05/nachwuchs/leistungszentrum-05/nachwuchskonzept.html

Bei Bayern München haben sie mit Heiko Vogel einen Trainer für die U19 verpflichtet, der vorher mit dem FC Basel nach einem Sieg gegen Manchester United das Achtelfinale der Champions League erreicht hatte. Hermann Gerland formt den Nachwuchs der Bayern seit 2002.

Man erkennt relativ schnell, wo die Unterschiede liegen. Während sich beim HSV in den letzten Jahren die Leiter des Nachsuchsleistungszentrums die Klinke in den Hand gaben (Meier, Reinhardt, Schröder etc.), herrscht woanders Kontinuität. Verhandelt man dort als Vater oder Berater mit den Herren, so kann man relativ sicher sein, dass diejenigen, die die Versprechen abgeben, auch noch im Amt sind, wenn es gilt, diese einzuhalten.

Während man beim HSV teilweise den Eindruck gewinnt, die Nachwuchsteams wirken als Auffangbecken für Ex-Spieler, die ihre ersten Trainerschritte machen wollen, wird andernorts mit Profis gearbeitet.

An dieser Stelle muss unbedingt und mit Qualität angesetzt werden und wenn es nicht anders geht, sollte man erfolgreiche Nachwuchstrainer bei anderen Verein abwerben. Mittel- und langfristig gesehen sind diese Investitionen unter Garantie sinnvoller angelegt, als die nächsten Transfermillionen, bei denen es aber auch keine Gewissheit gibt, ob sie funktionieren oder nicht.

Fazit: Der HSV muss sich meiner Meinung überall, aber ganz und besonders im Nachwuchsbereich neu aufstellen und dabei ist es mit dem Bau eines Campus garantiert nicht getan. Das Projekt Nachwuchs muss mit Leben gefüllt werden und das geht nur über kompetentes und engagiertes Personal. Es muss eine einheitliche Philosophie entwickelt werden, die über das „Alle-Mannschaften-des-HSV-spielen-ab-jetzt-durchgehend-im-4-3-3-System“ weit hinausgeht. Man muss dahin kommen, jeden Spieler individuell zu fördern, es muss wieder das Ziel eines 13-Jährigen Jungen aus Flensburg oder Geesthacht sein, für den HSV spielen zu wollen.

Und vielfach hat das eben nicht nur etwas mit Geld zu tun, sondern mit dem guten Gefühl, sich für das Richtige entschieden zu haben.