Oha, denken jetzt einige. Jetzt ist Beiersdorfer noch gar nicht richtig da und schon geht die Analyse los. Mitnichten, Freunde. Der heutige Blog dreht sich keinesfalls um die Personalie des designierten neuen Vorstandsvorsitzenden der HSV AG, den kann und will ich überhaupt nicht beurteilen wollen, bevor er in Amt und Würden ist. Nein, der heutige Blog dreht sich vielmehr um den ersten Hoffnungsträger des HSV, der im Anschluss an eine gelungene HSVPLUS-Pressekonferenz mit viel Vorschuss-Lorbeer angetreten war und seither vieles falsch gemacht hat, was man so nicht erwarten konnte und wollte.

Karl Gernandt ist ganz sicher ein Mann von hoher Integrität, ausgestattet mit einem großen Maß an Intelligenz und einer hervorragenden Ausbildung. Wäre dies nicht so, würde er heute nicht dort stehen, wo er heute steht. Ich gehe auch davon aus, leider hatte ich noch nicht die Gelegenheit, persönlich mit ihm zu sprechen, dass er hanseatische Werte wie z.B. den Wert eines Wortes und eines Handschlags durchaus zu schätzen weiß und danach lebt.

Aber Karl Gernandt ist eben auch ein Mensch und wie jeder normale Mensch strebt er nach Anerkennung. Führte er bisher ein Leben in der Anonymität der Masse, war er bisher stets der 2. Mann hinter Klaus-Michael Kühne, so stieg er mit dem Bekenntnis zu den Zielen der Initiative HSVPLUS zu einer Person des öffentlichen Lebens auf. Sprach er während seiner bisherigen Laufbahn mit Journalisten von „Capital“ oder dem „Handelsblatt“, so rufen ihn seit einigen Wochen die Herren der BILD und der Mopo an. Der Kicker, den er früher als Fußball-Fan gelesen hatte, möchte plötzlich ein Interview mit ihm und die Scherzkekse von SKY lauern ihm am Airport auf.

Jemand, der das bisher nicht erlebt hat, findet dies höchstwahrscheinlich spannend und schmeichelnd und es gibt nicht viele, die der Versuchung standhalten können.

Gernandt konnte nicht und machte den ersten fatalen Fehler; er vermutete aus seinen Erfahrungen mit seriösen Medien, dass mit seinen Sätzen  wie“Da kriege ich Hautausschlag“ sensibel umgegangen werden würde. Falsch gedacht, Herr Gernandt. Wenn sie diesen Herren irgendetwas im Vertrauen erzählen, können sie ein Jahresgehalt darauf wetten, dass exakt diese Information innerhalb der nächsten 4 min. als Tweet um die Welt geht.

Im Grunde aber hat Gernandt den ersten Fehler schon vorher gemacht, indem er allzu offensiv mit der Personalie Beiersdorfer nach vorn preschte. Angestachelt von der falschen Vermutung, der Wahlerfolg von HSVPLUS steht und fällt mit einem Beiersdorfer als neuem Vorstandsvorsitzenden, bemerkte Gernandt nicht, dass es überhaupt nicht notwendig gewesen wäre, den Namen des Ex-Sportchefs so in den Fokus zu stellen. HSVPLUS wäre auch ohne Beiersdorfer gekommen und man hätte sich viel Erklärung und wahrscheinlich auch Geld sparen können, wenn man mit Zenith St. Petersburg im Stillen hätte verhandeln können.

So aber wurde Beiersdorfer zum Politikum und Gernandt geriet mit jedem Tag mehr in Zugzwang. Da die Russen keinen Schwachköpfe sind, werden sie sich diese Zwangssituation gut haben bezahlen lassen.

Nun gut, Fehler passieren. Wichtig ist nur, dass man aus ihnen lernt. Gernandt scheint aber momentan nicht wirklich lernen zu wollen, denn bereits kurz nach Bekanntgabe der Presse-Erklärung strahlte er erneut in eine SKY-Kamera und ließ sich abfeiern.

Ich befürchte, Karl Gernandt hat sich im Vorfelde seiner HSVPLUS-Aktivität nicht ausreichend mit zwei Dingen beschäftigt.

1. Die Arbeitsweise der Hamburger Sportmedien

2. Den Bedürfnissen der HSV-Fans

Punkt 1 wird Gernandt begreifen müssen und er wird schnell begreifen müssen. Wenn er denkt, dass er mit diesen Herren vertrauensvoll zusammenarbeiten kann, wird er scheitern. Diesen Herren ist sein Schicksal und das Schicksal des Hamburger Sport Vereins weniger als egal. Sie müssen Auflagen verkaufen und Marktanteile sichern. Dafür werden sie bezahlt, zwar schlecht, aber immerhin.

Ein kleines Beispiel an dieser Stelle, welche mir ein Mitglied eines HSV-Gremiums vor nicht allzu langer Zeit face to face zu erzählen wusste. Herr X. sprach mit Journalist Y. von einer Hamburger Tageszeitung. X. erklärte dem Schreiber, dass angsichts der Vorkommnisse innerhalb des Vereins verschiedene Dinge, die ihn selbst betreffen würden, vorgefallen seien. X. bat Herrn Y. jedoch, dies nicht zu schreiben. Am nächsten Tag erschient in der Zeitung des Herrn Y. ein großer Artikel mit exakt dem Inhalt, welchen Herr X. auf keinen Fall publiziert haben wollte.

Schreiber Y., von Herrn X. auf diesen Sachverhalt angesprochen, erwiderte daraufhin nur: „Ach, dann haben wir uns wohl mißverstanden“. Alles klar ?

Punkt 2 wird Gernandt bedenken müssen, denn Volkes Stimmung ändert sich schneller als das Wetter im April. Die Mitgliedschaft des HSV war es nach so vielen Jahren leid, immer und immer wieder Wasserstandsmeldungen, Maulwurf-Attacken und Indiskretionen aus einem Gremium empfangen zu müssen, welches für zwei Dinge stehen sollte: Kontrolle und Unsichtbarkeit.

Der gemeine HSV-Fan guckt neidisch nach München, wo die meisten Mitglieder gar nicht wissen, wer überhaupt im Aufsichtsrat sitzt. Wo dieser Rat medial nicht stattfindet und wo Meldungen zuerst über die eigenen Kanäle lanciert werden, wenn sie spruchreif sind (Beispiel: Vertragsverlängerungen mit Lahm und Müller). Die Hoffnung der HSV-Fans war es, eben genauso einen Aufsichtsrat auch zu bekommen und im Moment bekommen sie genau das Gegenteil. Sie bekommen einen neuen Medienstar, der eigentlich gar nicht existieren sollte.

Aktuell verzeihen viele Fans Gernandt’s Medienauftritte, weil sie noch vom Umschwung des 25.05. euphorisiert sind, aber wie lange hält das an? Ich befürchte, dass im Moment viel Kapital verspielt wird und es wird leichtfertig und ohne Not verspielt.

Das wirklich Fatale an der Geschichte – Gernandt selbst und der neue Aufsichtsrat fangen ja nicht bei Null an. Wie man es nicht macht, hat ihnen der noch amtierende Aufsichtsrat doch in mühevoller,  jahrelanger Kleinarbeit demonstriert!

Karl Gernandt wäre meiner Meinung nach gut beraten, wenn er ab sofort schweigen und jede Interview-Anfrage kategorisch ablehnen würde. Andernfalls kämen die Mitglieder schnell auf den Gedanken, dass man wohl doch nur alten Wein in neuen Schläuchen gewählt hätte.

Für die Initiatoren und Aktivisten von HSVPLUS, die mehr als ein 3/4 Jahr gekämpft, überzeugt und geschuftet haben, wäre dies ein Schlag ins Gesicht. Für den HSV wäre es fatal.

Um an dieser Stelle denjenigen, die jetzt beißreflexartig mit Parolen wie „Öl ins Feuer-Gießer“, „Spalter“ oder „Miesmacher“ um die Ecke kommen, den Wind aus den Segeln zu nehmen – dies sind meine Gedanken und die muss niemand teilen. Bevor mir aber jemand unterstellen möchte, ich würde mich von HSVPLUS abwenden oder ich würde jetzt schon alles schwarz sehen wollen, sollte man sich Gedanken über seine eigenen Gedanken machen.

Was hat man sich von HSVPLUS versprochen?

Welche Erwartungen hatte man in Karl Gernandt?

Was wollte man auf keinen Fall weiterhin beim HSV erleben müssen?

Und noch eins: Vielfach wird in Blogs, Foren, bei Facebook oder sonstwo gern der Vorwurf an die Presse gestellt, man würde immer erst reagieren, wenn es zu spät ist. Man hätte ja zum richtigen Zeitpunkt mal den Finger in die Wunde legen können und „Namen nennen“ sollen. Wenn man das allerdings tut, wird es nicht gern gesehen.

Ehrlich – ich komme damit klar. Aber kommt ihr Kritiker auch damit klar, wenn der Bonus von HSVPLUS bereits vor dem Start der neuen Saison aufgebraucht ist?

P.S. Heute beginnt die WM in Brasilien. Letzte Chance, sich beim HSV-Arena-Tippspiel anzumelden.

http://www.kicktipp.de/hsv-wm-arena/