Nach dem gestrigen 1:0 gegen Frankreich geht’s für die deutsche Nationalelf am Dienstag nun also gegen Gastgeber Brasilien. Während in Deutschland bei vielen bereits jetzt die Sektkorken ob der Verletzung von Superstar Neymar und der Sperre von Kapitän Thiago Silva knallen, bleibe ich skeptisch. Eben deshalb, weil man als Deutscher die Mentalität der Südamerikaner nicht falsch enschätzen sollte.

Selbstverständlich schwächt besonders die Verletzung des Barca-Spielers die Brasilianer erheblich, aber drei Aspekte sollten man bei der Vorbetrachtung des Halbfinals nicht außer acht lassen.

1. Ohne Neymar ist der Gastgeber vielleicht nominell schwächer, aber eben auch schwerer auszurechnen. Scolari wird die Taktik, die zuvor relativ leicht zu durchschauen war, umstellen müssen und deshalb wird auch Bundestrainer Löw seine taktischen Überlegungen neu ordnen müssen.

2. Ganz Brasilien ist erschüttert ob des Schicksals des Hoffnungsträgers. In einem südamerikanischen Land wird in so einem Fall aber der Nachteil zu einer Trotzreaktion genutzt.

„Jetzt gewinnen wir halt für Neymar“

Diese Einstellung kann zusätzliche Kräfte freimachen, kann extrem motivieren. „Ohne Neymar traut uns die Welt den Titel nicht zu, denen zeigen wir’s“. Die Deutschen werden sich auf einen heißen Tanz gefasst machen müssen.

3. War das Halbfinale in der Vorbetrachtung mit Neymar und Thiago ein 50:50-Spiel, so mutiert die deutsche Elf nach den Vorkomnissen des gestrigen Abends jetzt zum klaren Favoriten. Was das zur Folge hat, konnte man im Spiel gegen Algerien beobachten.

Was mit bisher bei dieser WM besonders auffiel, waren zwei Dinge. Zuerst einmal ein sehr gutes spielerisches Niveau mit einigen neuen, taktischen Kniffen (3er-Kette, die zur 5er-Kette wird etc.), aber eben auch die Tatsache, dass besonders die großen Teams extrem abhängig von einem Spieler sind.

Agentinien ohne Messi (und ein wenig di Maria), Holland ohne Robben, Brasilien ohne Neymar, England ohne Rooney, Italien ohne Balotelli, Frankreich ohne Benzema, Uruguay ohne Suarez.

Nimmt man bei diesen, im Schnitt überdurchschnittlich besetzten Teams den bestimmenden Mann aus dem Spiel, ist das mehr als die halbe Miete.

Ein Vorteil, den sowohl die deutsche Elf, aber auch die Belgier haben: Sie funktionieren mehr als Kollektiv und hängen nicht an einem einzelnen Superstar.

Hier aber beginnt das Problem, welches ich mit „Gefährliche Entwicklung“ beschreiben wollte. Natürlich bleibt es den Gegner nicht verborgen, dass diese Mannschaften abhängig sind und als Folge daraus wird teilweise ungehindert Jagd auf diese Akteure gemacht.

Was Messi und besonders Neymar, aber auch Özil bisher in diesem Turnier einstecken mussten, ist bedenklich. Bedenklich auch deshalb, weil die teilweise mehr als unterdurchschnittlichen Schiedsrichter nicht in der Lage waren, diese Spieler zu schützen. Als Folge dieser Treibjagden liegt nun ein Neymar mit Wirbelbruch in der Klinik und ich prophezeie, dass am heutigen Samstag die Schienbeine von Flugschüler Robben und die Waden von Lionel Messi die vorrangigen Ziele der Gegenspieler sein werden.

Wir alle wollen doch ganz besonders diese Spieler sehen, wollen ihre Tricks, ihre Schnelligkeit und ihre Sicherheit bei höchstem Tempo bewundern.

Wenn diese Spieler allerdings ungeschützt zum Abschuss freigegeben werden, schadet das zumindest meinem Eindruck von einer bisher überaus beachtenswerten Weltmeisterschaft.