Mal ganz im Ernst – das ist doch nicht gesund, Leute. Ich habe absolut nichts gegen eine positive Einstellung, nach vorn gerichtetes Streben und Optimismus, aber was rund um den HSV in den letzten Wochen passiert, das ist nicht normal und es ist in dieser extremen Form auch ganz sicher nicht im Sinne der Verantwortlichen um Dietmar Beiersdorfer.

Nur nochmal kurz zur Erinnerung: Der HSV vermied am 18.05.2014 mit einem 1:1 bei Greuther Fürth den Absteig in die 2. Liga, nachdem man in der zurückliegenden Saison gerade einmal 27!!!! Punkte zusammengespielt und dabei 75 Gegentore gefangen hatte. Das sind die Fakten!

Ich möchte nur ganz kurz die bisherigen Testspiele (für mich fast alle ohne sportlichen Wert, da vielfach direkt aus dem Training oder aus einer langen Anreise heraus) reflektieren und einige Äußerungen diverser sogenannter „Fans“ dazustellen:

Nordfriesland Auswahl – HSV 0:16

„Naja, qualitativ schlechter als diese Friesen ging es wohl gerade nicht“

ETSV Weiche Flensburg – HSV 2:3

„OMG – das wird schon wieder so eine Graupen-Saison“

Guanzhou EG – HSV 6:2

„Jetzt können DIE nicht mal mehr gegen Chinesen gewinnen, was für eine Blamage“

Guanzhou RF – HSV 2:3

„Die hatten ja nicht mal Zweitliga-Format“

Niendorfer TEV – HSV 0:6

„Letzte Saison haben wir die zweistellig geschlagen“

HSV – VFL Wolfsburg (Telekom-Cup) 5:6 i.E

„Wolfsburg mit ner C-Truppe ist immer noch besser als diese Graupen“

HSV – Glabdbach (Telekom-Cup) 3:1

„Naja, ganz okay. Aber bei Gladbach fehlte ja auch die Hälfte“

Sturm Graz – HSV 0.2

„Nicht so schlimm“

Akhisar Belediyespor – HSV 0:2

„Wir werden Meister“

Die Tatsache, dass es im Bewußtsein besonders abträglicher „Fans“ nur dunkelstes Schwarz und gleißendes Weiß gibt, ist mir wohl bewußt, doch leider wird im Augenblick diese oberflächliche Betrachtung von besonders den Medien befeuert, die spätestens im September die Ersten sein werden, die die Mannschaft und den Trainer in kleine Stückchen reißen werden, wenn die von ihnen selbst (den Medien) entfachte Euphorie abflacht und der Bundesliga-Alltag eingekehrt ist.

Wie geagt – nichts gegen Aufbruchstimmung. Aber diese vollkommen amateurhafte Bewertung von bundesliga-normalem Aufbautraining, irrelevanter Testspiel-Ergebnisse und dem Hypen von guten, soliden Spielern zu Superstars schadet dem Verein mehr als es ihm nützt. Beiersdorfer und Slomka wissen dies und versuchen gegenzusteuern. Erfolglos, wie es scheint.

Drobny – Diekmeier, Djourou, Kacar, Jansen – Behrami, Badelj – Ilicevic, van der Vaart, Stieber – Rudnevs

Diese Mannschaft gewann gestern abend das letzte Testspiel in Österreich

Drobny – Diekmeier, Djourou, Westermann, Jiracek – Badelj, Arslan – Calhanoglu, van der Vaart, Jansen – Lasogga

Diese Mannschaft erstolperte ein 1:1 in Fürth.

Anstelle von Heiko Westermann spielte ein Gojko Kacar, den man 2 Jahre lang verschenken wollte und am Ende nach Japan auslieh.

Anstatt von Tolgay Arslan spielte Valon Behrami. Ein Spieler, der der Defensive mit seiner Aggressivität und Härte sowie seinen Antizipationsfähigkeiten zu mehr Stabiltität verhelfen soll und wird. Ein Weltstar ist Behrami aber mal garantiert nicht.

Für Hakan Calhanoglu spielte Zoltan Stieber, er kam vom Zweitligisten aus Fürth.

Für Pierre-Michel Lasogga spielte Artjoms Rudnevs, den man ob mangelnder Qualität nach Hannover abgeschoben hatte.

Jetzt kommt noch Nicolai Müller aus Mainz hinzu, ein Spieler, der dem HSV in der Offensive mehr Variationsmöglichkeiten bieten wird. Aber auch Müller ist kein Ribery, er ist ein guter und solider Kauf und exakt darum geht es. Es geht um Solidität, um Stabilität. Das Grundgerüst der Mannschaft war fragiler als ein Turm aus Würfelzucker und die Mentalität stimmte aufgrund von einer Reihe von Mißerfolgen nicht mehr. Hier galt es anzusetzen und das tut Beiersdorfer.

Das Training

Ja meine Güte, der HSV trainiert endlich nach Bundesliga-Verhältnissen. Was von einigen „Journalisten“ als eine Art Bootcamp erkannt wird, in dem HSV-Spieler bis zur Bewußtlosigkeit gedrillt werden, ist bei 95% aller anderen Verein seit Jahren Standard. Wenn jemand denkt, dass man sich lediglich aufgrund von normalen Trainings-Einheiten einen Wettbewerbsvorteil verdient, liegt man falsch. Die Konkurrenz schläft nicht, im Gegenteil. Es ist nicht davon auszugehen, dass in Augsburg, Mainz, Hannover oder Frankfurt jetzt weniger trainiert wird, als in der Vergangenheit. Man könnte eher vermuten, dass dort die Umfänge eher noch erhöht wurden.

Der HSV hat sich durch eine vernünftige Vorbereitung also keinen Vorsprung erarbeitet, er hat nur Waffengleichheit geschaffen. Und dies mit einer Mannschaft, die sich gegenüber der Vorsaison kaum verändert hat.

Was Hoffnung macht: Trainer Slomka konnte endlich einmal eine komplette Vorbereitung nach seinen Vorstellungen durchziehen. Er ist in der Lage, das von ihm bevorzugte Spielsystem automatisieren zu lassen und er kennt die Spieler nach den Erlebnissen der letzten Saison wesentlich besser. Hinzu kommt, dass der HSV die bisherige Saisonvorbereitung ohne schwere Verletzungen durchziehen konnte, sieht man einmal von Lasogga’s Prellung ab. Diese Parameter lassen hoffen, dass der HSV eine solide Saison spielen wird und hoffentlich relativ frühzeitig mit dem Abstieg nichts zu tun haben wird.

Die, besonders von den bekannten und überflüssigen Medien entfachte Euphorie um irgendwelche Plätze im einstelligen Bereich sind meiner Auffassung nach vollkommen unangebracht und schaden dem systematischen und nachhaltigem Aufbau einer wirklich wettbewerbsfähigen Mannschaft mehr als sie nützen. Aber darum geht es den Verfassern dieser Jubelarien ja auch gar nicht. Sie vermelden den „Schweiz-Star“, den „Müller-Star“ und den nächsten Star, für einen Blick zu Konkurrenz und über den Tellerrand hinaus sind sie einfach nicht in der Lage.

Und die Einfältigen unter den HSV-Fans folgen wie eine Herde Lemminge und fordern den Kopf des Trainers, wenn der HSV im Oktober „nur“ Tabellen-13. ist