Vor ca. einem Monat, es ist tatsächlich schon wieder so lange her, wurde Deutschland Fußball-Weltmeister. Völlig zurecht übrigens, auch wenn einige selbsternannte Experten das anders sehen, weil ihrer Meinung nach die deutsche Elf spielerische nicht das oberste Regal war. Na denn…

Gestern hat die technische Kommission der FIFA eine Liste mit Gründen für den Erfolg von Löw’s Team veröffentlicht und auch wenn es vermessen ist, den aktuellen HSV mit der Mannschaft des Weltmeisters vergleichen zu wollen, so finde ich es spannend, die jeweilge Erfolgsformel einmal vor dem IST-Zustand des Vereins zu betrachten. Nun mag jeder diesen Zustand anders bewerten, dies ist nicht mehr und nicht wenige als meine persönliche Betrachtung und ich nehme mir das Recht heraus, diese zu veröffentlichen.

– Disziplinierte, gut organisierte Abwehr

Nein, sicher nicht. Wenn man in einer Saison 75 Gegentore in 34 Spielen fängt, hat man ganz sicher keine disziplinierte, gut organisierte Abwehr. Wobei ich nicht den Fehler begehen möchte, die zahlreichen Gegentore ausschließlich an den 4 Herren in der Viererkette oder dem Torhüter festzumachen. Abwehrverhalten fängt ganz vor an und ein Gegentor entsteht häufig durch eine Fehlerkette, die mit einer Unzulänglichkeit eines etatmäßigen Stürmers beginnt. Dennoch – an diesem Punkt muss speziell in Hamburg intensiv gearbeitet werden, er ist der Schlüssel zum Erfolg und zur Stabilität.

– Aufrückende Verteidigung, Absicherung durch den Torhüter

Auch hier gibt der HSV meiner Meinung nach keine gute Figur ab. Zwar versuchen die Außenverteidiger (Jansen, Diekmeier) häufig das Flügelspiel zu beleben, die Innenverteidigung jedoch, egal in welcher Zusammenstellung, beschränkt sich einzig und allein auf Deckungsaufgaben. Selbst bei Standardsituationen sind die hamburger Zentralverteidiger außerordentlich torungefährlich (Tah – kein Tor, Djourou – kein Tor, Westermann – ein Tor). Zieht man hier den Quervergleich zu Verteidigern wie Hummels, Boateng oder auch Mertesacker, sieht’s dunkel aus. Sowohl, was den Spielaufbau betrifft, aber auch bzgl. der Torgefahr, sind das andere Hausnummern.

Absicherung durch den Torhüter findet in einer Form, wie sie Manuel Neuer praktiziert, im Grunde überhaupt nicht statt. Das ist allerdings auch kein Wunder, ist Neuers Interpretation des Torwartspiels auch einzig auf der Welt und kaum kopierbar. Rene Adler ist ein Torhüter der alten Schule, stark auf der Linie und in der Luft, gut im 1:1, aber fußballerisch halt limiert.

– Geduldiger Spielaufbau aus der Verteidigung über das Mittelfeld

Was beim HSV als Schwäche bzw. als Unfähigkeit zum schnellen Kombinations-Fußball erklärt wird, gilt bei der Nationalmannschaft als Stärke. Das kontrollierte Aufbauen, die Geduld, sich den Gegner richtig „hinzulegen“. Dies erfordert allerdings auch ein hohes Mass an technischer Fähigkeit, Ballkontrolle und die Gabe, bei Pressing-Verhalten des Gegners nicht in Panik zu geraten, sondern die Ball sicher und präzise zum Nebenmann spielen zu können. Beim HSV existieren an dieser Stelle große Schwächen, da besonders im Spielaufbau teils haarsträubende Abspiele (Arslan, Badelj, aber auch Djourou) den Gegner in aussichtsreiche Positionen und den HSV in größte Schwierigkeiten gebracht haben.

– Hervorragendes Kombinationsspiel, viele Anspielstationen

Existiert beim HSV im Grunde überhaupt nicht, weil für das Kombinationsspiel schlicht die Spieler gefehlt haben, nimmt man einmal van der Vaart und Badelj aus. Aber das Problem beginnt meiner Meinung auch hier viel weiter vorn, weil ein Zoua nun mal kein Götze und ein Lasogga kein Schürrle ist. Natürlich kann man mit Spielern, die die technische Klasse von Kroos, Schweinsteiger, Khedira, Özil, Götze, Müller, Schürrle, Podolski oder Draxler haben, bis zur Besinnungslosigkeit kombinieren, mit Ilicevic, Zoua, Lasogga und Co. kann man das eben nicht.

– Präzise Pässe in die Tiefe

Präzise Pässe in die Tiefe setzen grundsätzlich voraus, dass es eben auch Spieler geben muss, die sich für diese Pässen anbieten. Die in die Räume gehen, die Positionen wechseln etc. Wie beim Punkt zuvor beschrieben, hat die N11 solche Spieler bis zum Abwinken, der HSV hat sie eben nicht (jetzt vielleicht durch Nicoai Müller). Besitzt man keine Spieler dieser Art in seinem Kader, können auch Akteure, die in der Lage sind, solche Pässe spielen zu können (van der Vaart, Calhanolgu), am Ende nur verhungern oder ins Leere passen.

– Einflussreicher Torhüter

Wie bereits beschrieben – Manuel Neuer greift natürlich aufgrund seiner technischen Fähigkeiten und seiner Spielweise wie weltweit kein zweiter Torhüter ins Spiel ein. Rene Adler ist ein vollkommen anderer Torhütertyp und hat entsprechend viel weniger Einfluss auf das Spiel.

– Ballsicherheit unter Druck

Auch bereits angesprochen. Ballsicherheit beinhaltet technische Fähigkeiten, beinhaltet aber auch Mitspieler, die anspielbereit sind, wenn der Ballführende unter Druck gerät. Die deutsche Nationalelf hat dieses Spiel perfektioniert, aufgrund des Umstandes, dass immer ein Spieler frei steht, wird Druck genommen. Sollte dann doch einmal exzessiv gepresst werden, besteht immer noch die Chance, zu einem technisch ausgezeichneten Torhüter zu passen. Beide Möglichkeiten hat der HSV nicht.

– Mentale Stärke

Kann nur schwer trainiert werden. Mentale Stärke resultiert nicht zuletzt aus persönlichen Erfolgen und diese brachten die deutschen Nationalspieler von ihren Stammteams Bayern, Dortmund, Real, Arsenal, Leverkusen und Schalke mit. Die HSV-Spieler können im Grunde gar keine mentale Stärke bzw. Selbstbewußtsein haben, betrachtet man man die (nicht nur sportliche) Entwicklung der letzten Jahre.

– Taktische Flexibilität (situative Anpassung)

Auch hierfür benötigt eine Mannschaft die richtigen Spieler, das Spiel des HSV war in der letzten Saison eindimensional und leicht berechbar. Das krasse Gegenteil dazu die Mannschaft von Jogi Löw. Dadurch bedingt, dass man auf nahezu jeder Position absolute Weltklasse zur Verfügung hatte, war man eben auch in der Lage, auf jede Situation und jeden Gegner entsprechend zu reagieren. Stoßstürmer (Klose) oder falsche Neun (Götze, Müller). Schnelles Spiel über außen (Özil, Müller, Schürrle) oder Kombinationsfußball durch die Zentrale (Hummels,Schweinsteiger, Khedira, Kroos). Lange, vertikale Bälle (Boateng, Kroos) oder schnelles Doppelpass-Spiel über die Außenpositionen, die Mannschaft beherrscht die gesamte Klaviatur des Spiels und sie kann beliebig innerhalb eines Spiels mehrmals umschalten.

Hier kann man leider nur sagen: Qualität hat eben doch seinen Preis.

– Entscheidende Einwechslungen des Trainers

Um die richtigen Entscheidungen bei den Einwechslungen treffen zu können, benötigt es neben der Fähigkeit, ein Spiel (auch und besonders das Spiel des Gegners) lesen zu können, auch einer gehörigen Portion Glück. Und, was noch wichtiger ist: Man braucht auf der Bank auch Spieler, die in der Lage sind, aufgrund ihrer individuellen Klasse ein Spiel in den letzten 20 Minuten beleben und notfalls entscheiden zu können. Betrachtet man den Begriff „entscheidende Einwechslungen“, so meint man in 90% der Fälle die Einwechslung von Offensivspielern, die ein Spiel drehen konnten, entscheidende Treffer erzielen konnten. Ganz selten wird die Einwechslung eines Innenverteidigers in der 62. min., der dann kein Tor erzielte, als „entscheidende Einwechslung betrachtet, wenn sie es auch manchmal ist. Löw hatte davon mehr als genug, Slomka nicht. Es besteht ein gravierender Unterschied, ob ich einen Götze, einen Podolksi, einen Draxler, einen Schürrle oder eben einen Zoua, Nafiu oder Ilicevic auf der Bank habe.

P.S. Ganz kurz noch einmal zum Thema Petition. Allein die Tatsache, dass die Pöbler (Kritiker kann man sie nicht nennen) nicht begreifen können, dass dies nicht meine Idee war, sondern die eines Lesers, sagt mehr über sie als über mich aus. Die Reaktionen darauf zeigten auf jeden Fall deutlich, dass diese Petition mehr als überfällig war.

https://www.openpetition.de/petition/online/umbenennung-oder-abschaffung-des-hsv-blog-herausgegeben-vom-hamburger-abendblatt