Erster Spieltag, altes Spiel. Während sich die Spieler in der Saisonvorbereitung die Lunge aus dem Hals gerannt haben, während man mit den letzten analytischen Errungenschaften wie GPS-Westen, Computermodellen etc. dabei ist, das Spiel systematischer zu durchdringen, während sich hochbezahlte Trainerteams im Zusammenspiel mit Analysten, Medizinern, Psychologen, Lehrern etc. die Hirne über Systeme, Spielformen und mögliche Aufstellungen zermartert haben, haben die sogenannten Fans nur auf den Tag X gewartet, um das zu tun, was sie am besten können. Klugscheißen.

In keinen anderen Bereich des öffentlichen Lebens existieren wohl soviele Experten wie beim Fußball und jeder ist zu jedem Zeitpunkt in der Lage, seinen Vorredner noch zu übertrumphen. Da wird gegoogelt bis der Rechner glüht, es werden alte Kicker-Sonderhefte zerfleddert und das alles nur zu einem Zweck: Einem anderen, vorzugsweise natürlich dem Trainer des eigenen Teams nachweisen zu können, dass er von seinem Job ungefähr soviel versteht, wie der Weltmeistertrainer aus Waldmichelbach von Origami.

Eigentlich ist das Ganze extrem belustigend und ich weiß auch, dass dieses Phänomen zum Fußball gehört wie das Abseits und der Schlusspfiff. Übel ist eigentlch nur eines: Die Spinner glauben ihren eigenen Scheiß tatsächlich.

Da denkt der Frührentner aus Norderstedt tatsächlich, dass er die bessere Taktik gewählt hätte und der Steuerberatungs-Fachangestellte aus Stutgart weiß, dass Spieler X garantiert zum Sieg verholfen hätte und eben nicht wie Spieler Y erneut total versagte, aber genau diesen Y stellt der blinde Slomka jedesmal wieder auf. Es ist zum Verzweifeln.

Und nein, diese Strahlungsopfer merken dies nicht etwa mit einem Augenzwinkern an, sie meinen das tatsächlich ernst. Wie vollkommen neben der Spur muss man eigentlich sein, um von sich selbst behaupten zu wollen, man verstehe von der Komplexität des Fußballs aufgrund der eigenen Tätigkeit als Ex-Profi der Kreisklasse B mehr als ein lizensierte Fußball-Lehrer, der jahrelange Erfahrung als Ex-Spieler, Ex-Jugendtrainer, Ex-Cotrainer, Ex-Trainer bei xxx anderen Bundesligaclubs vorzuweisen hat? Der eine zweijährige Ausbildung zum Fußball-Lehrer genossen und auf höchstem Niveau trainiert hat?

Und der vor allem eines zu bedenken hat: Stellt er die falsche Mannschaft auf, wählt er das falsche System oder die falsche Taktik, dann riskiert er seinen Job. Der Brüllaffe im Internet riskiert höchstens, dass ihn andere Brüllaffen auslachen. Aber dann macht er halt am nächsten Spieltag weiter, während der echte Bundesligatrainer um seinen Job kämpft.

Denkt eigentlich tatsächlich jemand ernsthaft, dass irgendein Trainer im bezahlten Fußball einen Spieler auf der Bank lässt, von dem er meint, dass dieser der Mannschaft helfen könnte? Wie lächerlich ist das bitte?

Die vergessene Demut.

Nach der Katastrophen-Saison 2013/14 wurde in Hamburg ein Begriff besonders strapaziert und dieser Begriff lautete Demut. Man wollte in Zukünft demütiger mit dem Privileg, in der höchsten deutschen Spielklasse mitwirken zu dürfen, umgehen. Man wollte die eigenen Ziele mit höchster Demut angreifen. Schritt für Schritt, Spiel für Spiel. Diese Einstellung fanden die meisten Fans und Anhänger gut und sinnvoll, aber eben nur solange, wie andere demütig sein sollten, oder? Wäre es nicht auch ein Zeichen von Demut, den Entscheidungen des Trainerteams einfach mal zu glauben, anstatt 4 min nach Anpfiff des ersten Bundesligaspiels in alte Verhaltensmuster zu verfallen und erneut zu pöbeln, dass die eigenen Kinder vor Scham den Raum verlassen? Aber nein, wie leicht ist es doch, bei anderen etwas einzufordern, was man selbst nicht zu leisten bereit ist.

„Diese Maßnahme muss mir Mirko Slomka einmal erklären“ – „Dafür erwarte ich eine Erklärung vom Trainer“

Zuerst einmal: Mirko Slomka muss überhaupt nichts. Die einzigen Personen, denen er etwas erklären muss, sind der Sportchef und der Vorstandsvorsitzende und diese beiden Posten übt zur Zeit eine Person in Hamburg aus. Wie aber muss man drauf sein, wenn mal als kleine Anwaltswurst aus Frankfurt, der die Zusammenfassung des Köln-Spiels in 6 Minuten in der ARD genossen hat, vom Trainer eine Erklärung  verlangen will? Wie beknackt seid ihr eigentlich?

„Warum läßt der Trainer Jonathan Tah nicht spielen? Was Westermann spielt, spielt Tah im Schlaf. Der Trainer vergrault unsere besten Talenten.“

Gegenfrage: Würde sich Mirko Slomka nicht selbst ein Denkmal setzen, wenn er zum jetzigen Zeitpunkt Spieler wie Tah, Demirbay, Jung oder Steinmann in die Mannschaft einbauen und damit erfolgreich sein würde? Alle Welt würde ihn als denjenigen abfeiern, der für den Aufbruch mit jungen, hoffnungsvollen Talenten steht.

Warum also tut er das nicht einfach? Nun, er tut das nicht, weil er seine Gründe dafür hat. Und dies sind nicht nur seine Gründe, sondern es sind Gründe, die sich aus den Analysen und Gesprächen mit Co-Trainern, Medizinern, Spiel-Analysten, Psychologen etc. ergeben haben. Ganz offensichtlich sind nach Auffassung dieser Experten diese Spieler noch nicht soweit, dass sie der Mannschaft in der aktuellen Situation weiterhelfen können.

Vor einigen Wochen erschien bei spox.com ein, wie ich finde, bemerkenswertes Interview mit dem Cheftrainer von Red Bull Leipzig, Alexander Zorniger. Ich möchte nur eine ganz kurze Passage aus diesem Interview zitieren.

Zorniger: Ein Aspekt sind sicherlich die sozialen Medien. Aus der Anonymität heraus wird etwas gepostet und 50.000 andere springen darauf an, ohne es auch nur ansatzweise zu hinterfragen. Informationen werden vollkommen ungefiltert aufgenommen. Social Media macht den Menschen an sich schlechter, das ist meine ernsthafte Überzeugung.

SPOX: Haben Sie ein Beispiel im Kopf?

Zorniger: Ich kann Ihnen schon heute sagen, dass ich im ersten Saisonspiel gegen den VfR Aalen genau die richtige Formation für uns auswählen werde. Das heißt aber nicht, dass wir damit auch gewinnen. Genau dann wird aber irgendjemand schreiben: Wie kann er denn in der ersten Partie Spieler X draußen lassen? Und darunter stehen dann 1000 Likes.

Anderes Beispiel., diesmal wieder der HSV.

Von einigen Hirnis (vielleicht auch nur von einem) wird bekanntlich im Minutentakt der liebe Raketen-Per aus Norwegen als der Spieler gehyped, der eigentlich Xavi in Barcelona ersetzen müsste. Alle Welt würde dies erkennen, nur die blinden Fink, van Marwijk und Slomka würden dies nicht begreifen. Nebenbei bemerkt erkennen auch ca. 82 andere Trainer aus diversen anderen Profiligen das wahnsinnigen Potenzial des nordischen Brummkreisels nicht, denn wie sonst ist es zu erklären, dass es für den Weltstar keine Angebote gibt? Selbst die Berliner, bei denen „Per“ in der letzten Saison mehr schlecht als recht mitbolzte, wollen den Spieler allerhöchsten für ein Trinkgeld verpflichten.

Wie aber kann es dann angehen, dass man als Einzelperson der Meinung ist, man hätte mehr Ahnung als Hunderte von ausgebildeten Experten? Merkt man denn nicht, dass man sich mit jeder Äußerung zum absoluten Vollidioten macht?

Aber selbst wenn, es ist doch egal. Keiner der Internet-Brüller wird jemals in der Verlegenheit kommen, den Nachweis seiner Expertise zu erbringen. Die Welt besteht aus FIFA und Bundesliga-Manager14 und jeder kann mitspielen.

Das ist ja alles auch okay, solange man sich selbst nicht ernstnimmt. Das aber tun diese Schwachköpfe.

Zum Abschluss muss man erkennen, dass wahrscheinlich jedes Medium die Leser bekommt, die es verdient und jedes Medium reflektiert mit seinen eigenen Leser nur seine eigene Leistung. Die BILD berichtet seicht und hat seichte Leser. Und es gibt Blogs, die schreiben so, wie sich ihre Leser anschließend äußern. Alles eine Frage des Anspruchs.