Dietmar Beiersdorfer bezeichnete die Situation als „zweischneidiges Schwert“ und er meinte damit den Umstand, dass nach der laufenden Saison beim HSV ingesamt 9 Verträge (Milan Badelj wurde bekanntermaßen auf den letzten Drücker nach Florenz verkauft) von größtenteils Stammspielern auslaufen und diese den Verein dann ablösefrei verlassen können.

Drobny (34), Westermann (31), Rajkovic (25), Jansen (28), Kacar (27), Arslan (24), van der Vaart (31), Ilicevic (27) und Nafiu (20) haben nach Ende der Saison 2014/15 keinen gültigen Arbeitsvertrag beim HSV und ich denke, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass ein Großteil dieser Spieler den Verein nach Ende der Saison verlassen werden.

„Zweischneidig“ deshalb, weil diese Situation auf der einen Seite die offenkundige Chance bietet, die bereits vor dieser Saison begonnene Neuausrichtung innerhalb des Teams zu vollenend, auf der anderen birgt sie natürlich auch diverse Gefahren und diese sind nicht nur monetäre Natur, weil der HSV Spieler, für die er einmal eine Ablösesumme bezahlen musste, kostenlos gehen lassen muss.

Die vielleicht entscheidende Frage, die sich der Trainer im Grunde im gesamten Verlauf der neuen Saison stellen muss:

Was geht in den Köpfen der Spieler vor, deren Verträge am Saisonende auslaufen?

Sind Spieler, denen eventuell bereits direkt oder indirekt mitgeteilt wurde, dass ihr Vertrag beim HSV nicht verlängert werden wird, noch bereit, alles in die Waagschale zu werfen? Wie wirkt sich eine mögliche „Ihr-mich-auch-Haltung“ auf die Stimmung innerhalb der Mannschaft aus?

Um eines grundsätzliche anzumerken: Jeder Fußballer möchte jedes Spiel gewinnen und ich möchte nicht einem Profi unterstellen, dass er es aufgrund seiner Vertragssituation darauf anlegt, Ziele seines Arbeitsgebers zu sabotieren.

Dennoch, wir reden wie immer von Menschen und Menschen denken.

Der Unterschied liegt im Detail

Da ist der Spieler, der sich erhofft, sich aufgrund starker Leistungen in dieser Saison doch noch für einen Anschluss-Vertrag beim HSV oder aber für ein Engagement bei einem anderen Club empfehlen zu können. Er wird im Training Vollgas geben, wird versuchen, in die Mannschaft zu drängen. Gelingt ihm das nicht, besteht die Gefahr, das er resigniert und seine Situation als ausweglos erkennt. Möglicherweise wird er seinen Berater losschicken, damit dieser ihm einen neuen Verein ab Saison 2015/16 sucht. Sollte dieser Spieler beim HSV zu lange ignoriert werden, hat man ihn selbst in dieser Situation „verloren“. Wie sein persönliches Empfinden auf die Stimmung der Mannschaft wirkt, ist unklar, aber die Spieler reden miteinander.

Ein andere Spielertyp weiß um seine Vertragssituation und er weiß auch, dass er nach der aktuellen Situation ablösefrei ist. Für einen begehrten Spieler (und seinen Berater)  bedeutet dies: Handgeld! Ein Teil, der Ablösesumme, die der neue Verein für ihn hätte bezahlen müssen, wäre er nicht vertragslos, wandert in die Tasche des Spielers. Ganz sicher sind unter den 9 Kandidaten einige Akteure, die mit dieser Situation liebäugeln und bereits jetzt wissen, wo sie ab August 2015 spielen werden. Diese Spieler sehen diese Saison als ihre letzte in Hamburg und wie sie mit Drucksituationen, Mißerfolgen etc umgehen, wenn sie wissen, dass sie eh bald weggehen, kann jeder für sich überlegen.

Vielleicht gibt es auch Spieler, die sich im Herbst ihrer Karriere befinden, die finanziell ausgesorgt haben und sich in Hamburg einen guten Abgang verschaffen möchten. Sie werden nochmal alles geben, sich reinhängen und sich für die Mannschaft zerreißen. Was aber passiert, wenn sie trotz ihres Engagements, welches sie sich selbst verordnet haben, auf Bank oder Tribüne landen, darüber kann trefflich spekuliert werden. Sagt sich dann ein solcher Spieler vielleicht :“Ach, leckt mich doch?“

Eine ebenfalls spannende Frage wird sein, wie sich diese unterschiedlichen Herangehensweisen auf die Spieler auswirken, die noch längerfristige Verträge haben. Entsteht vielleicht innerhalb der Mannschaft eine Gruppenbildung? Die „Geher“ und die „Bleiber“?

Tatsache ist – Abgänge wird es immer geben, da unterscheidet sich der HSV nicht von anderen Clubs. Ungewöhnlich ist in diesem Fall nur der Umstand, dass drei Dinge zusammenkommen:

– 9, zum Teil hochdotierte Verträge von größtenteils Stammspielern laufen zeitgleich aus

– der HSV befindet sich, was die Struktur des Vereins und der Mannschaft betrifft, in einer radikalen Umbauphase

– der HSV hat nach wie vor die letzte Saison in den Köpfen und das man dies nicht einfach löschen kann, hat der Saison-Auftakt gezeigt.

Die Verantwortlichen müssen also das Kunststück vollbringen, während einer nervösen und aufgeheizten Stimmung einen Umbruch mit extrem vielen Unbekannten zu vollziehen.

Dem Trainer wird die Aufgabe zukommen, jeden einzelnen Spieler genauestens zu beobachten und auf jeden einzelnen Spieler individuell einzugehen. Wer lässt den Kopf hängen? Wer zieht andere mit runter? Wem ist alles nur noch egal? Dies alles vor dem sportlichen Hintergrund und einem erneut bevorstehenden Abstiegskampf. Der Mann muss ein verdammt guter Psychologe sein und ist um seinen Job nicht zu beneiden.