Es gehört zu den Dingen, die ich nicht verstehen kann, die ich nicht verstehen will. Warum bestimmt die Vereinsführung des HSV nicht einfach mal, dass der Club die Schotten dicht macht? Warum erklärt man nicht via eigene Medien (HSV.de, HSV.total, HSV-Facebook, HSV-Twitter etc.), dass ab sofort nur einmal pro Woche öffentlich trainiert wird? Welchen Benefit hat es für die Mannschaft und für die Fans, dass jeweils zu Wochenbeginn auf HSV.de der aktuelle Trainingsplan veröffentlicht wird, aus dem hervorgeht, dass höchstens das Abschlusstraining vor dem nächsten Pflichtspiel hinter halbdurchsichtigen Planen abgehalten wird, alle weiteren Trainingseinheiten sind frei zugänglich. In Hamburg mittlerweile ein Running-Gag.

Als einigermaßen regelmäßiger „Traingsgänger“ kann ich es halbwegs beurteilen, denke ich – im Grunde hängen dort immer dieselben Gestalten rum, Ausnahme sind die Schulferien und der Saisonauftakt. Ansonsten tummeln sich dort die immer gleichen 20 Pöbel-Rentner (wetterabhängig), maximal 5 Journalisten, die aber die meiste Zeit miteinander labern und dem Trainingsgeschehen ohnehin nicht folgen. Hinzu kommen, ebenfalls saison-abhängig, zwischen 30 und 150 andere Menschen, von denen man eben nicht weiß, was sie dort wirklich wollen – und genau da beginnt das Problem.

Möchte ich als Scout eines anderen Vereins wissen, was in Hamburg in der Woche vor dem Spiel gesondert trainiert wird, möchte ich mir ein Bild von der vermeintlichen Startelf machen, hereinspaziert, eine Gondel ist noch frei. Wir in Hamburg sind so cool, wir haben doch nichts zu verbergen.

Ich kann mich erinnern, dass im Jahre des Herrn 2013 ein gewisser Pep Guardiola in München aufschlug und selbstverständlich die Trainingsgewohnheiten einführte, die er aus Barcelona kannte: Das Volk bleibt draußen und wird einmal die Woche zugelassen, basta.

Ein geradezu paradiesischer Zustand für jeden Bundesliga-Coach könnte sein, was in Spanien und England völlig normal ist, man könnte in Ruhe und ohne Ablenkung mit der Mannschaft arbeiten. Aber zumindest in Hamburg hatten die Götter die Rechnung ohne den damals noch scheinbar mächtigen SC-Wirt gemacht. Bevor in Hamburg auch nur das Pflänzchen der Hoffnung Keime treiben konnte, trat Sittenwächter Bieberstein aka ehem. Abteilungsleiter SC auf den Plan und gab ein donnerndes Interview (bis heute habe ich nicht vertanden, warum eine Zeitung wie die Welt eine Wurst wie Bieberstein interviewen musste, aber bitte..)

„Guardiola wird sich in Deutschland anpassen müssen!“

Die Welt: Können Sie für Guardiolas Maßnahme, einen Sichtschutz am Trainingsplatz zu installieren, Verständnis aufbringen?

Christian Bieberstein (28): Eher nein als ja. Ich kann verstehen, wenn ein Trainer mal eine Einheit unter Ausschluss der Öffentlichkeit abhalten will. Aber grundsätzlich sollten die Leute, auf denen der Fußball fußt, nicht von den Klubs verprellt werden. Wer schon beim Training sich von den Zuschauern entfernt, der treibt die Entfremdung zwischen Fans und Verein voran – noch weiter. Ich kann verstehen, dass es für Spieler manchmal anstrengend ist, aber das ist nun mal Teil ihres Berufs. Für kleine Kinder in den Ferien mal zum Training ihres Klubs gehen zu können, ist für die doch das Größte.

Die Welt: Lassen Sie uns mal ein Szenario entwerfen: Was würde HSV-Trainer Thorsten Fink blühen, wenn er die öffentlichen Trainingseinheiten drastisch reduzieren würde?

Bieberstein: Großer Unmut. Aber wir würden mit Thorsten Fink schon vorher darüber reden. Wir würden ihm klarmachen, dass das gar nicht gut ankommt.

(Die Welt vom 22.07.2013)

Herrgott (dachte ich damals schon), was für ein unfassbarer Schwachsinn. Als Mannschaft entfernt man sich also von den Fans, wenn man sich in Ruhe auf seine Arbeit vorbereiten will? Ich denke, man entfernt sich wesentlich deutlicher von den Fans, wenn man dauerhaft miese Leistungen abliefert.

Es ist ein Teil des Berufs eines Lizenzspielers, wenn er tagtäglich seine Arbeit in einem Aquarium tätigen muss? Absoluter Käse, Bieberstein. Es ist Teil seine Berufs, wenn er alle 14 Tage vor hoffentlich 55.000 Zuschauern Leistung bringen soll. Ich würde mich einmal fragen, wie sich jeder Einzelne fühlen würde, wenn ihm jeden Tag Hundert Leute, die nicht mal ansatzweise verstehen, was er überhaupt macht, bei der Arbeit über die Schulter gucken würden. Ach ja, ich vergass – das „Schmerzensgeld“. Ein Teil der Entlohung eines Bundesliga-Kickers ist das sogenannte „Schmerzensgeld“, welches dafür erbracht wird, dass der Spieler „Schmerzen“, also Interviews, Autogrammstunden, Sponsorentermine und natürlich dauerhaftes, öffentliches Training ertragen muss. Mumpitz³.

Der Gipfel der Genüsse ist dann allerdings der Abschluss-Satz. „Wir“ würden ihm klarmachen, dass das nicht gut ankommt. Für mich klingt das erstens wie eine unverschlüsselte Drohung und zweites frage ich mich, was Bieberstein mit „Wir“ meinte“. Etwa die 120 (von 50.000) SC-Mitlieder, die ihn zum AL gewählt haben? Oder die vertrahlten Opas, die lieber zum Training gehen und auf Spieler pöbeln, deren Namen sie nicht mal kennen, anstatt Mutti bei der Wäsche zu helfen?

Aber nein, wahrscheinlich meinte er die Presse-Kasper, die am Rande in der Runde stehen, sich kollegial abklatschen, obwohl sie sich gegenseitig nicht das Schwarze unter den Fußnägeln gönnen und die während des Trainingsspiels einen Kiebitz fragen müssen, wer denn gerade das Tor geschossen hat.

Herrn Bieberstein selbst habe ich in vier Jahren übrigens noch nie beim Training gesehen!

Im aktuellen goal.com-Interview von Daniel Jovanov hat sich Trainer Felix Magath ebenfalls zum Thema „Trainung unter Ausschluss der Öffentlichkeit“ geäußert:

Was halten Sie von Training unter Ausschluss der Öffentlichkeit?

Magath: Ohne Zuschauer können Sie besser arbeiten. Stellen Sie sich vor, Sie müssen einem Spieler vor tausend Zuschauern einen Fehler erklären. Da stellen Sie ihn doch bloß. Das ist unter Ausschluss der Öffentlichkeit besser, man ist unter sich.

Empfehlen Sie das der Bundesliga?

Magath: Selbstverständlich. Besonders dann, wenn Sie viele junge Spieler unter Vertrag haben, die mit dem Druck der Öffentlichkeit erst mal klarkommen müssen. Vor Publikum können Sie mit den Spielern doch nicht arbeiten. Es geht dabei nicht um den Trainer, sondern um die optimale Entwicklung des Spielers. Und dazu muss man Fehler machen dürfen, ohne dabei zu verkrampfen.

(goal.com vom 29.09.2014)

Ach nö, das ist uns Hamburgern doch egal. Hauptsache, da können ein paar Vögel mit zuviel Tagesfreizeit am Rand des Trainingsplatze stehen und mit ihren Handy-Kameras einfangen, wie Joe Zinnbauer gerade Artjoms Rudnevs faltet – es lebe die Unterhaltung.

Wie man es macht (nicht machen kann), zeigen die erfolgreichen Vereine der Fußball-Bundesliga:

In der Regel lädt Borussia Dortmund zu einem öffentlichen Training pro Woche ein, sofern unter der Woche keine Spiele der UEFA Champions League, im DFB-Pokal oder Testspiele anstehen – also in so genannten nicht englischen Wochen. Die öffentliche Trainingseinheit wird frühestens am Freitagnachmittag der Vorwoche, spätestens am Montag darauf an dieser Stelle kommuniziert. Wir bitten unsere Fans um Verständnis dafür, dass wir u.a. auf Basis der vorherrschenden Temperaturen und der jeweiligen Witterung kurzfristig darüber entscheiden müssen, ob die Spieler nach einer öffentlichen Trainingseinheit Autogramme schreiben.
Wir bitten Sie darüber hinaus um Verständnis dafür, dass Autogramme nur direkt am Trainingsplatz vor der Tribüne geschrieben werden. Beim Verlassen des Geländes mit ihren PKW stehen unsere Spieler schon aufgrund der gerade für kleine Kinder gefährlichen Verkehrssituation für Autogrammwünsche nicht zur Verfügung. (http://www.bvb.de/News/Termine)

In München kann man übrigens beobachten, dass sich Pep Guardiola die weisen Ratschläge der Herrn Bieberstein aber mal so richtig zu Herzen genommen hat. Aus dem Trainingsplan:

01.10. Training Kein öffentliches Training

02.10. Training Kein öffentliches Training
03.10. Training Kein öffentliches Training
05.10. Training  – 11:00 Uhr Training
(http://www.fcbayern.de/de/news/termine/#_termine)
Wie bereits am Anfang erwähnt, verstehe ich nicht, warum in Hamburg nicht möglich sein kann, was in Dortmund, München, Leverkusen etc. völlig normal ist. Wollen wir in Hamburg lieber ein paar Gelangweilten die Chance geben, jeden Morgen den Blutdruck durch Dauergemotze hochzutreiben oder wollen wir Trainer und Mannschaft die Chance geben, professionell zu arbeiten?
Meine Antwort kenne ich bereits.
P.S. Ach ja, lieber HSV. Fragt doch bitte nicht wieder devot bei euren Mitgliedern und Fans, ob ihr das dürft oder ob es erwünscht ist. Macht es einfach! 87% der Mitglieder haben am 25.05. etwas gewählt, was entscheidet und nicht etwas, was sich ständig beugt.