Von Daniel Jovanov
Liebe Leser,
es ist mal wieder Länderspielpause und damit Zeit, sich einem Thema zu widmen, das mir nun seit längerer Zeit auf dem Herzen liegt. Kurz zu meiner Person, für alle, die mich bislang noch nicht kennen: Mein Name ist Daniel Jovanov, 23 Jahre alt und seit 2012 HSV-Reporter für das Online-Portal Goal.com. Während dieser Zeit habe ich sehr viele Eindrücke sammeln und Erfahrungen machen dürfen, die mir viele neue Aufschlüsse auf elementare Fragestellungen im Profifußball und der medialen Berichterstattung gegeben haben.
Um in das Thema einzuführen, möchte ich mit der Frage einsteigen:
„Was ist die Aufgabe eines Journalisten?“
Der DFJV (Deutscher Fachjournalisten Verband) erklärt:
Der Journalist übernimmt verschiedene Funktionen: Journalisten informieren die Öffentlichkeit über Sachverhalte und Vorgänge, die von allgemeiner, politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Bedeutung sind. Damit tragen sie zum Prozess der öffentlichen Meinungsbildung bei und erfüllen somit eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Sie artikulieren für die Öffentlichkeit Sachverhalte und Probleme. […] Wichtige Aufgaben des Journalismus sind damit Kritik und Kontrolle: Manche Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind weniger für die Öffentlichkeit bestimmt, werden aber durch den Journalismus publik gemacht, was dem Gemeinwesen nützlich sein kann. […] Des Weiteren sind Journalisten daran beteiligt, die öffentliche Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen und Ereignisse zu lenken (Agenda Setting), um so die Tagesordnung des öffentlichen Lebens mitzubstimmen. Auch kann Journalismus eine reine Unterhaltungsfunktion übernehmen. Nicht zu unterschätzen ist zudem der bildende Wert des Journalismus: Ein Großteil der Allgemeinbildung wird immer noch durch Massenmedien vermittelt. Journalismus kann aber auch eine sozialisierende und erziehende Wirkung auf die Gesellschaft haben und Einfluss auf Ansichten und letztlich Verhaltensweisen ausüben.
Setzen wir dies nun in Bezug zu einem Reporter, der über den HSV berichtet, leitet sich daraus ab, was NICHT zu seinen Aufgaben zählt: den Verein verteidigen.
Warum schreibe ich das? Innerhalb der letzten zweieinhalb Jahre meiner Tätigkeit als HSV-Reporter wurde von unterschiedlichen Lesern immer wieder der Wunsch formuliert, nicht so kritisch mit dem HSV umzugehen, nicht „immer nur das Negative“ zu suchen, auch mal positiv zu sein und Hoffnung zu verbreiten – auch dann, wenn es dafür keinen Anlass gab. Warum ist das so? Viele Fans des Vereins sind so emotional mit ihm verbunden, dass sein Scheitern oder sein Leid ihre eigene Gefühlslage massiv beeinflusst.
Der Übermittler wird zum Verursacher der schlechten Nachricht
Nun ist es in Hamburg leider seit Jahren so, dass der HSV sich in einer sportlichen Krise befindet, viele Spiele verliert, viele Fehlentscheidungen trifft und in der Öffentlichkeit kein gutes Bild abgibt. In meiner Rolle als Reporter war und ist es meine Aufgabe, zum einen, über die Dinge, die falsch laufen, zu informieren (z.B. der HSV entlässt seinen Trainer) und zum anderen, eine Bewertung und Einschätzung der Lage abzugeben, zu der ich aufgrund meines Zuganges zu Informationen, den meine Leser nicht haben, gelange (z.B. War die Entlassung richtig?). Hier gilt es, zwischen reiner Information und Wertung zu unterscheiden.
Ein Vorfall aus der Praxis verdeutlicht, dass die Gefühlslage der HSV-Fans ihre Unterscheidungsfähigkeit stark trübt:
Der HSV hatte erneut ein Spiel verloren, woraufhin ich auf meiner Facebook-Seite die Statistik zum Spiel postete. Das tue ich deshalb, weil ich glaube, dass viele Leser diese Daten interessieren. Sie stehen öffentlich zur Verfügung und sind kein exklusives Datenmaterial, welches nur Journalisten in die Hände bekommen. Die erste Reaktion darauf lautete sinngemäß:
„Was willst du uns jetzt damit sagen? Willst du den HSV wieder mal schlecht machen? Die Mannschaft hat heute gut gekämpft und unglücklich verloren. Aber nein, ihr von der Presse sucht nur das Haar in der Suppe“
Ich hatte überhaupt nichts bewertet. Ich habe weder etwas behauptet, noch irgendetwas bestritten. Doch allein in der Übermittlung von Daten vermuten einige einen Angriff gegen ihren HSV. Der Wunsch: Wenn mein Verein verliert, dann schreibt doch bitte nicht darüber. Kümmert euch doch um etwas anderes. Schaut doch mal nach Bremen, da läuft es genauso scheiße. Wieso schreibt ihr nicht über die? Wieso wollt ihr nur meinem Verein schaden?
Der Übermittler wird in der Wahrnehmung einiger Leser zum Verursacher der schlechten Nachricht. Im Extremfall, der nicht selten eintritt, wird die Nachricht nicht geglaubt, sie wird als verfälscht oder zu Ungunsten des HSV als verzerrt bzw. gekürzt angesehen. Dieser ablehnenden Haltung liegt folgende Annahme zugrunde:
Die Medien wollen nur Unruhe in den Verein bringen
Eine gewagte These, die sich nur sehr schwer beweisen lässt. Doch zunächst muss definiert werden: Was ist diese Unruhe überhaupt? Wie muss man sich das vorstellen? Welche Konsequenzen hat das auf die handelnden Personen beim HSV? Und wollen die Medien tatsächlich Unruhe in den Verein bringen? Oder schafft der Verein die Unruhe nicht sogar selbst?
Die kritischen Leser begründen ihre These so:
Medien wollen doch nur Klicks. Sie brauchen Auflage. Deshalb schreiben sie eher schlecht als gut über den HSV. Denn schlechte Nachrichten verkaufen sich besser.
Das kann ich in der Tat fast alles so bestätigen. Medien wollen tatsächlich Klicks und Auflage. Aus einem einfachen Grund: Sie müssen überleben, sie sind wirtschaftlich tätig und keine Non-Profit-Organisation. Das Schicksal des Vereins ist ihnen im Zweifel egal. Warum sollte es sie auch interessieren? Interessiert sich der HSV für sie? Macht er sich Sorgen, ob sie morgen den Bach runtergehen? Nein. Was mich wieder zu meiner Klarstellung führt: Medien sind nicht die Verteidiger des HSV. Er ist ganz allein für sein sportliches und wirtschaftliches Abschneiden verantwortlich. Niemand hält ihn von erfolgreicher Arbeit ab. Wenn die Berichterstattung darauf einen Einfluss nimmt, dann hat der HSV einen Fehler gemacht, nicht die Medien. Gründe für positive Berichterstattung hat der HSV indes nicht liefern können. Zumindest nicht viele.
Schauen wir uns aber eine Aussage etwas genauer an: Schlechte Nachrichten verkaufen sich besser
Warum ist das so und welche Konsequenzen hat das für die Medien?
Liegt der Fehler nicht bei den Lesern, die schlechte Nachrichten anklicken und Zeitungen mit großen Bildern und reißerischen Überschriften kaufen? Denn klar ist, dass Medien sich den Interessen ihren Lesern anpassen. Und die scheinen sich sehr stark für negative Berichte zu interessieren. Dass Medien sich im Falle eines Vakuums an negativen Neuigkeiten etwas ausdenken, kann zwar vorkommen, passiert aber nur äußert selten, da der HSV sich dagegen wehren kann. Die Konsequenzen daraus treffen das Medium im Zweifel härter, als sie Vorteile aus einer erfundenen Negativmeldung ziehen.
Dazu erneut ein Beispiel: Immer wieder wird der Wunsch formuliert, sich Randthemen zu widmen und dem Mainstream nicht zu folgen. Schreibe ich nun einen Artikel über Aufstellung, Taktik, Spielanalyse oder Trainingsmethoden, erreiche ich VIEL weniger Leser, als wenn, wie im aktuellen Fall, ein vermeintlicher Kabinenstreit zwischen Lasogga und Behrami dargestellt wird, der es innerhalb kürzester Zeit auf die Top 3 der meistgelesenen News auf Goal.com schafft.
Ich bin als HSV-Reporter in meiner Themenwahl frei, widme mich zum Beispiel in meiner wöchentlichen Kolumne tiefgründigeren Themen und versuche Dinge ausführlich zu analysieren. Doch es hat zwei Jahre gedauert, bis sich meine Kolumne etabliert hat und eine zufriedenstellende Zahl an Lesern erreicht hat, was deutlich macht, dass es für diese Form der Berichterstattung zwar einen Markt gibt, der meiner Einschätzung nach jedoch stark begrenzt ist. Das verleitet mich dennoch nicht zu Übertreibungen und reißerischen Überschriften, obwohl sie meiner Popularität sicher Auftrieb geben würden.
Nun muss sich jeder Medienhasser Folgendes vorstellen: Man sitzt als Redakteur vor der Herausforderung, die wirtschaftlichen Interessen des Mediums bzw. des Verlages mit seinem eigenen Anspruch an journalistische Arbeit in Einklang zu bringen, stellt aber fest, dass Nachrichten mit weniger substanziellem Inhalt, dafür mit mehr Provokation, besser laufen. Wie würdet ihr entscheiden, wie würdet ihr handeln?
Auch im Hinblick auf eure eigene Situation? Schließlich müsst ihr Geld verdienen, eine Familie ernähren, Rechnungen bezahlen. Junge Kollegen, die mehr arbeiten, aber weniger verdienen, sitzen euch ohnehin im Nacken. Der Konkurrenzdruck ist riesig. Viele neue Medien tun sich auf, die Etablierten verlieren wichtige Marktanteile. Das ist eine von mehreren Erklärungen, warum der Kicker, einst als die Bibel der Fußballberichterstattung verehrt, sich in seiner Aufmachung immer weiter der SportBild nähert als umgekehrt.
„Das ist doch Bild-Niveau“
Ich möchte noch mal zu dem Kabinenstreit zwischen Lasogga und Behrami zurückkommen, über den die Bild-Zeitung, übrigens viel unaufgeregter, als von vielen vermutet, in ihrer Samstagsausgabe berichtete. Die ersten Reaktionen darauf:
„Na und? Was soll das jetzt? Das ist doch völlig normal in einer Mannschaft und passiert überall. Außerdem zeigt es doch, dass da Leben in der Bude ist.“
Keiner hat das bestritten. In unserem Bericht auf Goal.com, in dem wir die Bild-Zeitung zitiert haben, fand keine Wertung statt. Ob das nun gut ist oder schlecht – egal. Es ist passiert. Die Medien berichten nun mal über das, was passiert.
Nur die wenigsten haben sich die viel wichtigere Frage gestellt: Woher kommt diese Information? Warum wird sie an die Bild-Zeitung weitergegeben? Die Angeklagten waren die Medien, denen man vorwarf, diese Meldung bewusst zu diesem Zeitpunkt zu veröffentlichen, um besagte Unruhe zu schaffen. Es wurde kaum hinterfragt, dass der Verursacher dieser Nachricht, also ein Maulwurf, diese Information bewusst weitergegeben haben könnte. Bewusst zu diesem Zeitpunkt. Bewusst an das größte Boulevardblatt des Landes. Im Bewusstsein, dass es überall zum Thema wird.
Selbiges geschah vor einigen Wochen, als unmittelbar nach der Mannschaftssitzung durchsickerte, dass Adler seinen Platz in der Startelf verloren hatte.
„Das war ja auch nicht schwer zu erraten. Die Chancen waren 50 zu 50.“
Ja, klar. Man kann glauben, dass die Medien hierbei geraten haben. Die Realität ist aber eine andere. Geglaubt wird in Fällen wie diesen oftmals nur das, was man glauben möchte, nicht, was der Wahrheit entspricht. Selbst für den Hinweis, dass offensichtlich sensible Informationen aus dem Umfeld der Mannschaft an die Presse gelangen, gibt es vonseiten einiger Fans Kritik.
„Kümmere dich um andere Themen und greif den Schrott der Hetzblätter nicht auf. Das ist doch mittlerweile Bild-Niveau hier.“
Der HSV ist eine Religion
Diese Beobachtungen führen mich zu dem Schluss, dass eine nicht zu unterschätzende Anzahl an Lesern einen Glaubenskrieg gegen die Medien führt. Der HSV ist ihr Gott, er ist unantastbar, unfehlbar und jegliche Kritik ist gleichzeitig ein Angriff gegen sie selbst. Und gegen diese Angriffe muss man sich verteidigen. Bist du nicht für uns, bist du automatisch gegen uns. Dass Medien eine gewisse Distanz zu den Dingen, über die sich berichten, einhalten, zudem versuchen, ihre Neutralität wahren und sich weder für noch gegen etwas positionieren, ist in den Augen der Glaubenskrieger unvorstellbar.
Natürlich gibt es Medien, die sich aufgrund der Art ihrer Berichterstattung einen Ruf erarbeitet haben. Davon leben sie zum Teil. Ich möchte überhaupt nicht in Abrede stellen, dass hin und wieder Tendenzen zu erkennen sind. Sie sind allerdings in der Regel eine Reaktion auf die Ereignisse, auf das Verhalten der handelnden Personen, auf sportlichen Erfolg oder gnadenloses Scheitern.
Während der Ausgliederungsdebatte ist die Rolle der Medien meiner Einschätzung nach etwas in den Hintergrund gerückt. Die große Mehrheit, die Unzufriedenen und Frustrierten, hatten in etwas Anderem ihr Feindbild entdeckt. Und dieses Feindbild hat viele, viele Fans und Mitglieder vereint. Es gab eine Gruppe von Extremisten, die mit ihrer Schreckensherrschaft die Allmacht ihres Gottes gefährdeten. Deshalb bildete sich eine neue Gruppe von Extremisten heraus, die die alten Extremisten aus ihren Ämtern verbannte und den neuen Messias Karl Gernandt an die Spitze der Macht beförderte.
„Und das soll Qualitätsjournalismus sein?“
All diejenigen, die meine Berichte verfolgt haben, werden sich erinnern. Meine Meinung zu dem Thema Ausgliederung stand relativ früh fest. Ich glaube, dass der Verein diese Veränderung gebraucht hat. Deshalb habe ich versucht, das Thema gründlich zu analysieren, Vor- und Nachteile zu benennen und aufzuzeigen, dass vieles, woran die Gegner der Ausgliederung geglaubt hatten, nur eine Illusion war. Der e.V. war längst im Würgegriff der Kommerzialisierung.
Doch wer konnte ahnen, wie sich die Geschichte durch die Neubesetzung der Führungsetage entwickelt? Viele Befürchtungen der Ausgliederungsgegner wurden im Laufe des Sommers bestätigt. Vieles von dem, was Rieckhoff, Gernandt und Co versprachen, wurde gebrochen. Der neue Aufsichtsratsvorsitzende stieg zum neuen Pressesprecher auf, grinste in alle sich ihm bietenden Kameras und sorgte mit seinen Aussagen für Diskussionen in den Medien und unter den Fans.
Die HSVPlus-Glaubenskrieger waren irritiert. Zunächst darüber, dass die Medien, die sie in der Ausgliederungsdebatte eigentlich auf ihrer Seite sahen, „plötzlich“ ihren neuen Messias infrage stellten und kritisierten.
„Was ist denn los mit dir? Gernandt hat inhaltlich doch recht. Alles muss auf den Kopf gestellt werden. Das soll Qualitätsjournalismus sein? Ach ja, Sommerloch. Ihr müsst ja jetzt was schreiben. Sorry, von dir habe ich mehr erwartet.“
Eigentlich hatte man erwartet, dass ich und viele andere, die das Vorgehen Gernandts im Sommer kritisierten, die Linie beibehalten und auf der Seite der HSVPlus-Fraktion stehen. Doch das ist nicht die Aufgabe der Journalisten. Dass es zudem wegen der Weltmeisterschaft überhaupt kein Sommerloch gab – egal. Was Qualitätsjournalismus eigentlich sein soll, darauf gibt es noch keine abschließende Antwort. Wahrscheinlich wird das als Qualität angesehen, was dem Bild der Leser am besten passt, und nicht, was der Wahrheit entspricht. Denn Wahrheit ist relativ. Was man nicht glauben will, ist entweder nie passiert, oder eine Erfindung. Und selbst wenn der HSV eine Nachricht bestätigt, war es wahrscheinlich doch nicht so.
Dass hinter all der Kritik an Gernandt und Kühne ein Appell steckte, es anders, nein, es besser zu machen, wird nicht gesehen. Darüber möchte ich mich nicht beschweren, ich stelle nur fest. Niemand wollte nach der wirklich Nerven raubenden Saison 2013 / 2014 den Trainer anzählen. Genau das haben Gernandt und Kühne aber in Gang gesetzt. Sie zu kritisieren, war Blasphemie. Es kristallisierte sich außerdem heraus, dass nicht relevant ist, was gesagt wird, sondern wer es sagt. Ein klassischer Fall von Doppelmoral. Um Inhalte geht es selten.
Dazu ein weiteres Beispiel:
Kürzlich trat das ehemalige Aufsichtsratsmitglied Jürgen Hunke bei Sky90 auf und sagte viele Dinge, die inhaltlich zutreffend und richtig waren.
„Wenn wir früher so aufgetreten wären, hätte man uns in der Luft zerissen.“
Damit hatte Hunke recht. Darf man das aber schreiben, ohne sich einem Shitstorm auszusetzen? Nein, das geht leider nicht. Ich denke allerdings nicht in den Kategorien Freund oder Feind, sondern in richtig oder falsch. Leider sind diese Gedankenmuster in der HSV-Szene typisch. Man definiert sich über Dinge, die man ablehnt und hasst. Das schafft Einheit und Zugehörigkeit. Wenn jedoch über eine „Philosophie“ des Vereins schwadroniert wird, muss diese Haltung dringend hinterfragt werden. Auch im Bezug zu den Medien. Denn sie wird man nicht ändern können, wenn man sich ständig über sie aufregt, auf der anderen Seite aber jedes vermeintlich positive Gerücht und jede Transfermeldung aufsaugt wie ein Schwamm.
Toller Artikel. Öffnet ein bissel die Augen
Fast jeder Berufsstand beklagt fehlende Anerkennung und fehlendes Verständnis. Das geht aber oft einher mit einem Irrtum, was die Perspektive angeht: Medienethik ist Sache der Journalisten, nicht die Aufgabe des Publikums. Auf welcher Grundlage sollte ein lesendes Publikum an normative Vorgaben eines nicht einmal öffentlich legitimierten Journalistenverbandes gebunden sein?
Auch die Überlegungen zur Intentionalität reisserischer Artikel gehen nicht tief genug. Der für die Öffentlichkeit schuldige Journalist reicht einfach den schwarzen Peter an den „wirklichen“ Schuldigen weiter. Zu einfach. Das gab es auch schon vor Jahrzehnten und doch war das „Feedback“ damals anders. Es muß also schon was dran sein daran, dass das (Neue) Medium die Nachricht macht (McLuhan) – und zwar nicht in einem personellen („der war’s“), sondern im strukturellen Sinn.
Verständnis beim lesenden Publikum (ganz ungeachtet der Tatsache, dass auch die guten Blogger ja mitunter Fans haben, die dann für Kritik am Blogger gar kein Verständnis aufbringen) kann ein Journalist nur für Texte verlangen, nicht für Haltungen. Was hier (nicht nur hier) im Rahmen von Medienethik gefordert wird, wäre ein Blankoscheck. Verständlich, aber mit allem Respekt: abgelehnt.
Ich finde, du schießt hier komplett am Ziel vorbei. Es geht in keinster Art und Weise darum, „schwarze Peter“ zu verteilen oder irgendwelche Schuld weiterzugeben. Es geht lediglich darum, dass man für etwas nicht verantwortlich gemacht werden kann, was man nicht herbeigeführt hat. Es kann nicht sein, dass „der Leser“ einen Schreiber dafür zur Rechenschaft ziehen möchte, weil er über etwas Berichtenswertes im Sinne von Nachricht berichtet und den eigentlichen Verursacher der Nachricht, Verein oder Spieler aus der Verantwortung entlässt. Oder noch besser: einfach etwas auszulassen, was im Sinne des Leser nicht hätte geschrieben werden sollen.
Mein Punkt ist, dass die Einstellung „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß“ nicht haltbar ist. Die Rückzugsposition, dass ein Medium nur „Medium“, nur Überträger ist, gibt es nicht mehr; wenn es sie überhaupt jemals gab. Natürlich muß sich ein Autor für seinen Text grundsätzlich zur Rechenschaft ziehen lassen – juristisch und moralisch. Diskutabel ist im Einzelfall immer das Gewicht der Veranwortung. Und das ist es, worum es gehen sollte, wenn man sich überhaupt an Nachrichten wie einer Kabinenrauferei aufhängt.
Und an dieser Stelle fällt mir in den letzten Wochen bei vielen reflektierenden Anmerkungen von Journalisten im HSV Umfeld auf, dass sie unter dem offensichtlichen Druck einen Verständnisvorschuß für ihre Tätigkeit fordern, den ich grundsätzlich für unangemessen halte. (Ich würde als Außenstehender sogar vermuten, dass gerade die sportliche und administrative Talsohle zwar eine Menge leicht zu produzierender Artikel erlaubt, aber den Druck auf die Schreiber über die sozialen Medien im Gegenzug stark erhöht hat – ich würde es selbst dem größten Zyniker in der Branche abnehmen, wenn er sich wieder ruhigere Zeiten rund um den HSV wünscht).
Der Verständnisvorschuß, oder oben vielleicht eher unschön „Blankoscheck“ genannt: Dein Argument ist, dass evtl. zu erwartender öffentlicher Druck nicht darüber entscheiden darf, ob eine Nachricht gebracht wird oder nicht. Daniel Jovanov spricht in seinem Text vom Informationsvorsprung des Journalisten, der durch seinen privilegierten Zugang entscheiden kann, was gebracht wird und was nicht. Das begründet eine ziemliche informelle Vertrauensstellung, die dem Journalisten von der Öffentlichkeit eingeräumt werden muß, denn diese Position ist dann nicht hinterfragbar: Der Journalist könnte immer noch etwas mehr wissen, was alles in ganz anderem Licht erscheinen lassen würde. Kontrolle wird durch Vertrauen ersetzt, was nur deswegen akzeptabel ist, weil die Medien sich noch gegenseitig kontrollieren können. Das Publikum erwägt die Wahrheit oder besser gesagt die Situation durch den Vergleich und seinen eigenen Austausch über die Medien und gibt oder entzieht Vertrauen – zumeist graduell, nicht prinzipell. Nach meinem Verständnis hat sich der Journalismus hier nicht mehr mit normativen Ansprüchen einzumischen (sondern allenfalls mit Diskussionsangeboten. Aber gerade deswegen stößt das vermeintliche Autoritätsargument mit dem Journalistenverbandszitat mir auch auf).
Das „Medium“ Journalist sollte man nicht mehr als technisches Übermittlungs-Neutrum vorstellen, schon gar nicht nach Wetterlage, weil es gerade mal in den Kram paßt – tatsächlich sehe ich keinen einzigen HSV Berichterstatter, der nicht massiv mit Meinungen arbeitet. Sondern als aktiven Vermittler und Verknüpfer, und genau diese Funktioen steht dann auch auf dem Prüfstand. Über die Texte – das ist alles, woran die Öffentlichkeit sich halten kann. Medienschelte ist demokratischer Diskurs, auch wenn’s weh tut.
Dass manche der Anfeindungen überflüssig, nicht weiterführend oder mitunter sogar ein Fall für BGB/StGB sind, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Hallo Daniel .
Dein Beitrag finde ich super , so wie deine anderen Berichte auch . Sie sind sachlich, zeigen einen anderen Blickwinkel auf und regen zum Denken an .
Ein Satz hat es mir doch angetan den ich bei anderer Presse vermisse der leider der Klicks usw. geschuldet ist :
„Journalismus kann aber auch eine sozialisierende und erziehende Wirkung auf die Gesellschaft haben und Einfluss auf Ansichten und letztlich Verhaltensweisen ausüben.“
Warum es leider so gemacht wird hast du hier ja gut und ausführlich erklärt .
Ein bericht wie der HSV besser mit der Presse umgehen , sie nutzen könnte würde mich sehr interessieren .
Außerdem was die Tätigkeit von Jörn Wolf als Pressesprecher beim HSV angeht .
Mach weiter so , es bereitet mir immer Freude deine Berichte zu lesen .
Vielleicht kurz zur Erklärung: Daniel hat den heutigen Blog als Gastbeitrag geschrieben, weil wir uns über dieses Thema seit Monaten intensiv austauschen. Aus dem Grund wollte ich ihm gern eine Plattform außerhalb goal.com bieten, um seine Gedanken zu äußern. Trotzdem wird dies eine Ausnahme bleiben und Daniel weiterhin seine Kolumnen auf goal.com verfassen.
Hallo Herr Jovanov,
Danke für diesen aufschlussreichen Artikel.
Ich kann viele Ihrer Standpunkte nachvollziehen. Sie haben sich mit Ihren Artikeln bei Goal.com wohltuend von der Masse der Journalisten abgehoben. Distanziert, kritisch aber niemals polemisch oder reißerisch.
Natürlich dürstet es den geplagten HSV Anhänger nach all den turbulenten und erfolglosen Jahren endlich nach guten Nachrichten. Objektivität ist sowieso nicht die größte Stärke des Fußballfans und das ist gut so, denn Fußball ist immer noch Leidenschaft und Emotion.
Dass der Überbringer der schlechten Nachricht für selbige verantwortlich gemacht wird ist kein Phänomen das auf den Fußball oder speziell Hamburg reduziert ist. Das geht selbst Moderatoren von Wetterberichten so.
Beleidigungen, Beschimpfungen etc. sind in diesem Zusammenhang allerdings ein absolutes No-Go.
Was mich wundert ist dass es immer weniger Sportjournalisten gibt, die sich mit dem Spiel an sich befassen, sondern dass es immer mehr um Themen außerhalb des Platzes geht. Wenn ich mir die Fragen auf den Presskonferenzen anhöre, dann frage ich mich gelegentlich ob die anwesenden Journalisten überhaupt etwas von Strategien, Aufstellungen, usw. hören wollen, oder ob das nur noch Randthemen sind mit denen sich keiner befassen will (kann), weil sie keine Auflage (Klicks) bringen.
Heißt für mich: es entsteht der Eindruck, dass man zu so einer Pressekonferenz auch den Praktikanten oder den Kollegen vom Kleinanzeigenmarkt schicken kann, und keiner merkt es.
Schlägt man die Sport Bild auf dann findet sich diese „Qualität“ dort wieder. Vieles ist einfach nur Klatsch, Tratsch und Belangloses im bester Regenbogenpresse-Manier. Dass der Kicker sich diesem Trend zur Oberflächlichkeit angeschlossen hat ist mehr als traurig, denn ich glaube, dass es sehr wohl einen Kundenkreis gibt, der bereit ist für gute Inhalte zu bezahlen.
Das Konzept des Kicker ist in meinem Falle jedenfalls nicht aufgegangen, denn ich kaufe ihn nicht mehr.
Sie schauen sicherlich auch öfter mal über den Hamburger Tellerrand. Ist es denn aus Ihrer Sicht ein spezielles Hamburger Problem, dass Medienlandschaft und Fans so hysterisch wirken ?
Beste Grüße !
Ohne einer eventuellen Antwort durch Daniel vorgreifen zu wollen, aber das Phänomen „seichte Themen vs Taktik, Technik etc.“ hat er doch angesprochen. Die Medien berichten über die Themen, die von dem Großteil der Zuschauer/Leser gewünscht werden. Tun sie das nicht, sind die Nutzer weg. Und unglücklicherweise möchte ein Großteil der User nun mal offenbar Blut, Kabinenschlägerei und Trainingszoff und weniger taktische Details lesen.
Vielen Dank für diesen hochinteressanten Gastbeitrag. Und ich ziehe den Hut davor, wie man mit „erst“ 23 Jahren so abgeklärt, sachlich und informativ schreiben kann. Ich muss gestehen, ich lese so ziemlich alles über den HSV und versuche, mir mein eigenes Urteil zu bilden. Bei reisserischen Überschriften lese ich oft den weiteren Text gar nicht, weil es mich nicht die Bohne interessiert, was ein Joe Zinnbauer dazu sagt, dass er mit Klopp verglichen wird usw. Wenn ich mir die Pressekonferenzen anschaue, höre ich gespannt zu, wenn JZ etwas zur Taktik, zur Mannschaft oder zur Weiterentwicklung sagt. Viele der Fragen, die sich um Randthemen handeln, finde ich einfach nur peinlich – da setzt schon am Bildschirm der Modus „Fremdschämen“ ein… Aber sicherlich gibt es anscheinend genügend Leser, die sich dafür interessieren und selbst in meinem Bekanntenkreis rennen einige rum und geben den Mumpitz weiter, den sie irgendwo aufgeschnappt haben. Nachvollziehbar ist auch, dass die Printmedien ihre Auflage halten müssen und das produzieren, was sich am besten verkauft. Früher war der Kicker für mich wirklich das ein und alles, weil er – zumindest für mein Empfinden – für seriöse und gut recherchierte Berichterstattung stand. Leider scheint das auch nicht mehr der Fall zu sein.
Kurzum: danke für die Aufklärung und macht weiter so – alle beide! Und lasst Euch von den anonymen, der deutschen Rechtschreibung meist nicht mächtigen Vollhonks nicht den Tag versauen 😉
Ja, auch von mir ein Danke für diesen Beitrag, ich finde es gut, dass die beiden Don Quichotes im Hamburger Mediendschungel an einem Strang ziehen.
Ihr beiden seid die einzigen Journalisten, Blogger, Kommentatoren, Meinungsmacher, was auch immer, die das Prädikat Lesenswert verdienen. Der Gegenpol zum Rest des Mainstreams und zum Oberblogger Matz.
Dennoch muss ich festhalten, mir persönlich gefallen die Beiträge von Grave besser, mir erscheinen sie informativer, vielleicht weil sie täglich erscheinen, man die Unabhängigkeit ganz klar herauslesen kann, oder sogar aufgrund der deftigeren Wortwahl. Ich erinnere nur an die berüchtigte Rektal Amöbe!
Ich kann nur hoffen, diese Art der Berichterstattung rund um den HSV bleibt mir noch lange erhalten, weil auch ich dem sonstigen Hamburger Fußballjournalismus längst den Rücken gekehrt habe.
Auch von mir Dank für die Innenansichten eines Journalisten.
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Im allgemeinen halte ich es für brotlose Kunst gesamtgesellschaftliche Probleme isoliert auf einen Fokus zu betrachten.
Fußball ist das Circenses unserer Tage. Während der Mensch ansonsten regelrecht auf rationales Verhalten dressiert wird ist im Fußball die Emotion nicht nur gewünscht, sondern sie wird gefordert.
Nicht umsonst ziert sich die FIFA technische Möglichkeiten zur Verhinderung von Fehlentscheidungen einzusetzen. Es wäre seit über 20 Jahren möglich Spiele ohne Fehlurteil über die Bühne zu bringen, da braucht es keinen Chip im Ball, da reicht der Oberschiedsrichter neben dem Reporter.
Doch das nicht anerkannte Tor gehört zu den Emotionen im Stadion, ebenso wie falsche Abseitsentscheidungen. Denn Geld ist nur Schmierstoff im Fußballgetriebe, Emotionen halten das ganze zusammen. Denn nur Emotionen kaufen die Merchandisingprodukte der Vereine und Sponsoren. Denn rational betrachtet würde sich jeder an Kopf fassen, träfe er einen 40 jährigen mit „Dieckmeier“ Kluft auf einer Vernissage.
Und von diesen Emotionen lebt auch der komplette Sportjournalismus. Ansonsten wäre Goal.com oder auch Kicker.online genauso spannend wie die „Deutsche Börsenzeitung“. Was bliebe ohne Emotion außer Tabellen und Ergebnisdienst?
Das benannte Beispiel der angeblichen Kabinenstreitigkeit zwischen Behrami und Lasogga bedient die Kundschaft aufs Trefflichste. Mal ehrlich, nur eine Meldung? Nein, mit Sicherheit nicht, denn Zoff in der Kabine wird nicht vermeldet aus Politik, Industrie oder der Kirchensynode. Zoff als Meldung ist nur interessant im Umfeld Sport. Dort suggeriert Zoff Dynamik, Bewegung, Action. Ansonsten ist Zoff in Deutschland Anzeichen von Zerstrittenheit und damit kann der Deutsche mal gar nichts anfangen.
Das in einer Welt, die Emotionen und Gefühle so streng reglementiert, in einer Welt, in der es Psychiater gibt, die Menschen, welche länger als 2 Wochen um einen Verstorbenen trauern, den Gang zum Artzt empfehlen, da kann Fußball insbesondere bei persönlichen Mißerfolgen schnell zur Ersatzreligion verkommen.
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Was deine negativen Erfahrungen bei Facebook angeht, sollte doch gerade einem Journalisten aufgefallen sein , daß die Diskussionskultur im Internet, falls sie überhaupt je gab, schon geraume Zeit dahin gegangen ist.
Wer sich offenen Auges in Internetforen umtut wird schnell feststellen, daß kaum noch ein Mensch an Diskussion interessiert ist. Spätestens ab dem 20. Beitrag trifft man auf immer die selben Leute, die sich gegenseitig ihre Meinung bestätigen. Unabhängig ob man sich in einem Auto-, Poltik-, oder Fußballforum befindet. Für diese Leute ist die Welt dann auch entsprechend klar und einfach, schwarz oder weiß, für sie oder gegen sie, kein Kompromiß.
Dieses Phänomen kenne ich aber mittlerweile auch aus dem privaten Umfeld. Entweder es wird gleich abgewunken oder es endet im Streit.
Schön zusammengefasst! So enthält der Beitrag von DJ in meinen Augen auch eine kleine Prise Weinerlichkeit nach dem Motto: „Eigentlich will ich in einem Fachmagazin für Fachleute publizieren, aber da ich jung bin und das Geld brauche, befriedige ich notgedrungen den gemeinen Pöbel.“
Um deinetwegen hoffe ich, dass du diesen Dreck ironisch gemeint hast
Ich meine nur, daß es nicht ganz so einfach ist wie DJ, dessen Einschätzungen ich in seinen Artikeln sonst sehr schätze, es hier geschrieben hat. BerndH60 hat neben seiner auch zufällig meine eigene Meinung in diesem Fall recht ausführlich auf den Punkt gebracht. Warum ich nun von Dir ein “Maul in der dritten Reihe” fange, erschließt sich mir nicht.
Ich finde diesen Beitrag auf einen Blog, für den sich jemand verdammt viel Mühe gemacht hat, damit jemand wie du ihn kostenlos lesen kann, absolut daneben und hochgradig respektlos. Das beginnt mit „Weinerlichkeit“ und hört mit „gemeinem Pöbel“ auf.
Hallo Gravesen,
meinen falsch adressierten Post von 19:50 kann ich leider nicht selbst löschen.
Entschuldigung. Ich wollte nie despektierlich klingen. Ich freue mich über Deinen Blog und lese ihn sehr gerne. Ansonsten schrieb ich vo