Von Daniel Jovanov

Liebe Leser,

es ist mal wieder Länderspielpause und damit Zeit, sich einem Thema zu widmen, das mir nun seit längerer Zeit auf dem Herzen liegt. Kurz zu meiner Person, für alle, die mich bislang noch nicht kennen: Mein Name ist Daniel Jovanov, 23 Jahre alt und seit 2012 HSV-Reporter für das Online-Portal Goal.com. Während dieser Zeit habe ich sehr viele Eindrücke sammeln und Erfahrungen machen dürfen, die mir viele neue Aufschlüsse auf elementare Fragestellungen im Profifußball und der medialen Berichterstattung gegeben haben.

Um in das Thema einzuführen, möchte ich mit der Frage einsteigen:

„Was ist die Aufgabe eines Journalisten?“

Der DFJV (Deutscher Fachjournalisten Verband) erklärt:

Der Journalist übernimmt verschiedene Funktionen: Journalisten informieren die Öffentlichkeit über Sachverhalte und Vorgänge, die von allgemeiner, politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Bedeutung sind. Damit tragen sie zum Prozess der öffentlichen Meinungsbildung bei und erfüllen somit eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Sie artikulieren für die Öffentlichkeit Sachverhalte und Probleme. […] Wichtige Aufgaben des Journalismus sind damit Kritik und Kontrolle: Manche Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind weniger für die Öffentlichkeit bestimmt, werden aber durch den Journalismus publik gemacht, was dem Gemeinwesen nützlich sein kann. […] Des Weiteren sind Journalisten daran beteiligt, die öffentliche Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen und Ereignisse zu lenken (Agenda Setting), um so die Tagesordnung des öffentlichen Lebens mitzubstimmen. Auch kann Journalismus eine reine Unterhaltungsfunktion übernehmen. Nicht zu unterschätzen ist zudem der bildende Wert des Journalismus: Ein Großteil der Allgemeinbildung wird immer noch durch Massenmedien vermittelt. Journalismus kann aber auch eine sozialisierende und erziehende Wirkung auf die Gesellschaft haben und Einfluss auf Ansichten und letztlich Verhaltensweisen ausüben.

Setzen wir dies nun in Bezug zu einem Reporter, der über den HSV berichtet, leitet sich daraus ab, was NICHT zu seinen Aufgaben zählt: den Verein verteidigen.

Warum schreibe ich das? Innerhalb der letzten zweieinhalb Jahre meiner Tätigkeit als HSV-Reporter wurde von unterschiedlichen Lesern immer wieder der Wunsch formuliert, nicht so kritisch mit dem HSV umzugehen, nicht „immer nur das Negative“ zu suchen, auch mal positiv zu sein und Hoffnung zu verbreiten – auch dann, wenn es dafür keinen Anlass gab. Warum ist das so? Viele Fans des Vereins sind so emotional mit ihm verbunden, dass sein Scheitern oder sein Leid ihre eigene Gefühlslage massiv beeinflusst.

Der Übermittler wird zum Verursacher der schlechten Nachricht

Nun ist es in Hamburg leider seit Jahren so, dass der HSV sich in einer sportlichen Krise befindet, viele Spiele verliert, viele Fehlentscheidungen trifft und in der Öffentlichkeit kein gutes Bild abgibt. In meiner Rolle als Reporter war und ist es meine Aufgabe, zum einen, über die Dinge, die falsch laufen, zu informieren (z.B. der HSV entlässt seinen Trainer) und zum anderen, eine Bewertung und Einschätzung der Lage abzugeben, zu der ich aufgrund meines Zuganges zu Informationen, den meine Leser nicht haben, gelange (z.B. War die Entlassung richtig?). Hier gilt es, zwischen reiner Information und Wertung zu unterscheiden.

Ein Vorfall aus der Praxis verdeutlicht, dass die Gefühlslage der HSV-Fans ihre Unterscheidungsfähigkeit stark trübt:

Der HSV hatte erneut ein Spiel verloren, woraufhin ich auf meiner Facebook-Seite die Statistik zum Spiel postete. Das tue ich deshalb, weil ich glaube, dass viele Leser diese Daten interessieren. Sie stehen öffentlich zur Verfügung und sind kein exklusives Datenmaterial, welches nur Journalisten in die Hände bekommen. Die erste Reaktion darauf lautete sinngemäß:

„Was willst du uns jetzt damit sagen? Willst du den HSV wieder mal schlecht machen? Die Mannschaft hat heute gut gekämpft und unglücklich verloren. Aber nein, ihr von der Presse sucht nur das Haar in der Suppe“

Ich hatte überhaupt nichts bewertet. Ich habe weder etwas behauptet, noch irgendetwas bestritten. Doch allein in der Übermittlung von Daten vermuten einige einen Angriff gegen ihren HSV. Der Wunsch: Wenn mein Verein verliert, dann schreibt doch bitte nicht darüber. Kümmert euch doch um etwas anderes. Schaut doch mal nach Bremen, da läuft es genauso scheiße. Wieso schreibt ihr nicht über die? Wieso wollt ihr nur meinem Verein schaden?

Der Übermittler wird in der Wahrnehmung einiger Leser zum Verursacher der schlechten Nachricht. Im Extremfall, der nicht selten eintritt, wird die Nachricht nicht geglaubt, sie wird als verfälscht oder zu Ungunsten des HSV als verzerrt bzw. gekürzt angesehen. Dieser ablehnenden Haltung liegt folgende Annahme zugrunde:

Die Medien wollen nur Unruhe in den Verein bringen

Eine gewagte These, die sich nur sehr schwer beweisen lässt. Doch zunächst muss definiert werden: Was ist diese Unruhe überhaupt? Wie muss man sich das vorstellen? Welche Konsequenzen hat das auf die handelnden Personen beim HSV? Und wollen die Medien tatsächlich Unruhe in den Verein bringen? Oder schafft der Verein die Unruhe nicht sogar selbst?

Die kritischen Leser begründen ihre These so:

Medien wollen doch nur Klicks. Sie brauchen Auflage. Deshalb schreiben sie eher schlecht als gut über den HSV. Denn schlechte Nachrichten verkaufen sich besser.

Das kann ich in der Tat fast alles so bestätigen. Medien wollen tatsächlich Klicks und Auflage. Aus einem einfachen Grund: Sie müssen überleben, sie sind wirtschaftlich tätig und keine Non-Profit-Organisation. Das Schicksal des Vereins ist ihnen im Zweifel egal. Warum sollte es sie auch interessieren? Interessiert sich der HSV für sie? Macht er sich Sorgen, ob sie morgen den Bach runtergehen? Nein. Was mich wieder zu meiner Klarstellung führt: Medien sind nicht die Verteidiger des HSV. Er ist ganz allein für sein sportliches und wirtschaftliches Abschneiden verantwortlich. Niemand hält ihn von erfolgreicher Arbeit ab. Wenn die Berichterstattung darauf einen Einfluss nimmt, dann hat der HSV einen Fehler gemacht, nicht die Medien. Gründe für positive Berichterstattung hat der HSV indes nicht liefern können. Zumindest nicht viele.

Schauen wir uns aber eine Aussage etwas genauer an: Schlechte Nachrichten verkaufen sich besser

Warum ist das so und welche Konsequenzen hat das für die Medien?
Liegt der Fehler nicht bei den Lesern, die schlechte Nachrichten anklicken und Zeitungen mit großen Bildern und reißerischen Überschriften kaufen? Denn klar ist, dass Medien sich den Interessen ihren Lesern anpassen. Und die scheinen sich sehr stark für negative Berichte zu interessieren. Dass Medien sich im Falle eines Vakuums an negativen Neuigkeiten etwas ausdenken, kann zwar vorkommen, passiert aber nur äußert selten, da der HSV sich dagegen wehren kann. Die Konsequenzen daraus treffen das Medium im Zweifel härter, als sie Vorteile aus einer erfundenen Negativmeldung ziehen.

Dazu erneut ein Beispiel: Immer wieder wird der Wunsch formuliert, sich Randthemen zu widmen und dem Mainstream nicht zu folgen. Schreibe ich nun einen Artikel über Aufstellung, Taktik, Spielanalyse oder Trainingsmethoden, erreiche ich VIEL weniger Leser, als wenn, wie im aktuellen Fall, ein vermeintlicher Kabinenstreit zwischen Lasogga und Behrami dargestellt wird, der es innerhalb kürzester Zeit auf die Top 3 der meistgelesenen News auf Goal.com schafft.

Ich bin als HSV-Reporter in meiner Themenwahl frei, widme mich zum Beispiel in meiner wöchentlichen Kolumne tiefgründigeren Themen und versuche Dinge ausführlich zu analysieren. Doch es hat zwei Jahre gedauert, bis sich meine Kolumne etabliert hat und eine zufriedenstellende Zahl an Lesern erreicht hat, was deutlich macht, dass es für diese Form der Berichterstattung zwar einen Markt gibt, der meiner Einschätzung nach jedoch stark begrenzt ist. Das verleitet mich dennoch nicht zu Übertreibungen und reißerischen Überschriften, obwohl sie meiner Popularität sicher Auftrieb geben würden.

Nun muss sich jeder Medienhasser Folgendes vorstellen: Man sitzt als Redakteur vor der Herausforderung, die wirtschaftlichen Interessen des Mediums bzw. des Verlages mit seinem eigenen Anspruch an journalistische Arbeit in Einklang zu bringen, stellt aber fest, dass Nachrichten mit weniger substanziellem Inhalt, dafür mit mehr Provokation, besser laufen. Wie würdet ihr entscheiden, wie würdet ihr handeln?

Auch im Hinblick auf eure eigene Situation? Schließlich müsst ihr Geld verdienen, eine Familie ernähren, Rechnungen bezahlen. Junge Kollegen, die mehr arbeiten, aber weniger verdienen, sitzen euch ohnehin im Nacken. Der Konkurrenzdruck ist riesig. Viele neue Medien tun sich auf, die Etablierten verlieren wichtige Marktanteile. Das ist eine von mehreren Erklärungen, warum der Kicker, einst als die Bibel der Fußballberichterstattung verehrt, sich in seiner Aufmachung immer weiter der SportBild nähert als umgekehrt.

„Das ist doch Bild-Niveau“

Ich möchte noch mal zu dem Kabinenstreit zwischen Lasogga und Behrami zurückkommen, über den die Bild-Zeitung, übrigens viel unaufgeregter, als von vielen vermutet, in ihrer Samstagsausgabe berichtete. Die ersten Reaktionen darauf:

„Na und? Was soll das jetzt? Das ist doch völlig normal in einer Mannschaft und passiert überall. Außerdem zeigt es doch, dass da Leben in der Bude ist.“

Keiner hat das bestritten. In unserem Bericht auf Goal.com, in dem wir die Bild-Zeitung zitiert haben, fand keine Wertung statt. Ob das nun gut ist oder schlecht – egal. Es ist passiert. Die Medien berichten nun mal über das, was passiert.

Nur die wenigsten haben sich die viel wichtigere Frage gestellt: Woher kommt diese Information? Warum wird sie an die Bild-Zeitung weitergegeben? Die Angeklagten waren die Medien, denen man vorwarf, diese Meldung bewusst zu diesem Zeitpunkt zu veröffentlichen, um besagte Unruhe zu schaffen. Es wurde kaum hinterfragt, dass der Verursacher dieser Nachricht, also ein Maulwurf, diese Information bewusst weitergegeben haben könnte. Bewusst zu diesem Zeitpunkt. Bewusst an das größte Boulevardblatt des Landes. Im Bewusstsein, dass es überall zum Thema wird.

Selbiges geschah vor einigen Wochen, als unmittelbar nach der Mannschaftssitzung durchsickerte, dass Adler seinen Platz in der Startelf verloren hatte.

„Das war ja auch nicht schwer zu erraten. Die Chancen waren 50 zu 50.“

Ja, klar. Man kann glauben, dass die Medien hierbei geraten haben. Die Realität ist aber eine andere. Geglaubt wird in Fällen wie diesen oftmals nur das, was man glauben möchte, nicht, was der Wahrheit entspricht. Selbst für den Hinweis, dass offensichtlich sensible Informationen aus dem Umfeld der Mannschaft an die Presse gelangen, gibt es vonseiten einiger Fans Kritik.

„Kümmere dich um andere Themen und greif den Schrott der Hetzblätter nicht auf. Das ist doch mittlerweile Bild-Niveau hier.“

Der HSV ist eine Religion

Diese Beobachtungen führen mich zu dem Schluss, dass eine nicht zu unterschätzende Anzahl an Lesern einen Glaubenskrieg gegen die Medien führt. Der HSV ist ihr Gott, er ist unantastbar, unfehlbar und jegliche Kritik ist gleichzeitig ein Angriff gegen sie selbst. Und gegen diese Angriffe muss man sich verteidigen. Bist du nicht für uns, bist du automatisch gegen uns. Dass Medien eine gewisse Distanz zu den Dingen, über die sich berichten, einhalten, zudem versuchen, ihre Neutralität wahren und sich weder für noch gegen etwas positionieren, ist in den Augen der Glaubenskrieger unvorstellbar.

Natürlich gibt es Medien, die sich aufgrund der Art ihrer Berichterstattung einen Ruf erarbeitet haben. Davon leben sie zum Teil. Ich möchte überhaupt nicht in Abrede stellen, dass hin und wieder Tendenzen zu erkennen sind. Sie sind allerdings in der Regel eine Reaktion auf die Ereignisse, auf das Verhalten der handelnden Personen, auf sportlichen Erfolg oder gnadenloses Scheitern.

Während der Ausgliederungsdebatte ist die Rolle der Medien meiner Einschätzung nach etwas in den Hintergrund gerückt. Die große Mehrheit, die Unzufriedenen und Frustrierten, hatten in etwas Anderem ihr Feindbild entdeckt. Und dieses Feindbild hat viele, viele Fans und Mitglieder vereint. Es gab eine Gruppe von Extremisten, die mit ihrer Schreckensherrschaft die Allmacht ihres Gottes gefährdeten. Deshalb bildete sich eine neue Gruppe von Extremisten heraus, die die alten Extremisten aus ihren Ämtern verbannte und den neuen Messias Karl Gernandt an die Spitze der Macht beförderte.

„Und das soll Qualitätsjournalismus sein?“

All diejenigen, die meine Berichte verfolgt haben, werden sich erinnern. Meine Meinung zu dem Thema Ausgliederung stand relativ früh fest. Ich glaube, dass der Verein diese Veränderung gebraucht hat. Deshalb habe ich versucht, das Thema gründlich zu analysieren, Vor- und Nachteile zu benennen und aufzuzeigen, dass vieles, woran die Gegner der Ausgliederung geglaubt hatten, nur eine Illusion war. Der e.V. war längst im Würgegriff der Kommerzialisierung.
Doch wer konnte ahnen, wie sich die Geschichte durch die Neubesetzung der Führungsetage entwickelt? Viele Befürchtungen der Ausgliederungsgegner wurden im Laufe des Sommers bestätigt. Vieles von dem, was Rieckhoff, Gernandt und Co versprachen, wurde gebrochen. Der neue Aufsichtsratsvorsitzende stieg zum neuen Pressesprecher auf, grinste in alle sich ihm bietenden Kameras und sorgte mit seinen Aussagen für Diskussionen in den Medien und unter den Fans.

Die HSVPlus-Glaubenskrieger waren irritiert. Zunächst darüber, dass die Medien, die sie in der Ausgliederungsdebatte eigentlich auf ihrer Seite sahen, „plötzlich“ ihren neuen Messias infrage stellten und kritisierten.

„Was ist denn los mit dir? Gernandt hat inhaltlich doch recht. Alles muss auf den Kopf gestellt werden. Das soll Qualitätsjournalismus sein? Ach ja, Sommerloch. Ihr müsst ja jetzt was schreiben. Sorry, von dir habe ich mehr erwartet.“

Eigentlich hatte man erwartet, dass ich und viele andere, die das Vorgehen Gernandts im Sommer kritisierten, die Linie beibehalten und auf der Seite der HSVPlus-Fraktion stehen. Doch das ist nicht die Aufgabe der Journalisten. Dass es zudem wegen der Weltmeisterschaft überhaupt kein Sommerloch gab – egal. Was Qualitätsjournalismus eigentlich sein soll, darauf gibt es noch keine abschließende Antwort. Wahrscheinlich wird das als Qualität angesehen, was dem Bild der Leser am besten passt, und nicht, was der Wahrheit entspricht. Denn Wahrheit ist relativ. Was man nicht glauben will, ist entweder nie passiert, oder eine Erfindung. Und selbst wenn der HSV eine Nachricht bestätigt, war es wahrscheinlich doch nicht so.

Dass hinter all der Kritik an Gernandt und Kühne ein Appell steckte, es anders, nein, es besser zu machen, wird nicht gesehen. Darüber möchte ich mich nicht beschweren, ich stelle nur fest. Niemand wollte nach der wirklich Nerven raubenden Saison 2013 / 2014 den Trainer anzählen. Genau das haben Gernandt und Kühne aber in Gang gesetzt. Sie zu kritisieren, war Blasphemie. Es kristallisierte sich außerdem heraus, dass nicht relevant ist, was gesagt wird, sondern wer es sagt. Ein klassischer Fall von Doppelmoral. Um Inhalte geht es selten.

Dazu ein weiteres Beispiel:

Kürzlich trat das ehemalige Aufsichtsratsmitglied Jürgen Hunke bei Sky90 auf und sagte viele Dinge, die inhaltlich zutreffend und richtig waren.

„Wenn wir früher so aufgetreten wären, hätte man uns in der Luft zerissen.“

Damit hatte Hunke recht. Darf man das aber schreiben, ohne sich einem Shitstorm auszusetzen? Nein, das geht leider nicht. Ich denke allerdings nicht in den Kategorien Freund oder Feind, sondern in richtig oder falsch. Leider sind diese Gedankenmuster in der HSV-Szene typisch. Man definiert sich über Dinge, die man ablehnt und hasst. Das schafft Einheit und Zugehörigkeit. Wenn jedoch über eine „Philosophie“ des Vereins schwadroniert wird, muss diese Haltung dringend hinterfragt werden. Auch im Bezug zu den Medien. Denn sie wird man nicht ändern können, wenn man sich ständig über sie aufregt, auf der anderen Seite aber jedes vermeintlich positive Gerücht und jede Transfermeldung aufsaugt wie ein Schwamm.