Historisch, ein Debakel, das Ende aller Hoffnung. Deutschland verliert in Warschau gegen Polen mit 0:2. Zum ersten Mal überhaupt verliert die deutsche Nationalmannschaft gegen Polen und zum ersten Mal seit 8 Jahren verliert Deutschland wieder ein Qualifikationsspiel? Apokalypse!

Selbstverständlich verteilt die BILD gefühlte 40 Sekunden nach Spielschluss Vieren, Fünfen und Sechsen, aber sonst wäre sie auch nicht die BILD. Für eine entsprechende Analyse ist nicht genug Platz und für eine bessere Betrachtungsweise sind die „Journalisten“ zu schlecht. Also werden die finstersten Schulnoten gezückt und der Zorn der unterbelichteten Leser befriedigt.

Am Ende bleibt eine Niederlage gegen einen Gegner, den man jederzeit unter Kontrolle hatte und der in 90 Minuten gefühlte 3 Mal vor das deutsche Tor kam. Die Tatsache, dass es trotzdem zu einem 2:0 für spielerisch überaus limitierte Polen reichte, wirft Fragen auf, die jedoch zu beantworten sind. Ein Weltuntergang ist in jedem Fall etwas anderes.

Zuerst einmal ist mir bereits in den Spielen gegen Argentinien und Schottland aufgefallen, dass viele Spieler mental „leer“ wirken, was allerdings völlig normal ist. Die Qualifikation für die WM, die Vorbereitung, der hausgemachte Druck, den vierten Stern holen zu müssen  – all das hat extrem viel Kraft gekostet, womit ich nicht die körperliche Kraft meine. Die jungen Spieler waren über Monate einem ungeheuren Konzentrations-Stress ausgesetzt, wenn man bedenkt, dass bei jedem Einzelnen noch der eigene Verein mit Bundesligaspielen, Pokalspielen, Champions-League-Spielen, Meisterschafts-Endspurt, Abstiegsangst, Qualifikation für das internationale Geschäft etc. erschwerend hinzukommt.

Erreicht man dann das angestrebte Ziel, passieren zwei Dinge. Zuerst einmal setzt eine ungeheure Freude und Erleichtung ein, man ist am Ziel. Auf der anderen Seite fällt der gesamte Stress, die Versagensängste etc. mit einem Mal ab und man fällt in ein Loch, man ist mental komplett ausgelaugt. Diese mentale Erschöpfung führt häufig unmittelbar zu körperlichen Gebrechen, weil die Anspannung abfällt. Jeder von uns hat es bestimmt schon einmal erlebt, dass er immer dann krank wird, wenn er im Urlaub ist. Der Geist und der Körper entkrampfen sich und die versteckten kleinen Gebrechen kommen zum Vorschein. Das Phänomen sehen wir jetzt.

Außerdem wird bei dem einen oder anderen Spieler so etwas wie ein Sättigungsprozess einsetzen, selbst dann, wenn er sich dessen gar nicht bewußt ist. Viele deutsche Nationalspieler haben mit relativ jungen Jahren alles erreicht, sind Meister, Pokalsieger, Champions-League-Sieger und jetzt Weltmeister geworden. Auch wenn sich das niemand eingestehen möchte, bei dem einen oder anderen ist der letzte Druck raus und das ist absolut menschlich. Nicht umsonst versucht Jogi Löw diesen Prozess dadurch aufzuhalten, indem er bereits jetzt Spieler wie Bellarabi, Rüdiger, Durm (obwohl der natürlich Weltmeister ist), Rudy etc. einbaut, um für frischen Wind zu sorgen.

Nicht vergessen darf man, dass mit Spielern wie Lahm, Mertesacker und Klose absolute Weltklassespieler auf dem Höhepunkt ihrer Karriere ihre Nationalmannschaftskarriere beendet haben. Besonders der Verlust es polivalenten Kapitäns Philipp Lahm ist kurzfristig nicht aufzufangen, was für die Mannschaft auf dem Feld, aber auch in der Kabine und auf dem Trainingsplatz gilt.

Mit Marco Reus, Benedikt Höwedes, Mario Gomez, Marcel Schmelzer, Bastian Schweinsteiger, Ilkay Gündogan, Sami Khedira, Mesut Özil fehlten gestern eine Reihe von Stammkräften, die nicht 1:1 ersetzt werden können.

Erwähnen muss man auch, dass man unmittelbar nach Abpfiff des WM-Endspiels der Gejagte ist. Jeder Gegner gibt ab sofort nochmal 10% mehr, weil er nahezu jede Pleite mit einem Sieg gegen den Weltmeister vergessen machen kann.

Und – was man nicht vergessen sollte: Das deutsche Spiel scheint entschlüsselt zu sein. Konnte man vor einigen Jahren erkennen, dass sich die Gegner der spanischen Nationalmannschaft immer öfter auf den iberischen Ballbesitzfußball einstellen konnten, scheint nun etwas Ähnliches mit der deutschen Nationalmannschaft zu passieren. Man presst aggressiv gegen den ballführenden Spieler, igelt sich hinten rein und hofft auf die zwei oder drei Konterchancen. Gelingt den Deutschen dann kein Führungstreffer, kann es reichen.

Für die deutsche Mannschaft wird es nötig sein, einen Plan B und einen Plan C zu entwickeln, weil man ansonsten auch gegen Gegner wie Irland oder Island Probleme bekommen wird. Laufen können sie alle und im Zweifelsfall können sie härter und konsequenter zu Werke gehen als eine deutsche Elf, die gestern nahzu körperlos agierte und meinte, man könnte die Polen lediglich mit spielerischen Mitteln in die Knie zwingen.

Der Weg zur EM wird garantiert schwieriger als der Weg zur WM nach Brasilien, aber am Ende gewinnen immer die Deutschen 😉

Euch einen schönen Sonntag.