Eigentlich ist es außerordentlich vorhersehbar, was heute gegen ca. 14.45 Uhr im Volkspark passieren wird. Hakan Calhanoglu wird, sollte er denn rechtzeitig fit werden, den Platz zum Warmmachen betreten und ein orkangleiches Pfeifkonzert wird losbrechen. Dieses Pfeifkonzert wird jedesmal dann erneut aufbrausen, wenn sich der Deutsch-Türke dem Ball nähert, wenn sein Name genannt wird, eigentlich immer dann, wenn irgendwas passiert, was mit „C“ beginnt.

Ich habe für die Reaktion der HSV-Fans absolutes Verständnis, denn auch ich war damals stocksauer, als Hakan scheinbar sein Versprechen brach und anschließend nicht einmal davor zurückschreckte, eine Psychologin in Heidelberg aufzusuchen, die ihn aufgrund mentaler Probleme wochenlang krankschrieb. Besonders vor dem Hintergrund der Geschehnisse um Robert Enke, Babak Rafati und andere, welche pychischen  Gründe hatten, ein unglaublicher Vorgang.

Dennoch sollte man sich vieleicht doch noch einmal Gedanken darüber machen, was passiert, wenn man Calhanolgu heute versucht niederzumachen. Was gewinnt der einzelne Fan und vor allem, was gewinnt der HSV durch diese Aktion?

Sicher, die Fans werden ihren Frust los, aber glaubt eigentlich irgendjemand, dass sich Hakan Calhanoglu davon irritieren läast? Im Gegenteil, er wird anschließend, nachdem Bayer Leverkusen durch ein Freistoßtor des Verhassten mit einem Sieg zurück ins Rheinland fährt, Fotos von sich auf Twitter, Instagram etc. posten, die ihn zeigen, wie er sich als Sieger empfindet.

„Seht her, ihr Pfeifen, ich habe es geschafft. Ihr könnt mich nicht kleinkriegen“

Außerdem wird ihn diese Reaktion der HSV-Fans, die großartige 90 min lang ihren Hass artikulieren durften, davon überzeugen, dass es eben genau der richtige Schritt war, der Hansestadt den Rücken zu kehren. Neben den sportlichen und finanziellen Perspektiven natürlich.

Und, mal Hand auf’s Herz, wer glaubt eigentlich tatsächlich, dass es Hakans eigene Idee war, unbedingt nach Leverkusen wechseln zu müssen, zum Psychologen zu gehen oder sich im Sportstudio um Kopf und Kragen zu reden? Der Junge ist 20 Jahre alt, ein großartiger Fußball und eine absolute Weichbirne. Er ist unfassbar schlecht beraten und wird allein aufgrund dieser mangelhaften Beratung relativ schnell an seine Grenzen geraten.

Wenn übrigens irgendein Aufgebrachter heute darauf wartet, dass sich ein HSV-Akteur dieser Sache „annimmt“, muss ich ihn enttäuschen. Nicht wenige HSV-Spieler haben für Calhanoglus Schritt Richtung Leverkusen absolutes Verständnis, würden es wahrscheinlich ähnlich machen und werden den Ex-Mitspieler heute herzlich begrüßen. Der Unmut findet allein auf den Rängen statt.

By the way – die Rolle, die der HSV in dieser Angelegenheit spielt, bleibt weitesgehend unkritisiert. Dabei lege ich meine Hand dafür ins Feuer, dass es die Zusage für einen Wechsel seitens Oliver Kreuzer tatsächlich gab und wenn die SportBild berichtet, dass „Schweber“ Jarchow den Wechsel am Ende noch forcierte, weil man das Geld für den Lasogga-Deal brauchte, glaube ich das ebenfalls.

Spielt aber alles keine Rolle, der Hass der wahren Gläubigen richtet sich gegen Hakan und vielleicht sollte sich ein jeder auch einmal Gedanken darüber machen, inwiefern seine Nationalität eine Rolle hierbei spielt.

Vielleicht, obwohl ich natürlich weiß, dass es nicht passieren wird, wäre eine vollkommen gegensätzliche Reaktion der Fans viel mehr „Bestrafung“ und hätte eine wesentlich weitergehende Wirkung auf Calhanolgu. Was wäre, wenn der Junge heute mit Applaus begrüßt werden würde? Wenn man Transparente sehen könnten, auf denen steht „Danke für deinen Einsatz, Hakan“ oder „Willkommen zurück, Prinz Hakan“? Was wäre, wenn man den Spieler feiern und nicht auspfeifen würde? Die Verwirrung beim Spieler selbst, aber auch bei den Leverkusenern allgemein würde ich gern sehen.

Eine solche Reaktion würde Größe zeigen, sie würde zeigen, dass sich die Masse eben doch nicht vom Boulevard manipulieren und hochschauklen lässt. Sie würde zeigen: „Seht her, wir sind HSV-Fans und wir sind anders als der Pöbel“.

Ehrlich, eine solche Reaktion könnte ich mir beispielsweise von Fans des FC St. Pauli vorstellen, aber vielleicht sind die HSVer „noch nicht so weit“.