Hand auf’s Herz, so richtig darüber gestolpert ist eigentlich niemand, auch ich nicht. „HSVPLUS – Aufstellen für Europa“. So lautete der Claim, den sich, nach eigener Aussage, Ernst-Otto Rieckhoff im stillen Kämmerlein ausgedacht hatte, als er schlußendlich zu der Überzeugung kam, dass es an der Zeit wäre, beim Hamburger Sportverein grundlegende Veränderungen herbeizuführen.

Klingt ja auch gut, „Aufstellen für Europa“, schließlich hat der HSV sogar in den letzten 30 Jahren teilweise europäisch gespielt. Nicht oft, aber ab und zu. Was also macht mehr Sinn, als die Sehnsucht der Fans nach Gegnern wie Liverpool, Ajax, Barcelona oder Benfica neu zu entfachen? Im Grunde nichts, wäre es nicht so komplett unrealistisch.

Um eine realistische Einschätzung der Chancen des HSV, in den nächsten Jahren (oder überhaupt) mal wieder in einem europäischen Wettbewerb antreten zu können, bewerten zu können, reicht im Grunde ein kurzer Blick auf die finanziellen Rahmenbedingungen, in denen der Verein gefangen ist.

Aber beginnen wir da, wo man eigentlich zu beginnen hat, am Anfang. Die Initiative HSVPUS (Aufstellen für Europa) sah vor, dass man den Profibereich des Vereins als AG aus dem eingetragenen Verein herauslösen sollte, um eventuellen, sogenannten „strategischen Partnern“ die Möglichkeit zu schaffen, bis zu 24,9% der HSV Fußball AG zu erwerben. Der Hauptanteil an der AG sollte im Besitz des HSV e.V. bleiben, um einen möglichen Ausverkauf zu verhindern.

So weit, so gut. All dies passierte dann durch die Abstimmung während der Mitgliederversammlung am 25.05. 2014. Die Mitglieder stimmten mit großer Mehrheit für die Ausgliederung, während Galeonsfigur Rieckhoff immer noch von „positiven Gesprächen“ mit Weltfirmen berichtete und davon sprach, dass man bis zu € 100 Mio frisches Geld über den Verkauf der 24,9% generieren könne. Mindestens. Denn was hindert einen wahren HSV-Fan daran, für 10% an seinem Verein weit mehr als den nominellen Wert hinzublättern? Nichts, gar nichts. Niente, Null.

Die Hoffnung, dass irgendein börsennotiertes Unternehmen 50 Millionen für Anteile, die eigentlich nur 20 Millionen wert sind, hinlegen würde, wurde gern und immer bedient, heute weiß man, dass sie vollkommen unbegründet war.

Zur augenblicklichen Stunde ist Fakt: Außer Kühne nichts gewesen. Und was noch „lustiger“ ist – der Herr aller Transporter empfindet „seinen“ Verein mit einem errechneten Wert von € 350 Mio als überbewertet und ist mit den jetzt ermittelten 7,14% für seine € 25 Mio. nicht so richtig einverstanden. Nirgendwo ist die Rede davon, dass der Big Gönner überproportional viel für unterproportional wenig geben möchte.

Natürlich wird es immer diejenigen geben, die die Hoffnung, dass Papa Kühne morgen aufwacht und dem HSV € 500 Mio. schenkt oder den Stadionnamen für die nächsten 20 Jahre erwerben wird, nicht begraben wollen, obwohl sie gut daran täten.

Aber weiter – „Aufstellen für Europa“. Gehen wir doch einmal von der durchaus vorhandenen Wahrscheinlichkeit aus, dass die restlichen 17,76% an irgendeinen „strategischen Partner“, der aller Wahrscheinlichkeit nach Klaus-Michael Kühne heißen wird, veräußert werden. Nimmt man die € 25 Mio. mit einer Bewertung von 7,14% als Maßstab, könnten also nochmal ca. €55 Mio. in die AG fließen.

Und dann? Dann winkt Europa? Aber garantiert nicht. Aktuell drücken den HSV Verbindlichkeiten in Höhe von ca. € 100 Mio. und das eigentliche Ziel der Initiative HSVPLUS lautete: Entschuldung. Also schön, entschulden wir. Anschließend hat der HSV (nur) noch € 50 Mio. Verbindlichkeiten, aber nicht einen neuen Spieler. Und die laufenden Kosten sind auch noch nicht gedeckt.

Im Moment belaufen sich die Kosten für den Bundesliga-Kader auf mehr als € 50 Mio, man könnte also ohne weitere Einnahmen ein weiteres Jahr die Gehälter bezahlen, dann ist Schicht. Natürlich ist dies ein irregulärer Vergleich, aber es ging darum, die Verhaltnisse aufzuzeigen.

Also? Die Hälfte der Verbindlichkeiten tilgen, den Kader bezahlen oder für die 10 auslaufenden Verträge Ersatz besorgen. Dann sind die ca. € 50 Mio. weg und die 24,9% AG-Anteile verkauft. Und dann? Winkt dann Europa? Haben wir dann die neu zu schaffenden Nachwuchsstrukturen bezahlt, den Campus gebaut oder die vier Vorstände und zahlreichen Direktoren bezahlt? Eher weniger.

Problem ist nur: Der Topf ist dann leer, aber das angestrebte Ziel „Europa“ ist genauso weit entfernt wie heute.

By the way – was bedeutet eigentlich „Europa“? Damit kann doch garantiert nicht die Europa League gemeint sein, die vor dem Viertelfinale mehr kostet als einbringt. Wir reden doch wohl von der Champions League, oder?

Glaubt eigentlich irgendjemand, dass der HSV bummelige € 50 Mio. von der Champions League entfernt ist? Ich geh mal durch.

Bayern München, Borussia Dortmund, Schalke 04, Bayer 04 Leverkusen, TSG 1899 Hoffenheim, VFL Wolfsburg, Borussia Mönchengladbach…

Allein diese 7 Vereine stehen aktuell finanziell und sportlich Lichtjahre vor dem HSV und der Abstand beträgt weit mehr als die erhofften € 50 Mio. Aber das ist noch nicht das Ende. Rasen Ballsport Leipzig, FC Ingolstadt 04 sind das Stichwort. Vereine, die mittels Gönner (Hoffenheim, Schalke), Werk (Leverkusen, Wolfsburg) oder sportlichem Erfolg über Jahre (Bayern, Dortmund, Gladbach) dem HSV voraus sind und der Abstand wird Jahr für Jahr größer.

Nur zwei kleine Beispiele: Der VFL Wolfsburg kaufte in den letzten beiden Jahren u.a. die Herren Luiz Gustavo von Bayern München (€ 16 Mio.) und de Bruyne vom FC Chelsea (€ 22 Mio.) und das war Wolfsburg, nicht Bayern oder Dortmund.

In Hannover will Herr Kind ab 2017 seine „Anstrengungen“ einstellen, ab 2017 ist er allerdings 20 Jahre Sponsor bei den 96ern. Das bedeutet, dass die handelsübliche 50+1-Regelung fallen wird und Herr Kind im Grunde den gesamten Verein kaufen kann. Kann spannend werden.

In drei Jahren könnte Kind dann die Mehrheit der Anteile an Hannover 96 übernehmen, ungeachtet der sogenannten 50+1-Regel. Er hatte vor dem DFB-Schiedsgericht eine Ausnahmeregelung erstritten, derzufolge dieser Sperrpassus nicht für Investoren gilt, die sich mindestens 20 Jahre lang bei einem Verein engagiert haben. Diese Vorgabe hat Kind dann erfüllt. (Quelle: goal.com)

Hinzu kommen Vereine wie Leipzig oder Ingolstadt, hinter denen ein durchdachtes Sponsoring-Konzept steht und die ebenfalls an den etablierten Traditionsvereinen vorbeiziehen werden.

Während man sich in Hamburg noch Gedanken über Einlauf-Lieder macht, ziehen diese Marketing-Maschinen rechts vorbei und der HSV sieht sich einem Überlebenskampf nach dem anderen ausgesetzt.

Das alles mag für Fußball-Romantiker tatsächlich eine Art Reiz haben, mit „Aufstellen für Europa“ hat das alles wenig zu tun.

Halt, stop, ich weiß, was jetzt kommt. Borussia Dortmund. Die Dortmunder waren auch mal pleiten, sportlich am Boden und ohne Hoffnung. Dann holten sie Jürgen Klopp und das Ding fing an zu wandern. Also machen wir es einfach wie der BVB, installieren einen Klopp 2.0 und alles wird schön.

Ach, wenn es doch nur so einfach wäre. Für das positive Beispiel Dortmund könnte man wahrscheinlich mehrere Dutzend negative Beispiele anführen, bei denen es nach einem finanziellen Desaster eben nicht mehr gereicht hat. Man schaue sich nur an, wie viele Traditionsvereine und ehemalige Bundesligisten seit vielen Jahren ihr Dasein in unterem Ligen fristen.

Hansa Rostock, Arminia Bielefeld, Energie Cottbus, SpVgg Unterhaching, Fortuna Köln, Preußen Münster, MSV Duisburg – 3. Liga

1. FC Magdeburg, SG Wattenscheid 09, Alemannia Aachen, KFC Uerdingen 05, FC Homburg, 1. FC Saarbrücken, Hessen Kassel – Regionalliga.

Zusammengefasst: „Aufstellen für Europa“ mit einem Verkaufserlöse von ca.  50 Mio durch AG-Anteile ist kompletter Humbug. „Aufstellen für die nächste Lizenz“ wäre ehrlicher gewesen, aber das will niemand hören. In Hamburg wird weiterhin munter geträumt, während woanders so gearbeitet wird, wie es die Zeit nun einmal erfordert.

Ach ja, natürlich könnte man jetzt einwenden, dass der HSV doch eigentlich nur einen Sack mit hoffnungsvollen Nachwuchstalenten finden und diese dann zu Bundesliga-Stars entwickeln müsste. Leider auch hier – klarer Fall von schade. Auch die wirklich talentierten Jungs zwischen 13 und 16 gehen heute dahin, wo das Geld fließt (z.B. nach Leipzig). Und selbst wenn es dem HSV gelingen sollte, neue Sons, Calhanoglus oder Öztunalis zu finden, sind die Jungs spätestens dann bei einem der oben genannten Vereine, wenn sie sich als fähig erwiesen haben und können dem HSV nicht helfen, Champions League-tauglich zu werden.

Wenn also jemand tatsächlich willens sein sollte und den HSV innerhalb der nächsten 5 Jahre im oberen Drittel der Bundesliga anzusiedeln möchte, sollte er sich darüber im Klaren sein, dass man aus den € 50 Mio eher € 150 Mio machen muss. Mindestens. Und das schnell, denn der Abstand zu den Großen wächst jeden Tag.

Einen hab‘ ich noch. Die zahlreichen Fußball-Romantiker meinen ja bekanntlich, dass man die wegfallenden 10 Plätze (wenn die Verträge nicht verlängert werden) durch die Nachwuchskräfte aus der erfolgreichen U23-Regionalliga auffüllen kann. Unabhängig von der unsicheren sportlichen Qualifikation, empfehle ich einen Blick auf die Vertragslaufzeiten.

Die Verträge von Dehmelt, Otremba, Carolus, Marcos, Adomah, Götz, Masek, Derflinger, Gouaida, Arslan, Kwatu, Charrier, Brüning und Benkarit laufen alle 2015 aus.

Aber – um es noch einmal ganz deutlich zu sagen – die „Idee HSVPLUS“ war richtig und ist es immer noch, weil die eigentliche Idee alternativlos war. Ohne Ausgliederung wäre auch weiterhin nur fachliches Fallobst im HSV-Korb gelandet, ohne Ausgliederung würde nochmehr Altlasten dem HSV auf der Tasche (oder den Nerven) liegen, als es jetzt der Fall ist. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass von der eigentlichen „Idee HSVPLUS“ nur ein Bruchteil dessen übriggeblieben ist, was man den Mitgliedern versprochen und womit man sie geködert hatte, unter anderem auch ich.