Zweiter gegen 16., Bayernjäger gegen Abstiegskandidat. Was auf den ersten Blick wie eine klare Angelegenheit aussieht, ist es nicht, denn in der Bundesliga gibt es (außer den Bayern) keine klaren Angelegenheiten. Gestern mussten das die bisher überzeugenden Hoffenheimer erleben, die nach dem 3:4 gegen Aufsteiger Köln gedacht haben müssen, sie befinden sich auf dem Weg zurück in die Zukunft, zurückversetzt in die letzte Saison.

Auch, wenn es wie eine Binsenweisheit klingen mag, in der Bundesliga kann jeder jeden überall schlagen und am Ende macht die Konstanz den Unterschied zwischen einstelligem Tabellenplatz und Abstiegszone aus.

Was uns diese Saison aber auch deutlich zeigt, ist die Tatsache, dass man mit Schönspielerei keinen Blumentopf gewinnt, denn der Vorzeigeverein der letzten Jahre mit der „Mutter aller Trainer“ ist auf dem 18. Tabellenplatz angekommen. Dass der BVB aufgrund seiner Qualität und seiner unzweifelhaft vorhandenen Fähigkeiten dort nicht hingehört, weiß im Grunde jeder, aber auch in Dortmund kann man die Fakten nicht wegdiskutieren.

7 Punkte, 7!!! verlorene Spiele nach 10 Spieltagen. Nur mit Pech und Verletzungen allein ist das nicht zu erklären und guckt man besonders ins Gesicht von Rübezahl Kloppo, dann erkennt man, dass im Ruhrpott die Angst umgeht.

Aber zurück zum HSV. Die Frage, die sich Joe Zinnbauer seit einer Woche stellt, lautet: „Wie kann ich den VFL stoppen?“ Fünf Siege in der Bundesliga am Stück, mit 20 Treffern die zweibeste Offensive der Liga (natürlich nach den Bayern), zuletzt extrem spielstark und stabil.

Bei der Analyse des Wolfsburger Spiels fallen verschiedene Dinge auf.

1. Seit Kevin de Bruyne auf seinem aktuellen, fast Weltklasse-Niveau spielt, spielt der VFL gut. Besonders das Kreativspiel der Niedersachsen steht und fällt mit dem Belgier, bei dem man sich immer mehr fragen muss, warum der FC Chelsea für ihn keine Verwendung mehr hatte. Bekommt man de Bruyne in den Griff, was über 90 Min. fast ausgeschlossen erscheint, hat man die halbe Miete.

2. Offensiv geht beim VFL eigentlich alles über de Bruyne oder Rodriguez, zum Glück (für den HSV) ist der Schweizer verletzt und fällt aus. Man kann sich also im Wesentlichen auf den Belgier konzentrieren.

3. Die große Stärke der Wolfsburger: Standard-Situationen. Ob direkt (de Brunye) oder als Flanke, es brennt auf der Stelle. Kein Wunder, stoßen doch bei Standards die Innenverteidiger Knoche (1,90m) und Naldo (1,98m) mit in den gegnerischen Strafraum. Hinzu kommen die kopfballstarken Guilavogui (1,88m) und Perisic (1,87m). Zuordnung und Disziplin werden hier die Zauberwörter lauten.

Der HSV agierte zuletzt unter Zinnbauer ausgesprochen aggressiv, den Leverkusenern wurde auf die Art und Weise der Schneid abgekauft. 9 gelbe Karten und 52 Fouls in einer Partie haben Seltenheitswert und man sollte bedenken, dass auch Schiedsrichter Fußball gucken. Ich möchte wetten, dass Knut Kircher mit einer roten oder gelb-roten Karte nicht so lange warten würde wie sein Vorgänger, kein Schiedsrichter möchte sich nachsagen lassen, dass er eine erneute Treterein zugelassen hat. Die Spieler des HSV wären also gut beraten, die Balance zu finden und das aggressive Spiel nicht zu übertreiben. Andernfalls steht man plötzlich nur noch zu zehnt auf dem Feld und das könnte dann gegen die Wolfsburger in der aktuellen Form eine Klatsche bedeuten.

Apropos Balance. Dem HSV ist es in der laufenden Saison noch nicht gelungen, trotz der zweifellos vorhandenen Qualität einen ausbalancierten Spielplan auf den Platz zu bringen. Alles wirkt improvisiert, es existieren immer noch keine Automatismen, vieles scheint zufällig. Gegen eine Mannschaft wie den VFL Wolfsburg wird man so relativ schnell an seine Grenzen gerade, weil man eben aufgrund der fehlenden Abstimmung untereinander immer nur dabei ist, Löcher zu stopfen.

Dennoch – auch der VFL ist ganz sicher nicht unschlagbar. Wenn es dem HSV gelingt, den Gegner zu überraschen (eine zweite nominelle Spitze wäre beispielsweise eine Maßnahme), de Bruyne zu neutralisieren und sowenig Freistöße um den Strafraum herum zuzulassen, könnte eine Überraschung gelingen.

Der HSV sollte dabei nur aufpassen, nicht früh in Rückstand zu geraten, denn sollten die Hamburger ihre tatkische Ordnung aufgeben müssen, um auf den Ausgleich zu drängen, ergeben sich für die Wolfsburger Lücken, die sie aufgrund ihrer Qualitäten nutzen werden.