Exklusiv-Interview mit Horst Hrubesch, Trainer der deutschen U21-Nationalmannschaft 

HSV-Arena: „Was braucht man zusätzlich zu Trainern und eventuell Psychologen?“

HH: „Meiner Meinung nach braucht man auch Pädagogen. Und ich brauche unbedingt Trainer, die auch in diesem Jugendbereich arbeiten wollen. Die nicht unbedingt die Ambitionen haben, Bundesliga-Trainer werden zu wollen. Und, ebenfalls entscheidend: Man wird die Topleute auch bezahlen müssen. Es heißt nicht umsonst: Die besten Trainer in den Nachwuchs“

HSV-Arena: „Muss Nachwuchsarbeit teuer sein oder kann man gute Talente auch mit anderen Argumenten an einen Verein binden, der eventuell weniger bezahlt?“

HH: „Grundsätzlich haben die Traditions-Vereine eine gewissen Anziehungskraft, die ist einfach da. Die Frage ist dann: Wie gut bin ich als Verein? Und wenn ich nachweisen kann, dass ich gut bin, dann kann ich meine Leute auch halten. Wenn ich eine Philosophie habe, wenn ich übergreifend arbeite, ist vieles möglich. Wenn die Spieler dies alles erkennen und eine Durchlässigkeit in die nächst-höhere Mannschaft gegeben ist, dann möchte ich den Spieler sehen, der nur des Geldes wegen wechselt.“

HSV-Arena: „Thema taktische und physische Entwicklung. Es ist bekannt, dass die Spieler im WM-Endspiel 1954 im Schnitt 4 km gelaufen sind, heute sind es teilweise 12 bis 13 km pro Spieler. Sind wir an der Grenze des körperlich Machbaren angelangt?“

HH: „Ich denke, vielmehr als jetzt wird man nicht laufen können. Auf der anderen Seite muss man natürlich auch bedenken, dass sich im Bereich der Sportmedizin vieles verändert hat. Wie haben früher  wesentlich mehr und härter trainiert als heute. Aber auch die Spieler haben sich verändert. Ich war damals mit 1,87 m ein Riese, meine Jungs heute sind vielfach über 1, 90 m. Die Ernährung hat sich verändert, nur vom Spielsystem her hat sich nicht viel verändert. Ernst Happel hat mal zu mir gesagt: „Das haben wir früher alles schon auf Eiche und Buche gespielt“. Wir haben mit Libero gespielt, wir haben mit 3er-Kette gespielt, wir haben 4er-Kette gespielt. Alles nicht wirklich neu“.

HSV-Arena: „Was ist dann anders geworden?“

HH: „ Nicht viel. Das Wichtigste ist nach wie vor: Ich muss 1 gegen 1 spielen können, das ist die Grundvoraussetzung. Bayern München könnte nicht so offen spielen, wenn sie hinten nicht die Leute hätten, die 1 gegen 1 spielen können, die schnell genug sind, um die Situation klären zu können. Einiges hat sich aber doch verändert, z.B., dass der Torhüter beim Rückpass den Ball nicht mehr aufnehmen darf. Dass rund um den Platz 10 Bälle liegen. Die Abseitsregelung mit gleicher Höhe und aktivem und passivem Abseits. Das alles führt dazu, dass heute, auch was Passfolgen betrifft, alles viel schneller und direkter gespielt wird. Wichtig ist heute: Schnelligkeit, auch gedankliche. Die technische Fähigkeit, das direkte Spiel ohne Ballverluste durchziehen zu können und am Ende die Laufbereitschaft.“

HSV-Arena: „Viele machen heutzutage aus dem Fußball eine Art Wissenschaft. Es wird von Spielsystemen wie 4-2-3-1 über 4-2-0-2-2 gesprochen, Begriffe wie „Lokalkompaktheit“ und „Verschiebungsszenarien“ kreiert. Was hälst du davon?“

HH: „Ich denke, wir spielen immer noch steil. Spielen den Ball nach vorn, spielen immer noch Querpässe. Wie man das nun nennt, ist mir im Grunde egal. Es ist modern, neue Konzepte zu entwickeln, wobei die entscheidende Frage ist: Habe ich das Personal dafür, um das Konzept umzusetzen? Muss ich ein Spiel, welches einfach und simpel aufgebaut ist, so schwer verständlich machen, dass es keiner mehr versteht? Warum spiele ich dieses einfache Spiel nicht mit einfachen Mitteln? Warum bewege ich den Ball nicht so schnell, dass der Gegner ihn nicht erreicht? Am Ende steht die Frage: Was kommt dabei heraus? Bin ich der Sieger oder der Verlierer? Das System, welches ich spiele, bestimmt der Kader“

HSV-Arena: „Es gibt ja bekanntlich zwei unterschiedliche Ansätze. Ich habe ein System und passe meine Spieler darauf an oder ich habe Spieler und passe das System an ihrem Fähigkeiten an.“

HH: „Ich behaupte, viel besser und sinnvoller ist es, wenn ich mein Spielsystem an den Fähigkeiten meiner Spieler ausrichten. Ich muss ja auch doppelt besetzen können. Kann ich, wenn mein System nicht funktioniert, mein System flexibel ändern? Habe ich die Spielertypen dafür? Wichtig ist, dass die Stärken meiner Spieler zum Tragen kommen.“

HSV-Arena: „Wie viel Taktik steckt in deinen Anweisungen für die Spieler? Ist es so, dass du den Spielern im Grunde jeden Pass und jeden Laufweg vorgibst oder ist das Spiel doch zu unberechenbar und erfordert von den Spielern erhöhte Flexibilität und Kreativität?“

HH: „Ich trainiere die ganze Woche und dann gehe ich grundsätzlich davon aus, dass sich der Gegner nach mir richten muss. Wenn ich im Moment als Deutschland auftrete, weiß ich, dass jeder Gegner schon mal überlegt: Was kommt da auf uns zu? Ich werde doch immer meinen Spielern erst mal zeigen, wo ihre Stärken liegen. Ich zeigen den Spielern Videos vom Gegner, wie dieser das Spiel gestaltet. Und dann zeige ich den Jungs Videos, wie sie es in den letzten Spielen gelöst haben. Die Spieler können dann sehen, dass sie die Fähigkeiten haben, auf den Gegner entsprechend zu antworten. Mir geht es darum, dass meine Jungs mit der Sicherheit und der Gewissheit auf den Platz gehen, dass der Gegner sie nicht überraschen kann. Abwehrarbeit bedeutet: 10 Mann. Offensiv das Gleiche. Was müssen wir denn tun, wenn wir den Ball verloren haben? Laufen, und zwar alle 10, damit wir ihn wiederkriegen. Wenn wir ihn haben, müssen wir in so schnell spielen, dass der Gegner nicht hinter den Ball kommt. Ganz einfach.“

HSV-Arena: „Gibt es vom DFB eine Vorgabe, wie deutsche Mannschaften zu spielen haben?“

HH: „Ja, gibt es. Ganz einfach: Selbstbestimmen und agieren. Vom Grundsatz her wollen wir schon 4er-Kette spielen, aber auch hier sind wir flexibel. Ob ich mit einer Spitze spiele oder mit zwei Spitzen. Ob ich mit einem 3er-Mittelfeld spiele, ist am Ende auch abhängig vom jeweiligen Kader. Im Moment wird darüber diskutiert, ob man nun noch mit 3er-Kette spielen sollte, dann spiele ich aber nur noch mit 2 echten Abwehrspielern und nehme meinen Torwart dazu, denn der ist mittlerweile mein Libero. Wenn ich den Torwart am Aufbauspiel beteilige, habe ich einen freien Mann mehr.

HSV-Arena: „Gibt es im Nachwuchsbereich Spieler, die in der Lage sind, das Torwartspiel wie Manuel Neuer zu interpretieren?“

HH: „Wie Neuer vielleicht noch nicht ganz, aber ähnlich. Karius, ter Steegen, Horn, Leno,  die können alle Fußball spielen. Bei den Torhütern haben wir garantiert keine Probleme.

HSV-Arena: „Was spricht für eine 3er-Kette und was dagegen?“

HH:“Ich bin kein Befürworter der 3er-Kette. Wenn ich zwei Innenverteidiger habe, die es breit aufstellen und ich meine beiden Außenverteidiger hochstelle, habe ich einen größeren Effekt. Die Rolle des Torhüters ist heute der entscheidende Faktor.“

HSV-Arena: „Anderes Thema. 2002 wurde in Deutschland die Jugendförderung und die Nachwuchsarbeit revolutioniert. Seither bringt nicht nur die A-Nationalmannschaft, sondern auch die U-Mannschaften sowohl technisch wie auch taktisch exzellent ausgebildete Spieler hervor. Viele andere Länder z.B. England gucken mit Neid nach Deutschland. Ist die deutsche Nachwuchsförderung auf andere Länder 1:1 übertragbar?“

HH: „Nein, auf keinen Fall. Es gibt kein Land auf der Erde, welches einen ähnlichen Aufwand betreibt, wie wir. Wir haben damals, 2002 bzw. 2003, alles nach unten gebrochen. Wir haben dann mit den 11-Jährigen in den Stützpunkten angefangen. Die Vereine der 1. und der 2. Liga sind mit Auflagen belegt worden, was Leistungszentren angeht. Wir haben mobile DFB-Stationen, die zu den Vereinen fahren. Wir bieten kostenlose Trainer-Lehrgänge an. Die Basis ist allerdings der kleine Verein, der den Jungs den Spaß am Fußball beibringt. Was uns noch fehlt, ist der Schulsport, weil der Straßenfußball weggefallen ist. An dieser Stelle aber einmal ganz große Hochachtung vor all den Ehrenamtlichen, die sich bei den Jungs engagieren.“

HSV-Arena: „Abschlussfrage: Wie viel Happel und wie viel Zebec steckt im Trainer Hrubesch?“

HH: „Nichts, ist alles Hrubesch. Es macht keinen Sinn, jemanden zu kopieren. Ich kann von Menschen lernen, aber letztendlich muss ich machen, wovon ich überzeugt bin. Ich finde, man muss jedem Spieler zugestehen, dass er Fehler machen darf, aber er muss aus ihnen lernen.