Am Ende stand die große Erleichterung. Die Mannschaft drehte eine Ehrenrunde durchs Volksparkstadion, zumindest diejenigen, die sich noch auf den Beinen halten konnten. Es gab sogar einige, die „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“ krakeelten, was mich, sollte es dann doch nicht ironisch gemeint sein, sprachlos zurück lässt. Der HSV holte drei unfassbar wichtige Punkte, der HSV lieferte mit 128,95 gelaufenen Kilometern eine Saisonbestleistung für Mannschaften ab, Zoltan Stieber lief 13,94 km – Ligarekord. Man könnte die Meinung vertreten, dass man sich mit dieser physischen Leistung einen Sieg verdiente, ich bin der Auffassung, dass Fußball mehr ist als ein Marathonlauf.

-Trainer Joe : „Das ist nicht meine Vorstellung von Fußball. Hannover war uns spielerisch in allen Belangen überlegen“

Fußball besteht aus Taktik, Technik, Spielverständnis, Spielfreude, Abstimmung und körperlicher Präsenz und der HSV 2015 kann maximal den letzten Punkt  liefern. Alles andere, sowas wie Taktik, sowas wie Spielverständnis und Technik wird den Gegnern überlassen und zur Zeit scheint es so zu sein, dass der Zweck die Mittel heiligt bzw.heiligen muss.

Westermann: „Hannover war besser. Aber das Glück ist mit uns“

Natürlich wird es heute wieder die Freudetrunkenen geben, denen es scheiß-egal ist, wie ein Sieg zustande kommt, wenn er denn zustande kommt und das ist völlig okay so. Jeder darf sich darüber freuen, dass der HSV einen weiteren (kleinen) Schritt Richtung Klassenerhalt gemacht hat, ich habe jedoch eine andere Meinung dazu und ich erwarte, dass man diese ebenso respektiert, wie ich die Glückseligen respektiere.

Jansen: „Eine Riesen-Erleichterung! Wir haben gefightet, gegrätscht und uns jeden Ball geworfen. Das ist Abstiegskampf!“

Jeder Spieler des HSV und auch Trainer Zinnbauer gab nach dem Spiel zu, dass der Sieg nicht nur glücklich, sondern im Grunde auch unverdient war, denn die einzige Mannschaft, die tatsächlich Fußball spielte, war Hannover 96.  Die andere Mannschaft arbeitet sowas wie Fußball, wobei man sich trotz der Freude über die drei Punkte einige Fragen wird stellen müssen.

Wie kann es sein, dass eine Mannschaft, die vor der Saison für ca. 30 Mio. (ohne Holtby) verstärkt und in der Winterpause mit Diaz (€ 2 Mio) und Olic (€ 2 Mio) getuned wurde, immer noch nicht in der Lage ist, irgendein erkennbares System zu spielen? Und man darf bitte nicht vergessen: Die Herren Behrami, Müller, Lasogga, Stieber, Ostrzolek und Cleber kamen nicht etwa in eine Regionalliga-Truppe und sollte den Klassenerhalt sichern. Spieler wie Jansen, Djourou, Diekmeier, Kacar, Rajkovic und van der Vaart waren bereits vorhanden, allesamt Nationalspieler. Wenn der HSV heute ausschließlich über Laufspiel und Kampf kommt, hinten die Schotten dicht hält und vorn der liebe Gott/Olic helfen soll, dann ist zumindest mir das einfach zu wenig.

Mal Hand aufs Herz, liebe Hooligans – wann hat der HSV das letzte Mal ein spielerisch halbwegs überzeugendes Spiel gezeigt? Ich kann mich an ein 3:3 gegen Stuttgart erinnern und an ein 0:2 gegen Gladbach, bei dem der HSV die spielerisch bessere Mannschaft war, aber das war in der letzten Saison. In der Saison 2014/2015 überzeugte die Mannschaft von Joe Zinnbauer noch nicht ein einziges Mal (ich meine außerhalb der Laufleistung) und selbst die Paderborner zeigten eine reifere Spielanlage.

Wie lange wird der körperlich Raubbau angesichts der gelaufenen Kilometer gut gehen? Wir haben noch 14 Spieltage vor der Brust und die verletzten Behrami und Holtby werden noch monatelang fehlen.

Was passiert eigentlich, wenn der HSV einmal ein Gegentor fängt? Nach meiner Beobachtung fehlen der Mannschaft jegliche spielerischen Mittel, um einen Rückstand gegen eine taktiktisch besser eingestellte Mannschaft umdrehen zu können. Im Grund könnte man sagen, die taktische Marschroute des HSV ist auf zwei Pfeilern aufgestellt: Laufleistung und Glück. Ob man die Laufleistung über die gesamte Saison wird bringen können, bleibt abzuwarten. Das Glück ist irgendwann aufgebraucht.

Wie sieht eigentlich die Perspektive für die Zukunft aus? Der HSV stellte gestern mit einem Altersschnitt von 29 Jahren die älteste Mannschaft der Liga. Der altersmäßige Umbruch, unter Frank Arnesen mit den Spielern Sala (19), Bruma (19), Töre (19), Rajkovic (22), Mancienne (23) und Skjelbred (24) scheint nicht nur unterbrochen, er scheint abgebrochen zu sein. Es werden Spieler wie Behrami (29), Müller (27), Diaz (28), Olic (35) geholt, mit Drobny (35), Djourou (28) wurde verlängert. Aktuell denkt man beim HSV wohl tatsächlich über eine Vertragsverlängerung mit Westermann (31) und van der Vaart (31) nach.

Um es einmal zu erklären, ich habe absolut nichts gegen diese Spieler und ich weiß auch, dass man mit einer Mannschaft aus 21-Jährigen nicht Meister werden kann. Wenn es sich bei diesem Stamm um eine eingespielte, taktisch reife und erfolgreiche Mannschaft handeln würde, hätte ich für vieles Verständnis. Aber wie ich oben bereits ausführte, kann diese alte Mannschaft genau zwei Dinge: Laufen und kämpfen und das wird auf Dauer zu wenig sein.

Nochmal: Ich freue mich über die 3 Punkte, ich freue mich über den ersten Doppelsieg nach fast 2 Jahren, aber die Probleme bleiben und für mich sieht es nicht danach aus, als wäre man sich dessen im Rat der Exzellenzen bewusst.