Au weia, jetzt passiert tatsächlich das, was als der Größte Anzunehmende Unfall (GAU) in einem HSV-Blog zu vermuten ist: Es wird tatsächlich positiv über den Erzfeind aus Bremen geschrieben. Die „Grünen“, das „Fischerdorf“, „das, was grün ist und nach Fisch stinkt“, soll jetzt irgendwie gut sein?  Jetzt ist dieser Gravesen vollkommen abgedreht, möchte man meinen.

Mitnichten, liebe Leser. Und ich möchte jetzt schon jeden bitten bzw. warnen, der auf die verstrahlte Idee kommen könnte, mir mit Tipps wie „Dann mach doch einen Werder-Blog auf“ behilflich sein zu wollen oder die Frage „bist du überhaupt noch HSVer?“ platzieren zu möchten. Im Gegensatz zu einigen Fanatikern, von denen ich ehrlich gesagt aufgrund ihrer von mir vermuteten Intelligenz etwas anderes erwartet hatte, bin ich der Auffassung, dass man etwas, was gut ist und funktioniert, durchaus lobend erwähnen darf, selbst wenn es aus der „verbotenen Stadt“ kommt.

Neu-Aufbau bzw. Umbruch, Entschuldung, neue, frische, unverbrauchte Spieler bzw. Talente anstatt alter und satter Profis, moderner Fußball, zukunftsorientierte Ausrichtung. Das sind die Schlagworte, die ich und viele andere in die Kampagne von HSVPLUS interpretiert hatten und teilweise sind diese Idee auch tatsächlich angerissen worden. Ich muss zugeben, dass vieles von dem, was man heute HSVPLUS zuschreiben möchte, sich tatsächlich nur in meinem und den Köpfen anderer abgespielt hat, denn der Kern der Mitglieder-Initiative besagte eigentlich nur, dass man den Bereich Profi-Fußball aus dem e.V. ausgliedern und sich für strategische Partner und damit dem Verkauf von Anteilen öffnen wollte.

Vieles von dem, was im Nachhinein bemängelt wurde, war gar nicht formuliert, sondern vielmehr hinein interpretiert worden, weil zahlreiche Mitglieder (ich auch) meinten, dass die eine Maßnahme die andere zur Folge haben müsste. Mein Fehler.

Dennoch – angesichts der Schwierigkeiten, neue Mittel zu generieren und angesichts der gewaltigen Schuldenlast, die den HSV (er)drückt und noch länger belasten wird, hielt ich eine Abkehr von Gigantismus, Millionen-Transfers, Rückhol-Akionen etc. für ausgeschlossen,  wollte man den Verein fit für die Zukunft machen. Betrachtet man den Verein heute, so muss man gestehen, dass es anders gekommen ist, aber das habe ich bereits mehrfach thematisiert.

Wie man es hätte machen können bzw. wie es sich in meiner, von HSVPLUS beatmeter Phantasie hätte abspielen müssen, machen uns bzw. mir die Werderaner vor. Dort war man sich des Umstandes bewusst, dass man eine Mannschaft hatte, die zwar nur noch Mittelmaß spielte, die aber Champions League-mäßig verdiente. Und man war sich des Umstandes bewusst, dass man eben keinen Kühne in der Hinterhand hatte. Also wurde die Reißleine gezogen und man nahm bewusst das Risiko in Kauf, für eine Weile in den Niederungen der Liga agieren zu müssen.

Ein weiteres Merkmal war, dass man sich am 25.10.2014 von Robin Dutt trennte, einem Trainer, der offenkundig nur in Freiburg funktioniert, ein Beispiel, welches man in Zukunft wird beobachten müssen. Man installierte mit Victor Skripnik (http://www.transfermarkt.de/viktor-skripnik/profil/trainer/2048) einen Trainer, der nach dem Ende seiner aktiven Zeit ausschließlich in Bremen gearbeitet hat, der den Verein also in- und auswendig kennt. An dieser Stelle werden Parallelen zu Christian Streich (Freiburg) und zum Teil zu Thomas Tuchel (Mainz 05) deutlich, nicht aber zu Joe Zinnbauer, der erst seit dem 01.07.2014 in Hamburg arbeitet.

Auf dem Transfermarkt agiert der SV Werder so, wie ich es vom HSV erwartet hatte, zurückhaltend. In beiden Transferperioden der laufenden Saison wurden zusammen € 4,55 Mio. ausgegeben und € 3.35 Mio. eingenommen. Zum Vergleich, der HSV gab insgesamt € 32, 8 Mio (ohne Holtby) aus und nahm € 23,62 Mio. ein, ein erneutes Minus von ca. € 10 Mio., zu denen die € 6,5 Mio für Lewis Holtby nach Ende dieser Saison hinzukommen werden.

Darüber hinaus, und das finde ich wesentlich wichtiger, investieren die Bremer in die Zukunft, während der HSV sukzessive dabei ist, seine Mannschaft älter zu machen. Bremen holte in dieser Saison Vestergaard (22), Garcia (25), Hajrovic (22), Galvez (25), Bartels (26/ablösefrei) und beförderte Selke (19) und Busch (19) aus der eigenen Jugend. Im Gegenzug verkaufte man den nicht funktionierenden Ekici (24) und lieh Petersen (26), Akpaba (27), Elia (27) und Obraniak (30) aus. Einzig der Verlust von Werder-Urgestein Aaron Hunt (27) an Wolfsburg tat weh.

Der Altersdurchschnitt der Bremer Mannschaft im Spiel gegen Leverkusen lag bei 25,2 Jahren

Der HSV dagegen verfährt nach wie vor nach dem Motto „Klotzen statt kleckern“. Allein in dieser Saison holte man mit Olic (35), Behrami (29), Diaz (28), N. Müller (27) und Djourou (27)/war zuvor geliehen Spieler, die nicht mehr für die Zukunft taugen werden, dafür aber überaus kostspielig (Ablöse und Gehalt) sind. Dagegen stehen Lasogga (22), Holtby (24), Ostrzolek (24), Cleber (23), die aber ebenfalls ausgesprochen teuer waren, bisher aber nur selten überzeugen konnten.

Der Altersdurchschnitt des HSV lag im Spiel gegen Hannover bei 29 Jahren. 

Desweiteren gelang den Bremern etwas, was auch dem HSV hätte gelingen können – man nahm die Fans mit. Man konnte glaubhaft erklären, dass der eingeschlagene Weg steinig, aber alternativlos wäre und die Fans glaubten es. Beim HSV gab es zwar reichlich Versprechungen, die tatsächlichen Handlungen sahen dann im Endeffekt anders aus, nach wie vor schmeißt man mit Geld um sich, als gäbe es kein Morgen.

Ich bin der Meinung, dass der HSV den Bremer Weg hätte gehen können, jetzt ist es fast schon zu spät. Man ist finanziell in Vorleistung getreten (Transfers von Lasogga, Holtby, Behrami etc.) und hat bereits jetzt Gelder eingenommen und ausgegeben, die eigentlich erst in 3 bis 5 Jahren fällig geworden wären. Und das sportliche Resultat: Ein System ist nach wie vor nicht erkennbar, die Spiele sind zwar kampfbetont, aber spielerisch und technisch unansehnlich. Seit 2 1/2 Jahren befindet man sich trotz finanzieller Kraftakte, trotz Ausgliederung und neuem Personal auf der Führungsebene im dauerhaften Abstiegskampf und wie kurz die Lunte bei den Fans mittlerweile geworden ist, kann man nach jeder Niederlage bewundern.

Den Bremern wird von ihren Fans Durststrecken verziehen und gestattet, die Hamburger haben mit ihren Shopping-Touren eine Erwartungshaltung erzeugt, die Resultate vorweisen muss, ansonsten brennt der Baum.

 Lest dazu auch: http://www.goal.com/de/news/1025/kolumne/2015/02/09/8745532/magaths-montag-werder-steht-wieder-hinter-einer-klaren?ICID=HP_HN_1