Der frühere Hamburger Bundesligaprofi Manfred Kaltz nimmt im Kampf um den Klassenerhalt vor allem die Führungsspieler seines Ex-Klubs in die Pflicht. „Die erfahrenen Spieler müssen die Mannschaft nach vorne bringen. Doch die Routiniers spielen alle unter Form – Rafael van der Vaart, Heiko Westermann und so weiter”, sagte der frühere Nationalspieler in einem Exklusiv-Interview mit dem Sport-Nachrichtensender Sky Sport News HD: „Den jungen Spielern kann man keinen Vorwurf machen, die kennen diese Situation nicht, und es ist schwer für sie, damit umzugehen.” (BILD vom 02.02.2015)

Manfred Kaltz kritisiert vor allem die „Führungsspieler“ des HSV, möchte sie in die Pflicht nehmen. Dabei verkennt der ehemalige Nationalspieler, dass der HSV ein ganz anderes Problem hat: Er besitzt gar keine Führungsspieler!

Die Namen derer, die es in den Augen der Öffentlichkeit sein sollten, sind immer die Gleichen. van der Vaart, Westermann, Adler, vielleicht Djourou? Selbst der arme Valon Behrami, der mehr mit seinem Körper als mit irgendwelchen Gegenspielern zu kämpfen hat, soll nach nur 17 Spielen für seinen neuen Verein die Kriterien eines Führungsspielers erfüllen, ein unmögliches Unterfangen.

Natürlich gerät man bei der Suche nach einem vermeintlichen Führungsspieler schnell auf die Fährte der älteren Spieler, die bereits einige Zeit für einen Verein aktiv sind. Daran ist im Grunde gar nichts falsch, beim HSV liegt das Problem jedoch woanders. Gerade diese alteingessenen Spieler sind es in Hamburg, die für die größten Problem, und im Umkehrschluss, für die kleinste Entlastung sorgen. Die Rolle von Rafael van der Vaart wurde hunderte Male rauf- und runter diskutiert, ein knappes halbes Jahr vor Vertragsende muss man gestehen, dass seine Verpflichtung im Jahr 2012, für € 13 Mio und gegen den Willen des damaligen Sportchefs Frank Arnesen, ein Fehler war, der den HSV um Jahre zurück geworfen hat. van der Vaart ist ein absolut integrer Profi, ein Führungsspieler, an dem sich junge, unerfahrene Akteure aufrichten konnten, war er nie und wollte er auch nicht sein. Die Kapitänsbinde liegt ihm eher wie eine Last auf den Schultern, seine Rolle in der Mannschaft wird immer mehr die eines Mitläufers.

Heiko Westermann? Hamburgs Synonym für den fleischgewordenen Eigenfehler pendelt beharrlich zwischen Kult- und Witzfigur,  „HW4“ wird froh sein, wenn seine Hamburger Zeit endlich ein Ende findet. Als Führungsspieler taugt er aufgrund seiner Angreifbarkeit nicht, vom Typ her ist auch nie einer gewesen.

Rene Adler wäre ein Spieler, der sich als Führungsspieler aufdrängen würde, wenn er denn überhaupt spielen würde. Intelligent, integer, wortgewandt, Ex-Nationaltorhüter, richtiges Alter. Bei Adler passt eigentlich alles, aber Führungsspieler sitzen nicht hinter einem durchschnittlichen Torhüter wie Drobny auf der Bank.

Der Rest war Schweigen. Was aber zeichnet einen Führungsspieler eigentlich aus? Muss er im Jahr 2015 noch Matthäus-mäßig auf den Tisch hauen und sich mit dem Trainer oder dem Vorstand anlegen? Muss er Effenberg-like auf dem Spielfeld sogenannte „Zeichen setzen“ und einen Gegenspieler an der Mittellinie mit einer Gelsdorf-Gedächnis-Sense in die nächste Unfall-Klinik befördern, um seine jungen Mitstreiter zu erwecken und ihnen den Ernst der Lage zu verdeutlichen?

Ich glaube an diese antike Vorstellung des Führungsspielers aus den 90ern nicht mehr. Ein Führungsspieler muss auch nicht unbedingt in jedem Spiel in der Startelf stehen, er muss nicht zu den Nationalspielern eines Bundesliga-Teams gehören. Vielmehr muss es ein Spieler sein, der sich mit dem Verein, dessen Zielen und dessen Kommunikation identifizieren kann und hier beginnt in Hamburg das nächste Problem, die Kommunikation. Sie existiert schlichtweg seit Jahren nicht, jedenfalls keine einheitliche. Heute hü, morgen hot. Wer gestern noch vom Sportchef in die Trainingsgruppe 2 degradiert war, kann morgen vom Trainer bereits wieder in die Startelf beordert werden. Das geht eigentlich nirgendwo, in Hamburg ist dieser Treppenwitz mittlerweile Routine.

Dies ist nur eines von zig Beispielen, aber es zeigt eben auch, wie schwer es für einen erwiesenen Führungsspieler sein muss, dem Schlingerkurs des Vereins zu folgen und die Maßnahmen der Vereinsführung den jungen Spielern in der Kabine zu vermitteln. Denn, und daran glaube ich, es geht um emotionale, aber auch sachlich Führung. Ein sogenannter Führungsspieler sollte nahezu unantastbar sein, sowohl sportlich, wie auch außerhalb des Platzes. Skandalnudeln taugen nicht zur Führung, ihnen wird nicht viel geglaubt.

Wie sieht es eigentlich bei anderen Vereinen aus?

Bei Bayern München würde ich die Spieler Lahm, Schweinsteiger, Neuer, aber auch Xabi Alonso als Führungsspieler vermuten, Alonso sogar, obwohl er nicht mal richtig Deutsch spricht. Aber darum geht es nicht, der Mann strahlt Autorität und Kompetenz aus, hat in seiner Karriere viel erreicht, ist aber nicht abgehoben, sondern geerdet.

Sebastian Kehl ist der Führungsspieler beim BVB, obwohl der oft verletzt ist und nicht mehr viel spielt. Aber er ist die natürlich Autorität des Kaders, an ihn wenden sich jungen Spieler, wenns Probleme gibt. An wen wenden sich die jungen HSV-Spieler? An Dennis Diekmeier?

Clemens Fritz in Bremen, Diego Benaglio in Wolfsburg, Halil Altintop in Augsburg, Simon Rolfes in Leverkusen. Alle keine Weltstars und auch keine Lautsprecher. Aber allesamt Spieler, die irgendwie für ihren Verein stehen, die die Identität des Vereins repräsentieren, die unangreifbar sind, selbst dann, wenn sie nicht spielen.

So gesehen hat der HSV nicht das Problem, dass seine Führungsspieler keine Führungsaufgaben übernehmen, der HSV hat gar keine Führungsspieler und er sollte sich einmal Gedanken darüber machen, warum das so ist. Führungsspieler müssen im Übrigen auch keine Kotzbrocken wie Frank Rost oder Innenverteidiger wie Joris Mathjisen sein, die grundsätzlich die Schuld bei ihren Mitspielern suchen.

Der letzte Führungsspieler im Dress des HSV war meiner Meinung nach David Jarolim und selbst an dem arbeiteten sich zahllose „Fans“ aufgrund seiner angeblich ineffektiven Spielweise ab.

Könnte es vielleicht sein, dass der Verein HSV, sein Umfeld und seine Anhänger, aufgrund einer nicht erfüllbaren Erwartungshaltung gar keine Führungsspieler zulässt?

Stichwort Gradlinigkeit, Verlässlichkeit und Identifikation. Was ist eigentlich hieraus geworden?

Zum Trainingsauftakt im neuen Jahr zieht HSV-Trainer Josef Zinnbauer die Zügel an: Alle Profis müssen um 7.30 Uhr auf dem Trainingsgelände anwesend sein – und bis nach der zweiten Einheit bleiben.

Trainer Josef Zinnbauer führt beim Hamburger SV die Ganztagsarbeit für die Fußballprofis ein. Bis auf Weiteres gilt für die Spieler des abstiegsbedrohten Bundesligaklubs Anwesenheitspflicht ab morgens, 7.30 Uhr, auf dem Trainingsgelände am Volkspark. Erst wird gelaufen, danach gemeinsam gefrühstückt und 10.00 Uhr die erste Einheit absolviert. Dienstschluss ist erst nach dem Nachmittagstraining.

„Die Pause war lang genug. Wir wollen uns schließlich in allen Bereichen verbessern“, begründete der Trainer des Tabellen-14. am Montag seine Maßnahme. „Das ist keine Bestrafung, nur eine Fokussierung.“ Wer nach dem Mittagessen 12.30 Uhr einen Kaffee vor dem Nachmittagstraining trinken möchte, darf dafür das HSV-Trainingsgelände verlassen. Zeit dafür dürfte aber wenig sein, denn 15.00 Uhr beginnt ja schon wieder die nächste Einheit. (Die Welt, 05.01.2015)

Ich kann es euch sagen, nichts ist daraus geworden. Es war nicht mehr als eine Verlautbarung für die Öffentlichkeit und die Presse, um die Fans, die nach einer katastrophalen Hinrunde mit 9 erzielten Toren angefressen waren, ruhig zu stellen. Die ganze Maßnahme dauerte keine zwei Wochen, heute ist wieder alles beim alten. Montag ist frei (ist aber bei allen Vereinen, die Samstag spielen so), Dienstag wird um 15.30 Uhr trainiert, der alte Trott ist wieder eingezogen. Sprüche, nichts als Sprüche.

Wie sollen sich die Spieler angesichts dieser Panik-Maßnahmen orientieren? Und was soll ein ausgewählter Führungsspieler, der den Quatsch selbst nicht mehr ernst nimmt, den jungen Nachwuchsspieler erzählen, wenn der ihn fragt, ob das in Hamburg normal ist?