Wie oft muss man es in Hamburg noch lesen?

„Die Mannschaft hat keine Hierarchie…“

„Der Mannschaft fehlen die Führungsspieler…“

„In der Mannschaft stimmt es nicht…“

Nimmt man diese Aussagen einfach für sich so hin, muss man dennoch die Frage stellen:

Wer ist denn eigentlich für die Mannschaft verantwortlich? Wer stellt eine Mannschaft zusammen? Nach welchen Kriterien wird eine Mannschaft eigentlich zusammengestellt?

Natürlich weiß ich, was an dieser Stelle einige einwenden werden. „Die Mannschaft ist nicht homogen zusammengestellt, diverse Trainer und Sportchefs durften ihre Vorstellungen einfließen lassen usw.“ Alles richtig. Dennoch muss man erkennen dürfen, dass allein in dieser Saison insgesamt 19 (inkl. Lasogga und Djourou) neue Spieler den Kader aufgefüllt haben, insgesamt wurden (inkl. Lewis Holtby) knapp € 40 Mio. ausgegeben, so viel wie nie zuvor in der Geschichte des HSV.

Welches aber sind eigentlich die Kriterien, nach denen Spieler gescoutet bzw. „gecasted“ werden? Selbstverständlich fließen in die Bewertung eines Spielers, für den sich ein Verein interessiert, verschiedene Eckpunkte ein.

Position, spezielle Fähigkeiten, sportliche Vergangenheit, Verletzungshistorie, Preis, Gehalt etc.

Betrachtet man aber das, was viele (zu Recht) bemängeln, nämlich die fehlenden Hierarchie oder das Ausbleiben von sogenannten „Typen“, dann muss man vermuten, dass beim Scouting ein ganz entscheidender Punkt oft und gern vergessen wird.

„Mit was für einer Art Mensch beschäftige ich mich eigentlich?“

Ich möchte das gern näher erklären. In den letzten Wochen und Monaten, aber auch schon weit vorher, wird immer wieder bekannt, dass der HSV wohl mit dem einen oder anderen Spieler „nicht geredet“ hätte bzw. falsch geredet hat. Natürlich werden einige sagen, dass innerhalb einer Mannschaft jeder gleich ist und jeder gleich behandelt werden sollte, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich ist es doch so, dass ich als Trainer/Sportchef mit ca. 30 unterschiedlichen Individuen zu tun habe. Sie sind unterschiedlich alt, kommen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen, haben völlig unterschiedliche Vergangenheiten.

So kann man beispielsweise einen Rene Adler nicht behandeln wie einen Ashton Götz und ein Valon Behrami hat garantiert eine vollkommen andere Vita als ein Matti Steinmann. Möchte ich aber dafür sorgen, dass ich den Spielern die Gelegenheit für ein optimales Umfeld biete, in dem sie die bestmögliche Leistung abrufen können, dann muss ich diesen Tatsachen Rechnung tragen, will sagen: Ich muss mich nicht nur mit dem Sportler, sondern auch und besonders mit dem Menschen hinter dem Sportler beschäftigen.

Man stelle sich das einfach mal vor: Der HSV hat laut Transfermarkt.de in den letzten 6 Jahren mehr als € 118 Mio. für Spielerkäufe ausgegeben. € 118 Mio. !!! (Einnahmen: € 82,8 Mio.)

Der HSV beschäftigt einen Monstervorstand, diverse Direktoren und unter anderem beschäftigte man auch einen Fitness-Coach, der € 150.000 im Jahr einstreichen konnte. Aber man beschäftigt niemanden, der sich mit dem Mensch hinter dem Sportler beschäftigt. Aktuell denkt man beim HSV über die Einstellung einen „Integrationsbeauftragten“ nach, aber dies kann doch nicht der erste Schritt sein.

Wäre es nicht angesichts dieser Wahnsinns-Summe angebracht, vor einem eventuellen Transfer nicht nur die sportlichen, sondern auch und besonders die menschlichen Eigenschaften eines Spielers abzuklopfen? Warum beschäftigt man nicht einen oder zwei Mitarbeiter, die vor einem teuren Transfer den Spieler auch ob seiner menschlichen Seiten, seiner Vergangenheit, seiner Kindheit, Freunde etc. scouten? Das alles könnte man ganz offen gestalten, man könnte, nein man müsste den Spieler im Vorfeld eventueller Verhandlungen über dieses Vorhaben informieren.

„Lieber Spieler X, wir wollen, dass sich im Falle eines Transfers alle Beteiligten wohlfühlen. Der Verein, weil er einen besonderen Spieler verpflichten konnte, der Spieler, weil er den für sich und seine Karriere perfekten Verein ausgewählt hat. Deshalb möchten so viel wie möglich von dir wissen und über die erfahren. Eben, um eventuell auch ausschließen zu können, dass der HSV vielleicht nicht der richtige Verein für deine aktuelle Karriereplanung ist.“

Ein Beispiel: Valon Behrami kam 1990 als 5-Jähriger aus Mitrovica (Kosovo) in die Schweiz, man kann davon ausgehen, dass aufgrund der politischen Umstände seine frühe Kindheit nicht nur von Spaß geprägt war. Dies soll überhaupt keine Wertung des Menschen oder des Sportlers Behrami sein, es soll nur aufzeigen, welche Vergangenheit ein heute 29-Jähriger Mann haben kann. Wenn ich mich als Verein damit beschäftigte, kann ich mir leichter ein Bild darüber machen, mit welcher Persönlichkeit ich es zu tun habe und am Ende auch, wie ich als Verein am besten mit ihm umgehen kann.

Es werden unglaublich Summe für Transfers und noch mehr für Gehälter ausgegeben, mit dem Menschen aber beschäftigt man sich so gut wie überhaupt nicht. Am Ende wird es dann heißen :„Das sind Profis, die verdienen Millionen, die müssen funktionieren“. Aber so einfach ist das nun mal nicht. Ein Arbeitnehmer bringt die besten Leistungen, wenn er an dem, was er tut, Spaß hat. Geld spielt dabei eine zweitrangige Rolle. Wenn man jetzt noch weiterdenkt und sich darüber im Klaren wird, dass die Leistungsfähigkeit eines Sportlers zu bis zu 80% im Kopf entschieden wird, muss ich doch meinen Focus ganz besonders auf diesen Aspekt legen.

Mit anderen Worten: Ich kann den Spieler bis zur körperlichen Belastungsgrenze trainieren, solange der Kopf nicht mitspielt, wird der Spieler keine 100%ige Leistung bringen können.

Darüberhinaus bin ich davon überzeugt, dass auch die eine oder andere Verletzung etwas mit dem mentalen Zustand des Spielers zu tun haben wird.

Beim HSV 2015 aber kommuniziert man nach wie vor über die Medien mit seinen Spielern, Oliver Kreuzer schickte wenigstens noch sms’en, wenn ein Spieler in die U23 abgeschoben wurde. Anstatt jeden Tag 4 Stunden für Video-Analyse zu vergeuden, sollten sich der Cheftrainer mehr Zeit für Vieraugen-Gespräche mit seinen Spielern nehmen und der Verein sollte sich bemühen, mehr über den Menschen hinter dem Profi zu erfahren, bevor man erneut Millionen für Spieler ausgibt, die anschließend aus den unterschiedlichen Gründen nicht „funkti0nieren“ können.

Denn dies hat in Hamburg mittlerweile traurige Tradition.