Der Erfolg hat viele Väter, der Misserfolg braucht immer nur einen. Hört sich erstmal nach einer Binsenweisheit an, ist aber leider wahrer als wahr. Wenn der HSV gewinnt, hat der Trainer gewonnen, weil er so sensationell aufgestellt hat. Oder der Torschütze zum entscheidenden 1:0, obwohl der nur noch den Fuß hinhalten musst, um den Ball aus 2 Metern über die Linie zu drücken. Oder natürlich „Didi“, weil der ja bekanntlich den neuen Spezial-Geist beim Hamburger Sportverein eingeführt hat.

Im Falle des (seltenen) Erfolgs ist auch immer wieder zu beobachten, dass plötzlich und wie von Zauberhand Personen in der Mixed-Zone auftauchen, die man bei Niederlagen vergeblich sucht. Der unsichtbare Vorstand Marketing ist da so ein Kandidat, der dann, wenn sich die Jungs in den kurzen Hosen einen Dreier ertreten haben, plötzlich auftaucht und seinen obligatorischen HSV-Schal (man weiß ja, wie man sich verkauft) zur Schau stellt.

Ja, der Erfolg hat viele Väter, der Misserfolg hat eigentlich immer nur einen und dieser heißt in Hamburg nun seit mehreren Jahren Heiko Westermann. Warum das so ist, kann eigentlich keiner der zahlreichen Kritiker so richtig erklären. Viele unterstellen dem polivanenten Westphalen überproportional viele Fehler, aber vergleicht man einmal seine Klopse mit denen seiner Mitspieler (und das gern mal objektiv), dann ist das tatsächlicher Mumpitz. Bei einigen gilt HW4 tatsächlich als langsam, was objektiv betrachtet, absoluter Schwachsinn ist, denn Westermann ist einer der schnellsten Innenverteidiger der Liga.

Daniel Jovanov schreibt in seiner heutigen Kolumne:

Wer das Spiel verstehen will, darf nicht nur darauf schauen, wer den letzten Zweikampf, das letzte Lauf- oder Kopfballduell verliert, das zu einem Gegentor führt. Der Fehler beginnt in der Regel woanders. Man spricht im Fußball deshalb von Fehlerketten. Diese zu unterbinden, ist Aufgabe der gesamten Mannschaft. Gelingt das nicht, kommen die gegnerischen Angreifer in ein Eins-gegen-Eins-Duell mit dem Torhüter. Schlecht sehen diejenigen aus, die in der Situation zuvor das Duell verloren haben. Aber es sind gleichzeitig die schwierigsten Situationen in einem Fußball-Spiel. An vielen dieser ist Westermann beteiligt. Weil das so ist, stimmt etwas nicht. Aber nicht mit der Verteidigung. Sondern davor.

http://www.goal.com/de/news/1025/kolumne/2015/03/10/9674362/jovanovs-hsv-westermann-ist-zu-unrecht-der-s%C3%BCndenbock?ICID=HP_BN_3

Das will in Hamburg aber niemand mehr hören, denn die Sehnsucht nach dem Einen, der irgendwie für den gesamten Schlamassel schuld sein muss, ist zu groß und wenn man sich Fanclub-übergreifend auf Westermann verständig, dann macht ein gemeinsamer „Feind“ das Leid erträglicher.

Gelingt die Aktion und Westermann klärt den Ball, spricht so gut wie niemand darüber. Verliert er das Duell allerdings, heißt es „typisch Westermann“. (Jovanov)

Tatsächlich ist es mittlerweile so, dass die Gestalten im Volksparkstadion bereits sehnsüchtig auf den „Westermann-Patzer“ warten, weil er doch das ist, was sie in ihrer Einstellung bestätigt. Wenn Tah oder Cleber irgendwelche haarsträubenden Fehler passieren, dann ist das nun mal so und gehört zum Geschäft dazu. Bei HW4 ist es nahe dem Weltuntergang.

Dabei sollte sich Heiko eigentlich geadelt fühlen, denn er führt eine Reihe prominenter Schuldigen fort, die sich in der Vergangenheit am HSV versündigt haben. Ich erinnere mich an Menschen wie Josip Skoblar, Michael Oenning, natürlich Bernd Hoffmann (Hoffmann raus!), zuletzt Bert van Marwijk, Manfred Ertel ohnhehin und Jürgen Hunke sowieso, aber auch Spieler wie Barbarez oder Jarolim gehörten dazu. Immer dann, wenn es nicht lief, dienten sie als Blitzableiter für Volkes Zorn, denn – einer muss ja irgendwie schuldig sein, oder?

Der Umstand, dass die tatsächliche Leistung des Spielers im Grunde mit seiner Rolle als Sündenbock gar nichts mehr zu tun hat, verstehen nur die Wenigsten, vielleicht deshalb, weil es ihren begrenzten Horizont überfordert. Wie viel leichter ist es dann doch, sich auf einen, der sich bisher nie wirklich gewehrt hat, einzuprügeln. Ich bin in den letzten Jahren diverse Male beim Training gewesen und ich habe nicht einmal erlebt, dass einer der Kiebitze die Eier hatte, HW4 irgendwelche vermeintlichen Fehler ins Gesicht zu sagen, im Gegenteil. Die Schlange der Autogrammjäger ist bei Westermann sicher nicht die kürzeste.

Jetzt hat sich Westermann einmal befreit und in deutlichsten Worten erklärt, was er von den halb-anonymen Pöbelgestalten und Hilfs-Kritikern hält.

Ich finde es überfällig, richtig und extrem geil. Weiter so, HW4.