„Momentan habe ich das Gefühl, dass es manchen nur darum geht, irgendein Feindbild zu haben.“ (Ralf Rangnick, Sportchef von RB Leipzig, über die Attacken gegen seinen Klub)

Vielleicht mag es daran liegen, dass ich grundsätzlich immer irgendwie zum Underdog tendiere. Ich mag es, wenn sich jemand aus scheinbar ausweglosen Situationen herausarbeitet und einen Überraschungs-Coup landet. Vielleicht bin ich deshalb HSV-Fan und kein Bayern-Anhänger geworden, denn als Hamburger muss man leidensfähig sein und am Ende des Tages auf die Sensation hoffen, ansonsten kann man sich eingraben.

Mit Fußball nichts mehr zu tun

Aber zum Thema. Das, was nicht erst seit dieser Woche im Zusammenhang mit dem Verein RasenBallsport Leipzig abläuft, hat mit Fußball, mit Fan-Sein, auch mit Konkurrenz oder Rivalität nicht mal mehr im Ansatz etwas zu tun, das ist nur noch zutiefst krank.

Der Leipzig-Profi Diego Demme (23) hatte nach Abpfiff das Trikot mit dem Karlsruher Philipp Max getauscht. Hinterher forderte ein Sicherheitsbeauftragter von dem Leipziger das Hemd zurück. Offenbar auf Druck der Karlsruher „Fans“, die jeglichen Trikottausch mit Leipziger RB-Spielern ablehnen. (BILD 11.03.2015)

Freunde der tibetanischen Brotsuppe, habt ihr noch alle Latten am Zaun? Es geht doch hier um Fußball, oder? Wir reden nicht davon, ob jemand mit einem IS-Kämpfer die Kalaschnikow tauscht oder sich Syrien einen Handgranate leiht. „Die Fans verlangen von ihren Spielern, dass sie mit den Spieler des anderen Vereins die Trikots nicht tauschen“, was für ein Wahnsinn. Was kommt als Nächstes? Darf der Co-Trainer aus Sandhausen nicht mehr nach Leipzig fahren, um seine Schwiegermutter zu besuchen? Stehen Ferien in Sachsen für jeden „wahren Fan“ in Zukunft auf der No-Go-Liste der Ultras?

Die verzweifelte Suche nach dem Feindbild

„Da geht es nur um Feindbilder. Und ob das nun Marcel Reif ist oder wir es sind. Wir sind an einem Punkt angekommen, wo man wirklich aufpassen muss.“ Leipzigs Sportdirektor Ralf Rangnick (56) nach den Vorfällen am Montagabend beim Zweitligaspiel in Karlsruhe.

Na bitte, da haben wir es wieder. Was in Dortmund der Reif und in Hamburg der Westermann ist, ist bei den Extremisten unter den selbsternannten „Fans“ der RB Leipzig. Sogar unter den Ultras soll es Regeln geben, sagt man – im Fall RB Leipzig sind diese aufgehoben, hier sei alles erlaubt. Was in diesem Fall mit „alles“ gemeint sein soll, bleibt vorerst offen, allerdings fühlten sich einige KSC-Clowns bereits bemüssigt, die Leipziger vor dem Spiel gegen Karlsruhe im Hotel zu „besuchen“. Bei Einigen hat man den Eindruck, sie hätten nicht nur zuviel Zeit, sondern auch deutlich zuwenig Hirnzellen.

Warum eigentlich Leipzig?

Hinter RB Leipzig steckt das Unternehmen Red Bull, das soll kein Geheimnis sein. Dietrich Matteschitz ist neben Fly Emirates der zur Zeit wohl größte Sponsor im Sportbereich weltweit, die Marke Red Bull ist auch oder gerade deshalb so erfolgreich, weil sie medial omnipräsent ist und nicht, weil die Brühe so gesund ist oder so gut schmeckt. In Zeiten, wo das Geld (und besonders das Werbegeld) immer knapper wird, ist ein Laden wie Red Bull ein Segen, weil er nämlich dafür sorgt, dass es Sportveranstaltungen wie Tennis-Turniere, Formel 1-Rennen und andere Großereignisse überhaupt noch gibt.

Okay, sagen die Pyro-Werfer jetzt, das kann er ja auch gern machen. Aber er darf doch bitte keinen Fußballverein unterstützen und dafür sorgen, dass sich dieser mittelfristig in der Spitze des deutschen Fußballs etablieren kann. Das geht nicht, das ist kein organischer Wuchs, das verstößt gegen die Traditionen.

Für „Tradition“ kann man sich nichts kaufen

Red Bull-Shit, Leute, vergesst doch mal für einen Augenblick eure „Tradition“. Oder noch besser – erklärt mir, was eigentlich diese „Tradition“ bedeutet? Hat ein Verein, der 1887 gegründet wurde, mehr „Tradition“ als ein Club, den man 1928 aus dem Boden stampfte? Besitzt ein Verein mit 7 Meistertiteln mehr Tradition als einer, der nur zweimal im Finale des UEFA-Cups stand? Woran wird „Tradition“ gemessen und wer entscheidet darüber?

Oder anders. Der VFL Wolfsburg wurde am 12. September 1945 gegründet, der 1. FC Köln am 13. Februar 1948. Welche von Beiden ist nun ein „Tradtionsverein“? Bayer 04 Leverkusen wurde übrigens am 01. Juli 1904 gegründet.

Fakt ist: Für „Tradition“, für Erfolge von gestern kann man sich nichts kaufen. In Hamburg sehen wir das beste Beispiel dafür. Hier wird von der neuen Vereinsführung das vermeintliche Pfund „Tradition“ immer noch verzweifelt gepflegt (Beiersdorfer, Volksparkstadion, Olic, davor van der Vaart), wohl auch deshalb, weil man meinte, nach der Ausgliederung im Mai 2014 nicht alles auf einen Schlag verändern zu wollen. Wohin dieser „Blick zurück“ führt, kann man an der Erfolgsstory des HSV2015 erkennen.

Am Ende ist es eine Neid-Debatte

Wer genau führt eigentlich diese Traditions-Debatte, die am Ende doch nichts anderes als eine Neid-Debatte ist? Da laufen 16-25-Jährige in Kapuzen-Pullovern rum und gröhlen irgendwas von Tradition, soll das ein Witz sein? Tatsächlich hat man als „Fan“ von Karlsruhe, Kaiserslautern, Düsseldorf oder aber auch vom HSV, von Freiburg, aus Frankfurt oder auch Stuttgart doch nur Angst davor, dass das Missmanagement der eigenen Vereinsführung zum Boomerang wird, dabei hat man verpennt, dass dies schon lange der Fall ist.

Bayern München, Bayer Leverkusen, TSG 1899 Hoffenheim, VFL Wolfsburg, Borussia Dortmund, Schalke 04, an der Spitze der Fußball-Bundesliga stehen doch bereits die „großen Leipziger“ und nicht mehr die „traditionellen“ Hamburger, Bremer oder Stuttgarter. Dieser Lauf der Dinge ist nicht mehr aufzuhalten, selbst dann nicht, wenn vermummte Primaten weitere 7 Mal ein Spielerhotel stürmen. Und – das ist auch gut so, denn es ist organisch. Der Starke frisst den Schwachen und der Erfolgreiche verdrängt den Erfolglosen. Dafür, dass bei den meisten Fußballvereinen im bezahlten deutschen Fußball jahrzehntelang gepennt wurde, können weder Matteschitz noch die Leipziger etwas.

Jeder hatte seine Chance

Wer verhindert eigentlich, dass sich auch „Traditionsvereine“ einen Geldgeber, Sponsor oder Investor suchen? Richtig, die sogenannten Fans und die Mitglieder. Lustigerweise ist es aber die gleiche Gruppe, die eigene Spieler bei Misserfolg bedrohen, die der eigenen Vereinsführung falsches Management, Fehleinkäufe oder Geldverbrennung unterstellen. Dass sie selbst ein Hauptgrund des Problems sind, wollen sie nicht verstehen, weil – sie tragen ja stolz die Vereinsfarben.

Ich als HSVer hoffe, dass sich der RB Leipzig nicht von seinem Weg abbringen lässt und dass der DFB und die DFL eindeutig Stellung zu Aktionen wie im Karlsruhe beziehen.

Noch eins, es wird ja immer behauptet, RB Leipzig kaufe sich den Erfolg. Anbei einmal die Transferausgaben der letzten Jahre:

2009/10 – € 0

2010/11 – € 1 Mio.

2011/12 – € 0,25 Mio.

2012/13 – 0,18 Mio.

2013/14 – € 2,88 Mio.

2014/15 – € 22,65 Mio.

Zum Vergleich einmal der 1. FC Kaiserslautern:

2009/10 – € 0,4 Mio

2010/11 – € 4,6 Mio.

2011/12 – € 6,63 Mio.

2012/13 – € 1,95 Mio.

2013/14 – 1,65 Mio

2014/15 – € 1,98 Mio.

Fazit: Wenn man außer der eigenen anachronistischen Vorstellung von Tradition nichts mehr hat, sollte man nicht andere dafür verantwortlich machen. Vielmehr sollte man darüber nachdenken, was der eigene Verein in den letzten Jahren/Jahrzehnten verkehrt gemacht hat und daraus seine Lehren ziehen. Fans müssen zu ihrem Verein halten, deshalb sind es Fans und das ist auch gut so. Aber Neid, Missgunst und Gewalt, die daraus erwächst, hat im Fußball immer noch nichts zu suchen und am Ende schadet sie grundsätzlich den eigenen Farben mehr als dem vermeintlichen Gegner.