Es gibt Tage, an denen ich zweifle. Und es gibt Tage, an denen ich noch mehr zweifle als sonst. Und dann gibt es Tage, an denen ich denke:

„Wie steht es eigentlich eigentlich mit dem Erinnerungsvermögen des gemeinen HSV-Fans? Ist er wirklich so naiv und dämlich, wie er tut? Oder ist das lediglich ein Schutzmechanismus, der automatisch einsetzt, wenn der Schmerz zu stark wird?“

Zur Erinnerung: Wir schreiben den 32. Spieltag der Bundesliga-Saison 2014/15 und der Hamburger Sportverein ist Tabellen-14. „Wahnsinn, alles cool. Mit dem Abstieg haben wir nichts mehr zu tun, wenden wir uns der Tagesaktualität zu.“ Mal eine Frage: „Habt ihr eigentlich noch alle Latten am Zaun? “ Der HSV steht mit 31 Punkten gerade mal einen Punkt besser (aber 19 Tore schlechter) da als der nächste Gegner SC Freiburg und im Gegensatz zum HSV haben die Freiburger in der Saison gezeigt, dass sie durchaus Fußball spielen können, von den Problemen des HSV gegen den SC in den letzten Jahren will ich gar nicht erst anfangen.

Verliert der HSV gegen Freiburg, gewinnt am Samstag der VfB Stuttgart gegen Mainz (was durchaus möglich erscheint), besiegt Hannover zuhause die Bremer und holt Paderborn vielleicht einen Punkt gegen die zuletzt schwächelnden Wolfsburger, hätten wir vor den letzten 2 Spielen folgendes Tabellenbild:

14.Freiburg 33 Punkte

15. Hannover 33 Punkte

16. Paderborn 32 Punkte

17. HSV 31 Punkte

18. Stuttgart 30 Punkte

Hinzu kommt: Mit Ausnahme von Paderborn hat der HSV das mit Abstand schlechteste Torverhältnis, was einen Zusatzpunkt für die unmittelbaren Gegner bedeutet. Man sieht – hier ist mal überhaupt nichts klar, zumal der HSV am nächsten Spieltag nach Stuttgart muss und bei einer Niederlage gegen die Schwaben bereits einen Spieltag vor Schluss rechnerisch abgestiegen sein könnte.

Aber – hey – doch nicht in Hamburg. Wir sind durch und können uns ab sofort wieder um die wirklich wichtigen Dinge kümmern. Werden die Verträge von Kacar und Rajkovic doch verlängert? Kommt Johannes Schmid aus Freiburg oder nicht?

Natürlich trägt die hiesige Presse ihren Teil dazu bei, indem sie nach dem glücklichen Sieg in Mainz bereits wieder einen Hype entfacht, als ginge es um die Europa League und genau hier entdecke ich das altbekannte HSV-Problem wieder einmal: Das HSV-Virus, ein Bazillus, der die Sinne betäubt und der dafür sorgt, dass man der Realität entweichen kann.

Damit man mich nicht falsch versteht, ich habe nichts gegen positives Denken, gegen Hoffnung etc. Aber ich habe gewaltig etwas gegen Realitätsverdrängung und damit sind wir in Hamburg ganz weit vorn. Aktuell hat man den Eindruck, gegen den SC Freiburg geht es eigentlich nur um die Höhe des Ergebnisses, bei einer Mannschaft mit einem Torverhältnis von 21:47 ein schlechter Treppenwitz.

Anderes Thema, gleiches Problem. 

Nachdem uns in Hamburg die Hoffnungsträger im Verlauf der aktuellen Saison nach und nach „weggestorben“ sind (Didi ist kein Verstandsvorsitzender, Knäbel ist lediglich das Assistent des Sportchefs, Peters existiert kaum noch), muss nun ein neuer „Prinz Hoffnung“ her und wer bietet sich hier besser an als ein verdienter 83er? „Uns Thommy“ Heesen wird den Verein nun endgültig retten, denn er wird, freundlich wie er nun mal ist, die weltbesten Talente in die Hansestadt lotsen und der HSV trägt dabei weniger als Null Risiko, ist das nicht super?

Bevor ich zum Kern dieser Frühlings-Posse komme, möchte ich gern an etwas erinnern, was für mich ein Hauptmerkmal und eine der Kernaussagen der Initiative HSVPLUS war:

Der „alte“ Aufsichtsrat des HSV ist nicht nur zu groß (12 Personen), er hat auch das Problem, dass er keinerlei sportliche- bzw. Fußballkompetenz vorweisen kann. Aus diesem Grund kam es in der Vergangenheit immer wieder zu haarsträubenden Vorstands-Entscheidungen (Transfers, Trainer-Entlassungen, Sportchef-Castings etc.), welche dem Verein nachhaltig geschadet haben. Aus diesem Grund soll der neue Aufsichtsrat der HSV Fußball AG nicht nur personell kleiner aufgestellt sein (6 Personen), in ihm sollen auch mindestens 2 ausgewiesene Fußball-Experten sitzen. Dies sind nach einer positiven Abstimmung am 25.05.2014 die Alt-HSVer Peter Nogly und Thomas von Heesen. Beide Herren sollen in der Folge dafür sorgen, dass der Vorstand auch aus dem Aufsichtsrat kompetenten Untersützung erhält. Wenn Anfang des Jahres 2015 der neu zu wählende Präsident des HSV e.V. in den AG-Aufsichtsrat nachrücken wird, muss eine Person weichen, dies wird aber auf gar keinen Fall einer der Fußball-Experten sein.  

Dies war der Plan und dies war die Wahlversprechung, die die Macher von HSVPLUS den Wählern mit auf den Weg in die Arena gaben. Die Wahrheit sah dann (leider) vollkommen anders aus, „Experte“ von Heesen war der Erste, der den AR verließ und er gab nun bekannt, dass dies von langer Hand geplant war. Wer sich an dieser Stelle als HSV-Fan und HSVPLUS-Wähler verarscht fühlt, fühlt richtig und er fühlt wie ich.

Warum aber scheidet von Heesen nun tatsächlich aus? Im neuesten Gespräch in der Internet-Peinlichkeit StammelTV erklärte der smarte Thommy, dass er den Stein der Weisen gefunden habe. Er würde in Zukunft eine Art Investoren-Modell ins Leben rufen wollen, mit dessen Hilfe die Raketen von Morgen nach Hamburg geholt werden könnten. An dieser Stelle wären mir sofort mehrere Fragen eingefallen, aber wenn man Gefälligkeitsjournalist ist, muss das halt nicht sein.

1. Warum kommt von Heesen erst jetzt, nach seinem Ausscheiden aus dem AR auf diese bahnbrechende Idee? Und soll mir doch bitte keiner mit dem Argument „AR – operatives Geschäft“ kommen. Auch als Aufsichtsrat darf man schlaue Ideen einbringen. Aber als Aufsichtsrat darf man halt nicht mitkassieren 😉

2. Ist dieses Modell von der Fifa überhaupt gedeckelt oder versucht man mit irgendwelchen Tricks die Auflagen der Fifa zum umgehen?

3. Wenn Herr von Heesen nun ein zukunftsweisendes Nachwuchskonzept auf den Weg bringen möchte, was hat denn der „Direktor Sport“, der für alles, was sich unterhalb der Bundesliga befindet, verantwortlich ist, eigentlich das letzte Jahr getan?

4. von Heesen bemängelte, dass das größte Nachwuchstalent des HSV während seiner Anwesenheit mit Blumenstrauß verabschiedet wurde, aber warum hat er als Aufsichtsrat nicht dagegen interveniert? Es wäre doch seine Aufgabe als Kontrolleur gewesen, dies zu verhindern. Heute stellt sich der Mann hin und erklärt, dass der HSV wieder einmal zu langsam war, aber warum hat er als Aufsichtsrat keine Schnelligkeit eingefordert, wenn man ein Supertalent wie den Brasilianer Nathan angeblich für weniger als  € 1 Mio. hätte bekommen können?

Die Wahrheit ist: von Heesen möchte mit dem HSV Geld verdienen oder glaubt irgendjemand, dass er und seine „Investoren“ das Ganze für lau machen wollen, weil ihnen meterweise Rauten aus dem Hintern fallen?

Warum fragt niemand nach von Heesens geschäftliche Verbindung zu einem berüchtigten Spielerberater (Stichwort TSG 1899 Hoffenheim), warum nicht zu seinem Verein in Polen? Warum stellt niemand die Karpfenberg-Frage oder guckt sich mal die Verknüpfung nach Belgien an?

Leider gibt es immer noch reichlich HSVer, die der Meinung sind, in diesem Verein würde auch nur einer etwas machen, weil ihm der Verein am Herzen liegt.

Und dann wären wir auch wieder beim HSV-Virus, der Bazillus der Naivität, des Vergessens und der fehlenden Demut.