Uhr

Es war 20.46 Uhr, als ich meiner Tochter, die in Melbourne lebt, eine Whatsapp-Nachricht schrieb. Der Inhalt der Nachricht bestand nur aus einem Wort und lautete: ABGESTIEGEN! Direkt danach schaltete ich den Fernseher aus, aber nicht, weil ich in tiefe Depressionen verfallen war, sondern deshalb, weil es sich irgendwie richtig anfühlte, was dort passierte. Sicher, die Mannschaft haute in den 90 + x Minuten nochmal alles raus, aber hätte sie das alles raushauen müssen, wenn dieser Verein die 10 Monate zuvor so gearbeitet hätte, wie es ein Bundesligist tun sollte? Ich sah 90 Minuten lang die verzweifelten Bemühungen der Spieler, ich sah, wie Trainer Labbadia am Spielfeldrand mehr Leistung zeigte als seine Vorgesetzten in all den vergangenen Wochen und Monaten. Ich sah auch die verzweifelten Fans in Hamburg und in Karlsruhe und es kotzte mich maßlos an.

Ich schaltete also den Fernseher aus, als nur wenige Sekunden später von nebenan ein markerschütternder Schrei zu hören war. Mein Nachbar war auf die Terrasse gelaufen und brüllt „YES, YES, YES“. Dies war zuerst einmal kein Zeichen irgendeiner Gewissheit, denn mein Nachbar spielt für Eintracht Norderstedt und es könnte gut sein, dass er dem HSV vielleicht doch den Abstieg gönnt. Also schaltete ich wieder ein und sah noch die Spielertraube vor der Tribüne, auf der die HSV-Fans standen. In dem Moment wusste ich, dass es auch dieses Jahr wieder reichen würde, zur Not auch im Elfmeterschießen.

Am Ende des Spiels wusste ich dann zuerst nicht, was ich denken und fühlen sollte. War das jetzt richtig so? War es richtig, dass eine Mannschaft, die mit einem Bruchteil des Hamburger Etats auskommt, die einen Gesamtwert von € 7 Mio. repräsentiert und die durch einen lächerlichen Freistoß in der Nachspielzeit um den Lohn der Arbeit eines Jahres gebracht wird auch in der nächsten Saison gegen Sandhausen statt gegen Bayern spielt? Ist das gerecht?  Oder ist es gerecht, dass ein Verein, der mit Geld, welches er nicht hat, rumwirft, als gebe es kein Morgen,  in der Liga bleiben darf? Der 4 Trainer in einer Saison verbrannt hat und deren Führungskräfte sich in Serie an diesem Verein versündigen, dass dieser Verein auch weiterhin am Samstag um 15.30 Uhr spielen darf? Ist das gerecht?

Und dann habe ich erkennen müssen, dass es scheinbar nicht um Gerechtigkeit geht, denn andernfalls hätte der HSV bereits in dieser Saison Zweitligafußball spielen müssen. Es scheint also um etwas anderes zu gehen. Aber um was?

Und ja, ich kann die Freude der vielen Fans verstehen, die all die Monate leiden mussten. Ich kann verstehen, dass sie gestern bis zur Besinnungslosigkeit feiern mussten, weil es einfach raus musste. Dennoch: Diejenigen, die selbst am Tag nach dem Glücksmoment nicht vergessen, was in den letzten 12 Monaten passierte, sind eben keine sogenannten „Hater“, sondern es Menschen, die vielleicht ein wenig besser denken können und die wissen, dass sich trotz des Klassenerhalts ALLES wird ändern müssen, wollen die Feierbiester von heute nicht die Freunde mit den hängenden Ohren von morgen sein.

Heute freue ich mich für einzeln Personen, aber für andere freue ich mich umso weniger. Ich freue mich für aussortierte und gedemütige Spieler wie Gojko Kacar, Boban Rajkovic und sogar Ivo Ilicevic, die gezeigt haben, dass sie tausendmal mehr Herz und Ehre in sich haben, als die Herren mit den HSV-Schals und den Goldknöpfen auf der Ehrentribüne. Ich freue mich sehr für den schlechtesten Trainer der Vereinsgeschichte (meine Güte Matz, tu uns endlich einen Gefallen und geh!) Bruno Labbadia, der ein Himmelfahrtsunternehmen übernommen hatte und der der Mannschaft das Quentchen Selbstvertrauen eintrichtern konnte, das am Ende dann gereicht hat.

Trotzdem: Es wird sich alles ändern müssen und das sofort. Die Führung des HSV hat kläglich versagt und wer der Meinung ist, sie sollten eine zweite Chance erhalten, dem sei gesagt: Das gestern war die zweite Chance des HSV und es war die allerallerallerletzte Chance. Nochmal wird das nicht gut gehen und mit den Herren Beiersdorfer, Knäbel, Hilke, Peters und Gernandt wird es ein nächstes Mal geben, darauf kann man sich verlassen.

„Dukaten-Didi“ ist kein Vorstandvorsitzender, er ist kein Sportchef, er ist zum „Verbrennungs-Didi“ mutiert und daran wird sich nichts ändern. Knäbel ist nicht tragbar und wenn es stimmt, dass Bernhard Peters die 3 Trainer vor Labbadia gecoacht hat, dann sollte er sich dringend einen anderen Verein suchen, bei dem er die Trainer zur Entlassung coacht. Karl Gernandt hat bereits nach einem Jahr im Aufsichtsrat keine Mehrheit mehr, er ist verbrannt.

So gesehen kann man nur hoffen, dass Klaus-Michael Kühne mit 78 Jahren noch soviel Vision hat, dass er erkennt, dass sofort die Reißleine gezogen werden muss. Andernfalls sehen wir uns murmeltier-mäßig nächstes Jahr zu gleichen Zeit an der gleichen Stelle. Aber dann nicht mehr mit mir.

NUR DER HSV!