Ich denke, jeder von uns, der mehrere Jahre in einem Unternehmen gearbeitet hat, welches mehr als 100 Leute beschäftigt, kennt das Phänomen. Man hat sich „eingerichtet“, kennt die Abläufe und die Kollegen. Man weiß, welcher Vorgesetze wie tickt, man kennt die Kunden und die Konkurrenz. Viele Arbeitsabläufe werden zu Automatismen, wirklich nachdenken muss jemand mit jahrelanger Routine eigentlich nicht mehr. Die Folge: Die Spannung lässt nach, man ist sich seiner Sache (zu) sicher. Erfahrung kann in einem Job extrem viel bewirken, sie kann aber auch zur Bequemlichkeit führen. Hinzu kommt, dass neue junge Kollegen mit ihren „modernen Ideen“ die gewohnte und liebgewonnene Alltagsroutine stören und dafür sorgen, dass man aus seiner Komfortzone gerissen wird. Da dies nun wirklich niemand möchte, werden „die Neuen“ eingenordet, man erklärt ihnen mehr oder weniger höflich, dass der Laden so, wie er jetzt läuft, eigentlich schon immer gelaufen ist und zwar bestens. Okay, man ist vielleicht nicht mehr Marktführer, aber im Grunde geht’s doch allen gut Das Unternehmen überlebt und jeder bekommt am Monatsende seine Gehaltsüberweisung.

Möchte sich ein neuer Kollegen dann partout nicht einnorden lassen, versucht man ihn langsam an die Gegebenheiten der Firma heran zu führen.

Überliefert ist die Geschichte von dem neuen HSV-Spieler, der eine freiwillige Einheit im Kraftraum absolvieren wollte und der dann von einem Alteingesessenen überredet wurde, doch lieber auf eine Tasse Kaffee mitzukommen. Der Neue ließ sich überreden und war fortan mit dem Virus der schnellen Zufriedenheit infiziert. Warum denn auch mehr tun als gefordert, es geht doch auch so. Ob man jetzt 10. oder 15. wird, ist doch eigentlich egal, die Kohle kommt doch. Außerdem lebt man in einer netten Stadt, wohnt in der Hafencity und das nächste Tattoo-Studio ist auch gleich um die Ecke.

Dieses Denkmodell hat sich beim Hamburger Sportverein eingenistet wie eine fiese Bazille und es liegt beileibe nicht nur an den Fußballern selbst. Nein, der gesamte Verein lebt diese Zufriedenheit und Selbstzufriedenheit vor, das Leistungsprinzip ist außer Kraft gesetzt. Ehemalige Mitarbeiter des HSV berichten darüber, dass in einigen (vielen) Abteilungen die Arbeit von 4 Mitarbeitern verrichtet wird, die eigentlich auch ein Engagierter allein machen könnte. Ein selbstzufriedener Wasserkopf, in dem jeder lustig die Hand aufhält und wo sich lediglich dann ein wenig Unruhe einschleicht, wenn die Mannschaft mal wieder gegen den Abstieg spielt und das Damokles-Schwert der Massen-Entlassung zu pendeln beginnt. Ist das Abstiegsgespenst vertrieben, kehrt der alte Trott wieder ein.

„Schönes“ Beispiel ist dabei die sogenannte Medien-Abteilung unter der Leitung des ehemals schönsten Pressesprechers Deutschlands. Hier kauern ca. 20 Personen herum,  von Leitern über Stellvertreter bis hin zu Assistenten ist alles dabei. Am Ende wird die Ente fett, heißt es und was am Ende bei der Arbeit dieser Mammut-Abteilung rauskommt, ist erschütternd. Nimmt man dieses Relegationsshirt-Desaster und die Peinlichkeit um die Erhöhung der Dauerkarten, um nur die jüngsten Katastrophen zu beschreiben, so erkennt man auch hier nicht nur eine gehörige Portion Unfähigkeit, sondern auch etwas noch Schlimmeres und das nennt sich Gleichgültigkeit.

„Ist uns doch völlig egal, wie das draußen ankommt. Uns kann doch eh keiner was.“

Es existiert überhaupt kein erkennbares Bestreben, den verunsicherten Fans die geplanten Maßnahmen glaubhaft zu erklären, sie werden einfach konfrontiert und damit allein gelassen. Resultat ist der nächste Facebook-Shitstorm und das erneute Absacken in der Beliebtheitsskala, sollte das überhaupt noch möglich sein. All das hat damit zu tun, dass beim HSV, nimmt man einmal die Personen Beiersdorfer, Knäbel, Peters und Labbadia aus, seit Jahren die gleichen Null-Performer an den Schaltstellen sitzen und diese haben wenig bis kein Interesse daran, ihre Komfortzonen zu verlassen. Aber es ist noch schlimmer,weil jeder, der bereit ist, signifikante Veränderungen herbei zu führen, gegen eine Mauer der Ablehnung prallt, bestes Beispiel war hier Frank Arnesen. Der Däne sollte und wollte besonders im Trainerbereich in Ochsenzoll etwas verbessern, aber er sollte es nicht ändern. Wie bitte soll das funktionieren.

Der HSV hatte nach dem 25.05.2014 die wahrscheinlich einmalige Chance zu einem kompletten Neustart, aber sie wurde aufgrund der zögernden Haltung des Vorstandsvorsitzenden verpasst. Jetzt scheint es so, als wolle man diesen Fehler beheben und das ist richtig. So richtig wie es war, die Verträge mit van der Vaart und Jansen nicht zu verlängern, ist es auch richtig, Herrn Beister zu bitten, sich einen neuen Verein zu suchen, denn Beister wird den HSV nicht mehr nach vorn bringen, so bitter sich das auch anhören mag. Maxi hatte Riesenpech mit seiner Knieverletzung, aber das ist mittlerweile 1 1/2 Jahre her. Ein Khedira spielte ein halbes Jahr nach einem Kreuzbandriss eine sensationelle WM, Maxi aber steht immer noch still. Mit Angst um sein Knie ist das allein nicht zu erklären, es hat etwas mit falscher Selbsteinschätzung zu tun. Zu lange hat sich Beister auf dem Nimbus des Eigengewäches ausgeruht, war sich seiner Sache sicher, weil er bei den Fans ja bekanntlich den Bonus dessen genießt, der „die Raute im Herzen“ trägt.

Sorry Leute, aber scheiß auf „Raute im Herzen“. Mein Eindruck ist, dass es sich bei den Spielern rumgesprochen hat, dass man mit einer gewissen „Fan-Nähe“ sportliche Defizite durchaus ausgleichen kann. So turnen die Herren Holtby (neuer Chef-Fan-Jubler) und Stillstands-Dennis Diekmeier publikumswirksam zwischen den Fans in der Nordkurve rum, weil sie gesperrt oder verletzt waren. Der Jubel der dünn-angerührten Anhängerschaft ist ihnen sicher und in der Folge wird der eine oder andere Fehlpass eher verziehen, weil die Jungs ja „Ehrenmänner“ sind. Was für ein Bullshit.

In der Vergangenheit tauschten italienische Spitzenclubs, die gerade Meisterschaft oder Champions League gewonnen hatten, einen (Groß)-Teil der erfolgreichen Mannschaft aus, ohne auf die Empörung der Fans wert zu legen. Warum? Weil sie die Erfahrung gemacht hatten, dass Spieler, die einen Titel gewonnen hatten, zur Zufriedenheit neigen und diese Zufriedenheit kann man sich im Leistungs-Business Profifußball nicht leisten.

Es scheint so, als hätte man beim HSV etwas verstanden. Jetzt muss das Ganze nicht nur auf die Mannschaft, sondern auf den gesamten Verein übertragen werden, ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten. Alte Zöpfe müssen endlich abgeschnitten werden, die Mitarbeiter müssen bereit sein, ihre Komfortzonen zu verlassen. Es muss (wieder) eine Atmosphäre der Leistungsbereischaft und kein Kuschelzoo entstehen, andernfalls wird man in einem Geschäft, welches von Geschwindigkeit lebt, weiter an Boden verlieren.

Kleine Notiz am Rande. Aus genau diesem Grund war für den FC Bayern München die Verpflichtung von Matthias Sammer von existentieller Bedeutung. Sammer ist ein chronisch unzufriedener Mensch, allerdings im positiven Sinne. Sammer kann Stillstand nicht ertragen und wird zum Tier, wenn er erkennt, dass sich jemand hängen lässt. Er fördert und fordert komplette Identifikation mit dem Beruf des Profifußballers und wenn man diese Bereitschaft bringt, hat man in Sammer einen absoluten Fürsprecher. Meint man aber, man könnte mit 80% durchs Leben kommen, hat man in München keine Zukunft mehr. Eben ein solcher Charakter fehlt dem HSV.